Michelle fasst einen Entschluss
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Keine Sorge, ich werde Sie jetzt nicht mit Belanglosigkeiten aus meinem Leben langweilen. Deshalb beschränke ich mich auf das Wesentliche.Ich will Ihnen nur erklären, warum es mich nach Lost Haven verschlagen hat.
Mein Name ist Jack Rafton. Nun, eigentlich stimmt das gar nicht. Jack Rafton ist mein Künstlername, den ich vor acht Jahren angenommen habe. Wenn ich es mir recht überlege, hat meine Ex-Frau Michelle mir Jack Rafton vorgeschlagen und ich habe zugestimmt, weil mir selber nichts einfiel.
Mein erster großer Roman erschien etwa vier Jahre nach seiner Fertigstellung endlich bei einem großen Verlag. Und ich war so stolz. Das können Sie sich gar nicht vorstellen. Ich steckte mitten in meinem Ingenieurs-Studium, hatte aber immer eifrig nebenher geschrieben. Stolz und zittrig war ich, als ich meine erste Lesung in einer kleinen Buchhandlung hielt. Gerne erinnere ich mich an diese Zeit zurück.
Der Roman, um welchen es in meiner ersten Lesung vor zwölf Jahren ging, trug den Titel 'Angststurm' und war ein richtiger Erfolg. Er war über acht Monate in den Bestsellerlisten.
Ein gutes Jahr nach Erscheinen meines Erstlings wurde mein zweiter Roman veröffentlicht. Er konnte nicht ganz an den Erfolg des ersten anknüpfen, sicherte mir jedoch auch weiterhin das allseits beliebte Prädikat Bestsellerautor. Aber das war alles ziemlich unwichtig für mich. Denn in dem Jahr, in dem mein zweiter Bestseller erschien, wurde meine Tochter Amy geboren.
In den folgenden drei Jahren erschienen von mir immerhin noch drei weitere Romane. Inhalt: Monster, Panikattacken, gut aussehende, schreiende Teenager und natürlich ein paar grausam zugerichtete Leichen und viel Blut. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, wenn ich augenscheinlich so abfällig meine 'Werke' zusammenfasse. Aber aus heutiger Sicht würde ich eigentlich keinem unbedingt empfehlen, eine dieser Geschichten zu lesen, wenn er nicht gerade etwas Besseres zu tun hat. Mein erster Roman war gut, und ich bin auch noch heute stolz auf ihn, aber der Rest war letztlich Zwang. Es war mein Lebensunterhalt.
Dann, fünf Jahre nach meinem Durchbruch, gab es einige Veränderungen. Paul, mein Agent und Freund starb bei einem Autounfall. Als ich die Nachricht von Pauls Tod erfuhr, war ich geschockter, als ich es mir selbst zugetraut hätte. Paul und ich hatten uns oft zum Lunch getroffen. Nicht nur, um über meine Bücher zu diskutieren, sondern auch, um sich einfach nur entspannt über unsere Alltagssorgen zu unterhalten.
Nachdem Paul gestorben war, wurde mir bewusst, dass er die letzten fünf Jahre eine der wenigen Bezugspersonen in meinem Leben gewesen war. Denn, als mein erstes Buch zum Erfolg wurde und mein Gesicht im Fernsehen zu sehen und mein Name in den Zeitungen zu lesen war, gab es zwar viele Menschen, die gern meine Freunde sein wollten. Die Freunde, die ich jedoch vorher schon hatte, wandten sich im Lauf der Zeit von mir ab. Eine Tatsache, an der ich selbst sicherlich nicht ganz unschuldig war. Der Erfolg verändert einen, und er verändert die Sichtweise anderer auf einen selbst. Was mir also nach Pauls Tod blieb, waren im Grunde nur meine eigene kleine Familie. Meine Frau Michelle und meine Tochter Amy.
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Mein neuer Agent, der Paul ersetzte, war jung und überdreht. Bei unserer ersten Begegnung bombardierte er mich ständig mit dämlichen Marketing-Schlagworten wie 'Pageturner' und 'Unputdownable'. Er glaubte fest daran, dass mit seiner Hilfe mein neuer Roman ein Erfolg werden würde. Der Verlag wollte mein neues Buch zur nächsten Herbstsaison rausbringen. Zum Schreiben hatte ich etwas mehr als 10 Monate Zeit. Viel Zeit, die ich nicht genutzt habe.
