Im Busch / Kriegsbilder aus dem dt.-franz. Krieg. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754154243
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      Die Familie Sutton.

      Wir müssen noch einmal zu dem Abend zurückkehren, an dem die Royal Mail unweit des Gipfels des Razorbacks in den blauen Bergen überfallen und geplündert wurde.

      Der von dem Bushranger verwundete Passagier war damals, wie sich der Leser erinnern wird, durch vier Leute von der kleinen am Wege stehenden Schenke auf die nicht weit davon entfernte Station eines englischen Gentleman, eines Mr. Sutton, geschafft und dort auf das Herzlichste und Liebevollste behandelt worden.

      Mr. Sutton war schon ein ziemlich alter Herr, der erst in vorgerückten Jahren geheirathet und zwei erwachsene Kinder, einen Sohn und eine Tochter, hatte. Da sich seine Station aber mit jedem Jahre vergrößerte und er besonders in diesem dazu vortrefflich gelegenen Thale viel werthvolles Land urbar machen konnte, so trieb er jetzt auch, neben seinen zahlreichen Heerdcn und der einträglichen Pferdezucht, bedeutende Landwirthschaft, und hatte zu dem Zweck einige zwanzig Leute in steter Beschäftigung auf seiner Station.

      Die etwas kränkliche Frau konnte aber dieser großen Wirthschaft nicht allein vorstehen, Rebecca, seine Tochter, war erst achtzehn Jahre alt, und so hatte er denn, aber erst in den letzten Jahren, eine Wirthschafterin in's Haus genommen, die für diese Stellung, trotz ihrer Jugend, außerordentlich passend /54/ schien, und in Allem, was Ordnung und Reinlichkeit betraf, wirklich nichts zu wünschen übrig ließ.

      Miß Gertrud, wie die Wirthschafterin genannt wurde, mochte etwa zweiundzwanzig Jahre alt sein, und war als ganz junges Mädchen durch die, damals die Einwanderung von weiblichen Dienstboten mit großem Eifer fördernde Mrs. Chisholm3 nach Australien gekommen. Ihrer Aussage nach hatte sie damals eine Stelle in Adelaide gefunden, wo sie mehrere Jahre als Gouvernante in einer Familie gelebt. Aber die Frau starb, und sie kehrte zu Freunden nach Sidney gerade damals zurück, als Mr. Sutton eine Person für seine Familie suchte, die einer solchen Wirthschaft vorstehen konnte.

      Weiter hatte sich Niemand nach ihr erkundigt, denn man ist in Australien überhaupt so vorsichtig, nicht zu sehr vergangenen Lebensverhältnissen nachzuforschen, aus Furcht, selbst in den ersten und angesehensten Familien oft sehr unangenehme Rückerinnerungen zu erwecken. Man nimmt die Leute, wie sie sich eben geben, und wenn sie jetzt ihre Pflicht thun und ihren Platz ausfüllen, fragt selten Jemand nach dem, was dahinten liegt und an keinem Orte mehr, wie gerade in Australien, vergessen sein sollte.

      Gertrud war übrigens eine außergewöhnlich liebliche Erscheinung, mit einem ächt englischen Gesicht, die Nase ein klein wenig stumpf, aber wundervollem, kastanienbraunem Haar, nußfarbenen Augen und einer schlanken, edlen Gestalt. Nur um den sein geschnittenen Mund lag ein ernster, fast strenger Zug, der aber oft durch ein gar so liebes Lächeln gemildert, ja völlig verwischt wurde. Sie hatte dabei etwas außerordentlich Festes und Entschiedenes in ihrem ganzen Auftreten, besonders ihren Untergebenen gegenüber, wenn sie sich auch gegen Mr. und Mrs. Sutton wie deren Kinder stets bescheiden, und überhaupt sehr viel Tact in ihrem ganzen Wesen zeigte. Aber vielleicht gerade dadurch scheuchte sie auch jede wirkliche Vertraulichkeit zurück. Es war fast, als ob sie in der Familie nur als Dienerin behandelt sein wolle - sich nur als solche wohl und in ihrer Stellung fühlen könne.

      Rebecca, eine fast zu zarte Gestalt für den wilden Busch, schien in ihrem Aeußern sowohl wie in ihrem ganzen Wesen /55/ gerade das Gegentheil Gertrudens. Von eben so regelmäßiger Schönheit wie diese, verlieh aber schon das blonde Haar und blaue träumerische Auge der ganzen Gestalt etwas Weiches, Schwankendes, und oft, wenn sie mit Gertruden sprach, schlug sie vor dem fest auf ihr haftenden, wenn auch freundlichen Blick derselben das eigene Auge wie scheu und befangen zu Boden.

      Als an jenem Abend der schwer Verwundete in das Haus gebracht wurde, übernahm auch Gertrud gleich die unmittelbare Pflege desselben. Sie richtete das Zimmer und Lager für ihn her, sie sah nach seinem Verband und stillte soviel als möglich die Blutung der Wunde, bis der Arzt dieselbe untersuchen und richtig behandeln konnte, und that alles Nöthige so still und geräuschlos und so selbstbewußt, daß die übrigen Hausbewohner den neuen und fremden Gast in seiner bewußtlosen Anwesenheit kaum gewahrten, aber sicher nicht durch ihn gestört oder belästigt wurden.

