Gute Unterhaltung!
Frank Röder (Heraugeber)
Einleitung
Zehn Aspekte damals und heute...
Überbevölkerung Huxley rechtfertigte den Weltstaat der „Schönen neuen Welt“ mit der bereits in der 1930er-Jahren deutlich erkennbaren Bevölkerungsexplosion auf der Erde. Nur eine konstante Bevölkerung schien den friedlichen Fortbestand und den Wohlstand der Menschheit zu sichern. In Huxleys Roman wird noch von einer Weltbevölkerung von zwei Milliarden Menschen ausgegangen. Inzwischen wissen wir, dass unser Planet im 21. Jahrhundert vielfach mehr Menschen ernähren kann. Die Agrarwirtschaft ist produktiver geworden und die Weltbevölkerung ist sogar etwas weniger dramatisch gewachsen, als man es noch vor fast einhundert Jahren befürchtete. Die hohe Bevölkerung scheint heute nicht mehr die größte Bedrohung des Planeten zu sein. Den ersten Rang hat dabei eindeutig der Klimawandel übernommen. Doch Huxley war einer der ersten, der die Überbevölkerung über Unterhaltungsliteratur publik gemacht hat.
Auch heute bleibt die Gefahr durch zu viel Bevölkerung groß, auch wenn etwa seit den 1990er-Jahren das Bevölkerungswachstum etwas langsamer wurde. Dies gibt uns einige Jahrzehnte mehr Zeit, in denen wir handeln sollten. In Asien, Australien und Europa ist in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts mit keiner bedenklichen Veränderung der Bevölkerungszahl und der Bevölkerungsdichte mehr zu rechnen. Es kann sogar zu einem leichten Rückgang der Einwohnerzahlen kommen.
Anders ist es in Afrika, wo die Bevölkerung noch viele Jahre länger wachsen wird. Aber auch dort wird zumindest das Wachstum langsamer werden. Auf allen Kontinenten wird sich voraussichtlich gegen Ende des 21. Jahrhunderts eine konstante Bevölkerungszahl zwischen zehn und zwölf Milliarden einpendeln. Die höhere Zahl wird nur erreicht, wenn die weltweite Lebenserwartung noch deutlich zunimmt. Neun Milliarden Menschen kann unser Planet schon heute ernähren. Voraussetzung dafür ist, dass keine weiteren Ökosysteme und landwirtschaftliche Nutzflächen zerstört werden. Würden die Nahrungsressourcen erheblich gerechter verteilt werden als heute, wäre unser Planet sogar in der Lage etwa zwölf Milliarden Menschen zu ernähren. Das würde deutlich schwerer werden, wenn weitere Konflikte wie Terror, militärische und wirtschaftliche Kriege ausbrechen. Dann könnten Hunger und sehr ungleicher Wohlstand noch bis weit ins 22. Jahrhundert bestehen. Eine weltweite Abschaffung der Überernährung und der Verschwendung von Lebensmitteln würde allein schon die Ernährung von einer halben bis einer Milliarde Menschen sichern. Ohne mehr Nahrung produzieren zu müssen, könnten so heute schon die derzeit etwa 900 Millionen hungernden Menschen auf der Erde sofort satt werden. Die Herausforderung, in der Zukunft bis zu zwölf Milliarden Menschen ausreichend und besser zu ernähren, ist sehr groß. Die heutigen Möglichkeiten reichen aber bereits aus, diese Aufgabe zu bewältigen.
Die Lösung besteht nicht allein in Huxleys Methoden: die Bevölkerung durch Geburtenkontrolle konstant zu halten, der Kunstdüngung und der chemischen Schädlingsbekämpfung. Nach heutigen Erkenntnissen wäre das allein viel zu kurzfristig gedacht und würde langfristig größere Probleme nach sich ziehen. Wesentlich krisenfester und umweltfreundlicher ist es, Lebensmittel in den Regionen herzustellen, wo sie verbraucht und deutlich unabhängiger vom Einfluss entfernter ausländischer Konzerne produziert werden. Dies würde dem derzeitigen Trend der Globalisierung klar entgegen stehen. Viele Versuche, Nahrungsmittel dezentraler und autonomer zu produzieren, werden jedoch schon seit Jahrzehnten von einigen internationalen Lebensmittel- und Chemiekonzernen hartnäckig bekämpft und oft erfolgreich verhindert.
Nur wenige Jahre bevor Huxley „Schöne neue Welt“ veröffentlicht hatte, überschritt die Weltbevölkerung die damals unvorstellbare Zahl von zwei Milliarden3. Als „Dreißig Jahre danach“ veröffentlicht wurde, waren es schon fast drei Milliarden. Zum Beginn der 2020er Jahre muss unser Planet schon fast die vierfache Bevölkerung, nämlich knapp acht Milliarden, statt bekommen. Für alle genügend Lebensmittel herzustellen, ist aber heute leichter, als es Huxley damals annahm. Das größte Problem scheint heute dabei eine zu unmoralisch betriebene Weltwirtschaft zu sein, die rein wirtschaftliche Interessen über das Grundbedürfnis nach Nahrung stellt. Es wird sogar in einigen Ländern versucht, das gesamte Nutzwasser, Trinkwasser wie auch Regenwasser, unter das Monopol eines Konzerns zu stellen.
