„Können wir denn gar nichts thun?" fragte Ellen in einem bittenden Ton, der von der Aufrichtigkeit ihrer Besorgniß zeugte.
„Mir wär's ein Leichtes, so zu schreien, daß der alte Ismael träumen sollte, die Wölfe wären unter seiner Heerde," erwiederte Paul. „Ich kann mich in diesen offenen Feldern Meilen weit hörbar machen und sein Lager ist kaum eine Viertelmeile von uns entfernt."
„Und bekommt zum Lohn dafür den Kopf eingeschlagen," erwiederte der Streifschütz; „nein, nein, List muß List besiegen, oder die Hunde morden die ganze Familie."
„Morden! nein, — nicht morden. Ismael liebt das Wandern so sehr, — was würd's ihm schaden, wenn er auch einmal das andere Meer betrachtete; aber der alte Schelm ist schlecht auf die lange Reise vorbereitet! Ich würde selbst mein Gewehr erst gebrauchen, ehe er ganz zu Grunde gerichtet würde."
„Sein Haufen ist stark an der Zahl und wohl bewaffnet, glaubt Ihr, daß er fechten wird?"
„Seht, alter Streifschütz, es liebt nicht leicht Jemand Ismael Busch und seine sieben Tölpel von Söhnen weniger, als ein gewisser Paul Hover; aber ich mag nicht einmal eine Tenessee-Flinte verläumden. — Es ist unter ihnen so viel wahrer, widerstrebender Muth, als in irgend einer Familie in Kentucky. Sie sind eine langgestaltige, doppeltgenähte Race, und wer von einem unter ihnen das Maß auf der Erde nehmen wollte, müßte ein tüchtiger Handwerksmann sein."
„Hst! Die Versammlung ist aus, und die Wilden wollen eben ihre verruchten Pläne ausführen. Wir müssen uns gedulten; vielleicht bietet sich noch etwas zu Gunsten unsrer Freunde dar."
„Freunde! Nennt keinen von der Schaar meinen Freund, wenn Euch mein Wohlwollen lieb ist. Was ich zu ihrem Vortheil sage, geschieht weniger aus Freundschaft als aus Aufrichtigkeit."
„Ich wußte nicht anders, als daß das Mädchen zu ihnen gehörte," erwiederte der andere ein wenig trocken, — „aber man sollte nichts für Beleidigung nehmen, was nicht so gemeint ist." —
Paul's Mund ward wieder von Ellens Hand zugehalten, die die Antwort nach ihrer höflichen, gewinnenden Art auf sich nahm: „wir sollten alle eine Familie sein, wenn es in unsrer Macht steht, einander zu dienen. — Wir verlassen uns gänzlich auf Eure Erfahrung, guter alter Mann, Ihr mögt ein Mittel entdecken, unsre Freunde von der Gefahr zu benachrichtigen."
„Es ist auch wirklich Zeit," murmelte der Bienenjäger lachend, „wenn die Jungen in Ernst mit diesen rothen Häuten zusammen kommen."
Er ward durch eine allgemeine Bewegung in der Bande unterbrochen. Die Indianer stiegen alle ab, und gaben ihre Pferde an drei oder vier des Haufens, die man zugleich auch mit der Bewachung der Gefangenen beauftragte. Sie bildeten nun einen Kreis um einen Krieger, der das größte Ansehen zu besitzen schien, und auf ein gegebenes Zeichen bewegte sich der ganze Schwarm langsam und vorsichtig in gerader Linie vom Mittelpunkt und also nach allen verschiedenen Richtungen vorwärts. Die meisten ihrer dunkeln Gestalten verschwammen bald mit der braunen Decke der Wüste, wiewohl die Gefangenen, welche auf die geringste Bewegung ihrer Feinde mit wachsamem Auge Acht hatten, manchmal eine Menschengestalt bemerken konnten, die sich am Horizont hinzeichnete, wenn einer, eifriger als die übrigen, seine ganze Höhe darstellte, um die Grenzen seines Gesichtskreises zu erweitern. Aber nicht lange so schwand auch dieser flüchtige Schimmer von dem fortschreitenden und immer größer werdenden Zirkel, und Ungewißheit und Vermuthung kam, noch zur Furcht. So gingen mehrere angstvolle, traurige Minuten vorüber, während die Lauscher mit jedem Augenblick den Ruf der Angreifenden und das Geschrei der Überfallenen durch die Stille der Nacht zu hören erwarteten. Aber es wollte scheinen, als ob das Suchen, welches man so deutlich wahrnahm, ohne hinlänglichen Erfolg geblieben; denn nach einer halben Stunde kamen die Genossen der Bande einzeln, finster und lässig, wie Leute, deren Bemühung vergebens gewesen, wieder zurück.