Mein letztes Buch, das ich dann schließlich schrieb, war von Anfang an beschissen. Dieser und damit mein bislang letzter Roman, den ich unter dem Arbeitstitel 'Leichenschmatzen' geschrieben hatte (das erklärt eigentlich schon alles, oder?), bekam von der Fachpresse eigentlich ganz ordentliche Kritiken. Die Leser aber, die dank Internet Rezensionen schrieben, bloggten oder sich in Foren austauschten, verrissen das Buch gnadenlos. Zu Recht. Es war einfach jämmerlich. Und es war der Schlussstrich unter meine Karriere als Autor. Der Verkaufszahlen waren die schlechtesten, die der Verlag in jenem Jahr für einen seiner Romane verbucht hatte. Obwohl ich mich bemühte, mit dem Verlag in Kontakt zu bleiben, wollte man dort erst mal nichts mehr von mir wissen.
»Nimm dir mal eine Auszeit, Kumpel«, riet mir mein neuer Agent eines Nachmittags am Telefon und legte danach auf. Ich war nicht sein Kumpel. Erst nach diesem Telefonat wurde mir bewusst, dass mein Leben als Autor beendet war. Es war nicht nur eine vorübergehende Schwäche oder gar eine Schreibblockade. Es war endgültig.
Was danach geschah kann ich kurz zusammenfassen: Ich stürzte ab, war die meiste Zeit über betrunken, und es dauerte nicht mehr lange bis mich meine Frau Michelle aus unserem Haus geworfen hat.
Ihre einzigen Worte, die mir noch im Gedächtnis geblieben sind, waren: »Wenn du mir nicht Amy und das Haus lässt, mach ich dich so fertig, dass du wünschen wurdest, mich nie kennengelernt zu haben! Glaubst du, du würdest einen Prozess gegen mich gewinnen? Jack Rafton, der alkoholkranke Versager will das Sorgerecht für seine Tochter? Glaubst du das wirklich? Ich sag dir was: Versuch es doch! Dann gehe ich zur Presse und erzähle denen, wie schlimm deine Sucht ist.«
Mir wurde klar, dass ich Amy eine Schlammschlacht zwischen ihren Eltern nicht zumuten konnte. Ich wollte nicht, dass sie litt.
Und so gab ich auf. Einfach so. Ich überließ Michelle das Haus. Im Gegenzug sicherte sie mir zu, Amy an den Wochenenden mit zu mir nach Lost Haven mitnehmen zu dürfen - dort hatten wir unser Ferienhaus, das fortan mein neues, einsames Zuhause sein sollte. Das fiel Michelle nicht schwer zu versprechen, denn sie wusste ganz genau, dass Amy das Haus in Lost Haven ablehnte, weil sie glaubte, dort eines Nachts, als wir unseren letzten Sommerurlaub verbracht hatten, von einem Geist heimgesucht worden zu sein. Seither fürchtete sie sich vor dem Haus. Nach meinen Erlebnissen in den letzten Wochen hier kann ich ihr das nicht verübeln.
Nachdem ich schließlich nach Lost Haven gezogen war, war die Realität die, dass ich Amy nur sehr selten zu Gesicht bekam. Dafür sorgte ihre Mutter und deren Eltern, die sie in ihre Pläne penibel eingeweiht hatte, und die sie erfolgreich gegen mich aufgehetzt hatte.
Ja, natürlich. Ich hätte um Amy kämpfen müssen. Aber ich war viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Mit dem Trinken und mit meinem Selbstmitleid. Ich war erbärmlich.
Aber genug davon. Ich stehe jetzt hier in Lost Haven am Abgrund, blicke aufs Meer und warte, dass das, was mit den anderen geschehen ist, auch mit mir geschieht. Ich habe noch ein wenig Zeit. Gehen wir also gedanklich zurück zu dem Punkt, an dem vor einigen Wochen alles angefangen hat.
Ja, ich erinnere mich. Ich wollte ein Geschenk für Peter kaufen...
Mrs. Trelawney achtet auf ihre Rosen
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Ich hatte das Für und Wider sicherlich schon eine ganze Woche gegeneinander abgewogen. Ich hatte mich jedoch nun dafür entschieden, auf die Gefahr hin, dass Peter das Geschenk ablehnen würde. Ich meine, es geht hier schließlich nur um ein Buch für 12 Dollar. Ich kannte zwar den Tag von Peters Geburt, aber nicht sein Alter, das ich jedoch mit ziemlicher Sicherheit auf Mitte Dreißig schätzte.
Obwohl