Anwendung der Gentechnik, der pränatalen Prägung und der Eugenik
Gentechnik bestand auch im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts noch überwiegend aus der Auslese für die Zucht. Erbschädigende und mutagene Wirkungen auf die Erbsubstanz waren damals bereits entdeckt worden, konnten aber noch nicht gezielt eingesetzt werden, um gewünschte Ergebnisse zu erreichen. So erschien es Huxley naheliegend Embryos pränatal in vitro zu prägen. Pränatal bedeutet vor der Geburt; in vitro bedeutet außerhalb des Mutterleibes, in Brutbehältern.
Durch veränderte physikalische Umwelteinflüsse und chemische Zusätze werden in Huxleys Roman die künftigen Bürger ihren geplanten Aufgaben angepasst. In diesem Sinne hat Huxley nach dem damaligen Stand der Wissens alle Register eines gründlich recherchierenden Science-Fiction-Autors gezogen. Die heutigen Möglichkeiten, die Erbsubstanz direkt zu manipulieren, waren damals bestenfalls theoretisch denkbar, praktisch allerdings noch in weiter Ferne.
Bald oder schon heute mögliche Gentherapien bei Schwerkranken werden derzeit noch durch ethische Einwände in Zaum gehalten. Das menschliche Genom gilt seit 2003 als entschlüsselt und seine Manipulation scheint inzwischen weniger aus technischen Gründen, als viel mehr durch Gesetze und einer gewissen Moral in der Wissenschaft gebremst zu werden. Was in geheimen Laboratorien skrupelloser Staaten oder super reicher Oligarchen schon stattgefunden haben mag, möchte man sich gar nicht ausmalen. Schon heute wäre es möglich die Augenfarbe oder das Geschlecht ungeborener Kinder zu bestimmen. Wahrscheinlich wurde diese Technologie jedoch bis heute noch nicht angewendet. Im Science-Fiction-Film „Gattaca“4 können Eltern in einem Familienplanungsbüro bestimmte Eigenschaften ihrer Kinder auswählen, so selbstverständlich, wie heute die Ausstattung beim Kauf eines Autos.
In bestimmten Kulturen ist bereits die Abtreibung von Kindern mit unerwünschten Eigenschaften üblich. In den so genannten westlichen Kulturen gilt heute als legitimer Grund für eine Abtreibung schon eine festgestellte Erbkrankheit oder eine Behinderung. In Indien dürfen weibliche Nachkommen oft gar nicht auf die Welt kommen, weil sie als Stammhalter der Familie nicht in Frage kommen oder als Belastung für die Familie empfunden werden. Diese aktuellen Beispiele überschreiten bereits die Grenze zur Eugenik, der Vernichtung unerwünschten Lebens. Die Kernfrage dieses Themas ist immer, wer die Maßstäbe dafür festgelegt und wer dann danach handeln darf. Es fällt natürlich schwer das Überleben bereits geborener Menschen unter das Wohl oder Leiden noch nicht Geborener zu stellen. Hier soll keine moralische Diskussion darüber geführt werden. Natürlich gefährdet eine unerwünscht hohe Anzahl von Kindern den Wohlstand oder auch das Überleben einer Familie. Huxley bewegt sich bereits in der „Schönen neuen Welt“ in Extremen. Einerseits entstehen in den so genannten Bokanovsky-Gruppen bis zu 96 identische Dutzendlinge, auf der anderen Seite ist die überwiegende Mehrheit der Frauen in der „Schönen neuen Welt“ von Geburt an steril und wäre damit gar nicht mehr in der Lage, den Genpool der Menschheit durch Neukombinationen zu bereichern.
Pränatale und postnatale ideologische Prägung In der „Schönen neuen Welt“ werden die Menschen zu einem großen Teil schon vor der Geburt konditioniert. Nach der Geburt geht diese Konditionierung in Schlafschulen und auch in konventionellen Schulen gezielt weiter. Nicht vergessen darf man aber auch die weitere Verstärkung der Prägung durch den ideologisch gelenkten Alltag. Alltägliche Wiederholung von Schlafschulweisheiten, offene und unbewusste Beeinflussung in den Fühlkinos sowie Rituale wie die Eintrachtsandacht erschweren es in der „Schönen neuen Welt“ auch den Erwachsenen, ideologisch abweichende oder in anderer Weise unerwünschte Gedanken zu entwickeln. Im Roman „Achtzig Jahre danach...“ heißen die weiter entwickelten Kinos Emo-Kinos, obwohl