Geisterzorn. S. G. Felix. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. G. Felix
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753190549
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in sich trugen, zu übermitteln versucht worden. Eine Art telepathische Übertragung von Empfindungen, jedoch nicht von Gedanken. Dieser Versuch schlug jedoch, wenn man dieser Theorie Glauben schenken möchte, katastrophal fehl.

      Zuerst spürte Sasusa nur ein Frösteln. Doch dann fühlte der Reverend eine panische Angst rasch in sich aufsteigen, die ihn völlig ungehindert bis ins tiefste Mark zu durchdringen schien. Es waren Leid, Qualen, Trauer, Schmerz und Wut zugleich, die geballt wie eine Keule auf ihn einschlugen und ihn in grenzenlose Panik versetzten. In seinem Entsetzen schrie Reverend Sasusa in der sicheren Annahme, sein letztes Stündlein schlagen gehört zu haben. Er fiel auf die Knie und bettelte weinend, die Folter zu beenden, denn von allen Emotionen in dieser Welt bombardierten ihn die Geister mit den leidvollsten von ihnen. Irgendwann schwanden Sasusa die Sinne. Als er wieder zu sich kam, waren die Geister fort und der Morgen dämmerte bereits. Noch am selben Tag vertraute er sich schließlich Arthur Farrel an. Völlig aufgelöst erzählte er ihm alles. Und er erzählte ihm auch, dass er nie wieder in die Kirche zurückkehren könne, denn er fürchtete fortan um sein Leben.

      Wohl wissend um die unkalkulierbaren Auswirkungen auf die Dorfbewohner bei einer Verbreitung der Geschichte des Reverends, bemühte sich Farrel stundenlang, den Reverend zu beruhigen und ihn davon zu überzeugen, dass sie seine Erlebnisse zunächst für sich behielten. Farrel schlug vor, dass sie beide gemeinsam in die Kirche zurückkehren sollten, um sich von der Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit dieses heiligen Ortes zu überzeugen.

      Farrel machte in seinen Aufzeichnungen keinen Hehl daraus, dass er begierig darauf war, selbst einmal eine übernatürliche Erscheinung zu erleben, war er selbst doch bisher von derartigen Heimsuchungen verschont geblieben. Als beide Männer in die Kirche zurückkehrten und feststellten, dass es sicher war, räumten beide die Bänke wieder ordentlich in Reih und Glied. Sichtlich erleichtert bedankte sich Sasusa bei Farrel für seine weisen Worte und bat, ihn allein zu lassen. Sasusa gab an, er wolle sich noch einmal im Klaren darüber werden, was letzte Nacht geschehen war, und er wollte seine Erlebnisse dokumentieren. Farrel kam der plötzliche Sinneswandel des Reverends verdächtig vor. Er verließ ihn – vorerst. Am Abend wollte er jedoch noch einmal zurückkehren und nach dem Reverend sehen.

      Nach Sonnenuntergang kam Farrel wie geplant wieder. Als er die Außentür zur Kirche aufstieß, schrie er vor Bestürzung auf ob der Gräuel, die seine Augen sehen mussten. Die Sitzbänke lagen wild verstreut herum. Einige waren zerborsten. »Es war mir, als sei ein Riese hier am Werke gewesen und hätte alles in blinder Wut zerstört«, schreibt Farrel. Am anderen Ende des Saals baumelte der leblose Körper von Reverend Sasusa, erhängt an einem Strick. Jede Hilfe kam zu spät. Dieser Vorfall ließ sich freilich nicht geheim halten. Die Dorfbewohner von Lost Haven waren entsetzt. Sie gerieten in Panik, weil die Geister nun anscheinend sogar das Haus Gottes in ihre Gewalt gebracht hatten. Folglich wurde nicht lange überlegt. Man einigte sich hastig darauf, die Kirche zu verbrennen, in der Hoffnung, die Geister, die sich nach wie vor darin befänden, zu vernichten. Niemand wollte mehr jene Kirche betreten und so fiel der Leichnam von Reverend Sasusa ebenfalls den Flammen zum Opfer, so dass ihm ein würdiges Begräbnis verwehrt blieb.

      Doch bevor die Flammen die Kirche bis auf ihre Grundmauern vernichtete, gelang es Farrel noch, eine Notiz aus der Schreibkammer des Reverends vor den Flammen zu retten. Auch diese Notiz liegt heute – wenn auch nahezu unleserlich vergilbt - in einer Vitrine des Museums direkt neben Farrels Tagebuch.

      Laut Farrel waren folgende Worte darin enthalten: »Vor der letzten Nacht habe ich mich stets gefragt, was dieser verzweifelten Wut der Geister entgegen zu setzen ist. Doch nun weiß ich es besser. Dem unendlichen Leid, das jene Wesen zu tragen haben, ist keine glückliche Wendung beschieden. In ihrer Verzweiflung wollten sie es mit mir teilen, doch überschätzten sie meine Leidensfähigkeit. Sie werden wieder kommen. Dessen bin ich mir gewiss. Doch ich bin nicht gewillt, diesen wüsten Schmerz noch einmal zu erdulden. Ich muss ihnen zuvorkommen.