      Der Arzt kam, durch des alten Mitpassagiers freundlichen und aufopfernden Eifer getrieben, allerdings noch in derselben Nacht nach English Bottom, wie Mr. Sutton's Station gewöhnlich genannt wurde, aber er schüttelte, nachdem er die Wunde untersucht hatte, sehr bedenklich den Kopf, denn die Kugel hatte eine sehr gefährliche und beunruhigende Bahn genommen, und es ließ sich keineswegs mit Sicherheit vorausbestimmen, ob der Patient den Schuß überleben würde oder nicht. Jetzt athmete er allerdings noch, aber jeder Athemzug konnte sein letzter sein, und nachdem die Wunde, so gut es die Umstände erlaubten, behandelt worden, mußte allerdings das Meiste der gesunden Natur des Patienten wie der aufopfernden Pflege seiner neuen Freunde überlassen bleiben.

      Mr. Sutton hatte indessen gleich gesucht, irgend einen Ausweis bei dem Kranken zu finden, wie er heiße oder wohin er gehöre; sein Taschenbuch war aber in den Händen der Bushranger geblieben, Briefe hatte er ebenfalls nicht bei sich, und selbst seine Wäsche war nicht gezeichnet, denn in den Colonien kauft man ja gewöhnlich Alles, was man braucht, fertig in den Läden. Wie also nun die Angehörigen auffinden, wo noch dazu in den nächsten Tagen schon kein Mensch weiter in /56/ ganz New-South-Wales einen andern Gedanken hatte, als Gold, und alle gewöhnlichen Communicationen unterbrochen, ja aufgehoben schienen.

      Es war in der That nichts weiter zu thun, als den Zeitpunkt abzuwarten, wo sich der Verwundete so weit erholen würde, Nachricht über sich geben zu können oder - wo er seiner Wunde erlag, und dann zählte er nur zu den Tausenden, die in fremden Welttheilen unbeachtet, ungekannt sterben und verderben und spurlos von der Erde verschwinden. - Wie manches einsame Grab liegt so draußen im stillen Wald, und ein Kranz von Steinen, oder vielleicht nur ein mit dem Beil in den nächsten Baum eingehauenes Kreuz kündet allein die Stelle, wo ein Menschenherz modert.

      Aber der junge Fremde starb nicht. Sieben Tage lag er allerdings vollkommen bewußtlos oder doch regungslos auf seinem Bett, nur im Stande, in der letzten Zeit dann und wann ein paar Löffel voll stärkender Suppe zu verschlucken, die ihm Gertrud mit sorgender Hand einflößte. Am achten Tage schlug er zuerst die Augen auf und sah seine Wärterin über sich gebeugt; dann schloß er sie wieder und gab durch kein Zeichen Kunde, daß er die an ihn gerichteten Fragen verstanden oder nur gehört habe.

      Jetzt zum ersten Mal machte der Arzt, der indessen schon einige Male wieder herübergekommen war, Mr. Sutton Hoffnung, daß er seinen Patienten durchbringen könne, und in der nämlichen Nacht klopfte der Wärter, der fortwährend bei ihm bleiben mußte, an Gertrudens Thür, und meldete ihr, der Kranke sei zur Besinnung gekommen.

      Gertrud zog sich rasch an und ging zu ihm hinüber - es war drei Uhr Morgens, und sie mochte Mr. Sutton noch nicht wecken, und als sie das Zimmer betrat und den Patienten frug, ob er etwas wünsche, ob sie ihm irgend etwas helfen könne, streckte er ihr lächelnd die bleiche, abgemagerte Hand entgegen, aber er sprach noch kein Wort.

      Sie nahm die Hand und legte sie auf die Decke zurück; er nickte ihr, wie dankend, mit den Augen zu, und schlief dann wieder ruhig ein, bis zum nächsten Morgen.

      Damit schien er aber auch die schlimmste Krisis überstanden /57/ zu haben, denn schon mit Tagesanbruch wachte er wieder auf und blickte suchend in dem leeren Zimmer umher, nach seiner Pflegerin. Der Wärter war auf dem Stuhl neben seinem Bett eingeschlafen, und der Verwundete vermochte ihn nicht zu wecken.

      Da ging die Thür auf, und als Gertrud das Zimmer betrat, schaute sie der Leidende mit den großen, eingefallenen Augen voll an und sagte leise:

      „Oh, das ist gut - das ist gut."

      „Gott sei gedankt, der Sie wieder hergestellt hat!" rief Gertrud, rasch und fröhlich zu ihm eilend. „Jetzt wird auch Alles bald, recht bald besser gehen. Aber schonen müssen Sie sich noch, recht schonen, und kein Wort weiter reden, bis es Ihnen der Arzt erlaubt."

      Wieder streckte ihr der Kranke die Hand entgegen und sagte dann mit leiser, kaum hörbarer Stimme:

      „Was ist mit mir geschehen?"

      Der Wärter war jetzt auch wach geworden und sprang erschreckt