„Nun kommt die Reih' an uns," bemerkte der Streifschütz, der auf den geringsten Vorfall, aus das unbedeutendste Zeichen von Feindseligkeit unter den Wilden Acht gab; „wir werden jetzt ausgefragt und wenn ich anders weiß, was in unsrer Lage dienlich sein könnte, so möchte ich behaupten, es wäre gut, wenn wir einen aus uns wählten, der Antwort gibt, damit wir in unserm Zeugniß übereinstimmen. Und ferner, wenn die Meinung eines so alten, unbrauchbaren Jägers von achtzig zu berücksichtigen ist, dächte ich, der Mann müßte gerade der sein, welcher mit dem Charakter der Indianer am vertrautesten ist und auch etwas von ihrer Sprache versteht, — seid' Ihr mit der Sprache der Sioux bekannt, Freund?"
„Kümmert Euch um Euren eigenen Honig," erwiederte der unwillige Bienenjäger; „zum Sumsen seid Ihr gut, wenn auch zu sonst nichts."
„Die Jugend ist rasch und starrig," entgegnete der Streifschütz ruhig; „es war eine Zeit, junger Mann, wo mein Blut wie Eures war, zu schnell und heiß, um ruhig in den Adern zu fließen. Aber was nützt's, von thörichten Wagnissen und dummen Streichen in diesem Alter zu reden. Ein graues Haupt muß Besonnenheit, nicht die Zunge eines Prahlers einschließen."
„Wahr, wahr," lispelte Ellen, „und wir müssen jetzt auf anderes gefaßt sein! Da kommt der Indianer uns seine Fragen vorzulegen."
Das Mädchen, dem die Furcht die Sinne geschärft, hatte sich nicht getäuscht. Sie sprach noch, als ein schlanker, halb nackter Wilder sich der Stelle näherte, wo sie standen, welcher, nachdem er zuvor die ganze Gesellschaft so genau, als es das Dunkel erlaubte, langer als eine Minute in vollkommener Stille durchmustert hatte, den gewöhnlichen Gruß in den rauhen Kehllauten seiner Sprache vorbrachte. Der Streifschütz antwortete, so gut er konnte, was, wie es schien, gut genug war, und verstanden wurde. Um dem Vorwurf der Pedanterie zu entgehen, wollen wir den Inhalt, und nur so weit es möglich ist, die Form des Dialogs wieder geben.
„Haben die blassen Gesichter schon all ihre Büffel gegessen, und all ihren Bibern die Häute abgenommen," fuhr der Wilde fort, nachdem er, wie es die Sitte verlangte, die gehörige Zeit nach seinem Gruß abgewartet hatte, ehe er wieder sprach, „haben sie schon alles aufgegessen, daß sie hierher kommen und zählen wollen, wieviel sich deren noch unter den Pawnee finden?"
„Einige von uns sind hier, um zu kaufen, andere, zu verkaufen," erwiederte der Streifschütz, „aber keiner wird folgen, wenn sie hören, daß es nicht sicher sei, sich der Wohnung eines Sioux zu nähern.
„Die Sioux sind Diebe, und wohnen im Schnee; warum sprechen wir von einem so entfernten Volk, wenn wir im Land der Pawnee sind?"
„Sind die Pawnee die Eigenthümer dieses Landes, dann sind Weiße und Rothe mit gleichem Recht hier."
„Haben die Blaß-Gesichter die rothen Leute nicht genug bestohlen, daß Ihr noch so weit herkommt, um uns eine Lüge zu bringen? Ich habe gesagt, dies ist Jagdgrund meines Stammes."
„Ich hab' dasselbe Recht hier zu sein, als Ihr selbst," entgegnete der Streifschütz mit ungestörter Ruhe; „ich spreche nicht so, wie ich könnte. — Es ist besser zu schweigen. Die Pawnee und die weißen Leute sind Brüder, aber ein Sioux darf sein Gesicht nicht in einem Dorf der Wölfe zeigen."
„Die Dahcotah [Ein anderer Name der Sioux.] sind Männer!" rief der Wilde stolz und vergaß in seinem Zorn, die Rolle beizubehalten, die er angenommen hatte, da er die Benennung gebrauchte, auf die seine Nation am meisten stolz ist; „die Dahcotah kennen keine Furcht; sprecht, was bringt Euch so weit von den Dörfern der blassen Gesichter?"
„Ich sah bei manchen Berathschlagungen die Sonne aufgehen und sinken, und habe nur Worte weißer Männer gehört. Laßt Eure Häuptlinge kommen, und mein Mund soll ihnen nicht verschlossen sein."
„Ich bin ein großer Häuptling," sagte der Wilde, und gab sich das Ansehn beleidigter Würde; „haltet Ihr mich für einen Assiniboine! Weucha ist ein oft genannter Held, dem man viel vertraut."
„Bin ich ein Thor, daß ich einen verbrannten Teton [Teton, wie Dahcotah, eine andere Benennung der Sioux] nicht erkennen sollte!" fragte der Streifschütz mit einer Festigkeit, die seinem Muth alle Ehre machte. „Geht; es ist dunkel, und Ihr seht nicht, daß mein Haupt grau ist."