      Vielleicht ist das der Weg, sie zu besänftigen.«

      Man kann von dieser Geschichte halten, was man will. Fakt ist aber, dass der Reverend sich erhängt hat, und dass die Kirche wenig später in Brand gesteckt wurde. Als Beweis gab es sogar eine Fotografie der brennenden Kirche, die von Historikern für authentisch befunden wurde. Aufgenommen wurde dieses Bild im Auftrag einer Zeitung, die in einem großen Artikel über die seltsamen Ereignisse in Lost Haven berichtete. Es ist übrigens das einzige Foto aus dem 19. Jahrhundert aus Lost Haven. Das Foto verschwand jedoch aus ungeklärten Gründen in den neunzehnhundertsiebziger Jahren. Dies geschah ausgerechnet in einer Zeit, in der eine wahre Geister-Hysterie ausgebrochen war und Lost Haven zum Quell des Glaubens und des Wissens für alle Geister-Gläubige und selbsternannten Medien aller Art hochstilisiert wurde.

      Bis heute gibt es immer wieder Augenzeugen, die angeblich aus dem angrenzenden Wald kommende schwebende Lichter über den Ruinen der Kirche gesehen haben wollen.

      Auch wenn ich meine eigenen Erlebnisse der letzten Wochen in keinen erklärbaren Zusammenhang mit dem Schicksal von Reverend Sasusa bringen kann, so gibt es doch eine entscheidende Gemeinsamkeit: Ebenso wie die Leidensfähigkeit des Reverends nach jener Nacht der Heimsuchung, ist jetzt auch die meine vollends aufgebraucht.

      4

      Der zweite ungeklärte Todesfall, der in Verbindung zu den Poltergeistern gebracht wurde, ereignete sich ein Jahr später, 1891, und betrifft Ernest Hawl. Demjenigen, der die Speedwell als Erster aus dem Nirgendwo auftauchen sah.

      Im Gegensatz zu anderen teils sehr detaillierten Schilderungen anderer Heimgesuchter, hat Farrel nichts über die Hintergründe zu Hawls Ableben zu berichten. Allerdings kam seine Betroffenheit in seinem Bericht zum ersten Mal voll zum Tragen, denn erstmals hatte es einen Menschen getroffen, dem Farrel sehr nahestand. Und zu allem Überfluss war Farrel es selbst, der die Leiche von Hawl in dessen Haus auf der Felsterrasse fand.

      Hawl hatte mit dem Rücken auf dem Boden im Korridor gelegen. Bei einer ersten Begutachtung ergaben sich keine Fremdeinwirkungen, die auf ein Verbrechen hätten hinweisen können. Erst die genauere Untersuchung der Leiche durch den Dorfarzt Dr. Pickman brachte eine erstaunliche Entdeckung ans Licht, die auch den letzten Zweifler von der Existenz der Poltergeister und ihrer tödlichen Macht überzeugen sollte. Nahm Pickman zunächst noch an, Ernest Hawl sei durch einen Herzinfarkt gestorben, so musste er zu dem Schluss gelangen, dass die Todesursache Ersticken war. In seinem Hals fand er einen Gegenstand, den Hawl seiner Meinung nach versucht hatte zu verschlucken, sich dann aber in seiner Luftröhre verklemmt hatte. Es war die Goldmünze, die Hawl auf der Speedwell gefunden hatte, aber nicht mitzunehmen vermochte.

      Wie konnte die Münze in sein Haus und dann in seinen Hals gelangen? Darauf gibt es bis heute keine plausible Antwort. Hawl wurde von jedem, der in Lost Haven lebte, geachtet. Erst die Kirche und dann der Dorfälteste. Die Einwohner fragten sich, was diese finstere Macht zu solchen Taten trieb. Ein regelrechter Exodus war die Folge. Innerhalb der nächsten zwei Jahre verließ fast die Hälfte der Einwohner das Küstenstädtchen.

      Gleichzeitig nahm die Zahl der Poltergeist-Berichte rapide ab. Man glaubte, dies sei auf die geschwundene Einwohnerzahl zurückzuführen, doch nach Farrels Aufzeichnungen begann sich die Lage, was die Zahl der Sichtungen betrifft, schon seit 1889 zu entspannen. Trotz der Toten. Auch wenn dem so war, so gab es noch ein letztes Todesopfer im Jahr 1893 zu beklagen. So wie die anderen wurde auch die Anbahnung dieses Todesfalles durch Arthur Farrel dokumentiert. Er konnte jedoch nicht ahnen, dass er selbst es sein sollte, der den Tod finden würde.

      5

      Folgende Zeilen wurden von Farrel kurz vor seinem Ableben in seinem Tagebuch notiert:

      Ich bin mir selbst nicht ganz gewiss, was mich dazu trieb, die seltsamen Berichte der letzten Jahre so beharrlich zu verfolgen. Ich wähnte mich in Sicherheit, glaubte, nicht mehr als ein neutraler Beobachter zu sein, der immun gegen den dunklen Zauber dieses Ortes ist. Erst als mein alter Freund Hawl, den ich schon von Kindesbeinen an in mein Herz geschlossen hatte, starb, spürte auch ich, wie mich ein dunkler Schleier langsam einzuhüllen begann. Diese Kälte. Diese gottverfluchte Kälte! Ich spüre sie nun immerzu. Sie umklammert mich wie ein Leichentuch.

       Es hat - wie bei den meisten