»Es ist nichts Besonderes. Nur ein Buch«, sagte ich zurückhaltend.
Peter begann zu grinsen. »War nur Spaß. Ich habe es nicht so gemeint.«
Ich war erleichtert »Schon in Ordnung. Wenn du bei mir mit einem Geschenk aufgetaucht wärst, hätte ich sicherlich ähnlich reagiert. Nur habe ich das Glück, dass du meinen Geburtstag nicht kennst.«
»Also, mit einem Präsent hätte ich nun wirklich nicht gerechnet.«
»Du kannst es später aufmachen. Also, kann es losgehen?«
»Lässt sich ja wohl kaum vermeiden«, antwortete Peter resigniert.
Nachdem wir Beverly abgeholt hatten und endlich im Restaurant am Hafen 'The Eagle' auf der geräumigen, von der Abendsonne verwöhnten Terrasse saßen, hatte ich den Eindruck, dies könnte wirklich ein ganz lustiger Abend werden. Peter und ich, wir waren in unserer momentanen Verfassung ganz bestimmt nicht die angenehmsten Gesprächspartner. Beverly aber verstand es, dieses Manko durch ihren flotten Witz und ihren unerschöpflichen Fundus an Anekdoten komplett wett zu machen. Kurz: Sie rettete den Abend.
Als wir uns das Dessert bestellten, kam es jedoch dann so, wie ich befürchtet hatte.
»Hmm! Das Himbeer-Sorbet ist fantastisch! Meint ihr nicht auch?«, fragte uns Beverly.
Ja, das Sorbet war wirklich vorzüglich. Aber für Peter und mich waren solche Wahrnehmungen nur noch rudimentär vorhanden. Für uns hatte die Welt an Farbe und an Geschmack verloren. Und das machte es schwierig, sich den Sinn für das Schöne zu bewahren.
»Ist wirklich toll«, sagte ich. »Oder, Peter?«
Ich blickte zu Peter, der rechts von mir saß, während ich das Sorbet mechanisch in mich hinein schaufelte. Peter hatte aufgehört zu essen und starrte mit bleichem Gesicht auf sein Dessert. Ich wusste genau, dass das, was er dort gerade sah, kein Sorbet war. Er ballte unter dem Tisch die Hände zu Fäusten und war am ganzen Körper angespannt.
Es ist nicht aufzuhalten. Du kannst es nicht wegsperren. Irgendwann bricht es aus dir heraus, dachte ich traurig als ich erkannte, dass mein Freund gerade eine Panikattacke durchlitt. Ich selbst hatte davon schon genug gehabt, um das zu erkennen.
»Entschuldigt mich einen Augenblick«, sagte Peter auf einmal, sprang von seinem Stuhl auf und stürmte ins Innere des Restaurants Richtung Toiletten.
Ich blieb regungslos sitzen und sah Beverly in dieAugen. Ich konnte es mir nicht verkneifen, sie auf eine Weise anzusehen, die sagte: Verstehst du jetzt, warum ich so vorsichtig bin?
Es vergingen ein paar Sekunden.
»Vielleicht gehst du besser mal nach ihm sehen«, schlug Beverly vor. Sie wirkte ein wenig zerknirscht und sprach viel leiser, als ich es von ihr gewohnt war.
»Geben wir ihm noch eine Minute«, sagte ich ruhig.
Beverly senkte enttäuscht den Blick. »Das hier«, sagte sie und deutete auf den Tisch, »war wohl doch keine so gute Idee.«
»Doch, das war es. Er fängt sich schon wieder«, tröstete ich sie. Sie hatte sich den ganzen Abend solche Mühe gegeben, für gute Stimmung zu sorgen. Und jetzt sah ich, dass sie sich nun schuldig fühlte.
»Ich gehe dann mal zu ihm«, sagte ich nach einer Weile.
Peter stand in der Herren-Toilette an einem der vier Waschbecken und ließ den Kopf zwischen den Schultern hängen. Zum Glück war gerade niemand außer uns in dem Raum.
»Und? Wolltest du nachsehen, ob ich mich in der Toilettenschüssel ertränkt habe?«, fragte Peter, ohne mich anzusehen.
»Nein«, sagte ich, schlenderte an ihm vorbei und steuerte das nächstbeste Urinal an. »Ich musste nur pinkeln. In meinem Alter kann man es nicht mehr so lange halten. Aber davon verstehst du Jungspund ja nichts.«
Peter hob immerhin wieder die Mundwinkel. Als ich fertig war, stellte ich mich an das Nachbar-Waschbecken und wusch mir gemächlich die Hände.
»Geht es wieder?«, fragte ich und sah Peters Spiegelbild an.
»Ja, aber ich glaube, ich möchte jetzt nach bald Hause. Ich habe heute Nacht nicht viel geschlafen. Ob Beverly...«
»Sie wird es verstehen«, unterbrach ich seine Frage.
Und Beverly verstand es wirklich. Als wir wieder zu ihr an den Tisch kamen, hatte sie bereits die Rechnung beglichen.
»Eigentlich wollte ich...«, begann ich.
»Keine Diskussion! Ich zahle. Es war meine Idee.«
»Vielen Dank Beverly. Das war wirklich ein schöner Abend«, sagte Peter, wobei ihm die Worte nur schwer, aber überzeugend über die Lippen kamen.
Wir setzten Beverly zu Hause ab. Es gelang mir dann doch noch, Peter zu überreden, für eine Weile zu mir zu kommen, um den Abend ausklingen zu lassen.
»Das Bier musst du aber selber mitbringen«, witzelte ich. Ich hatte Peter erzählt, dass ich keinen Alkohol mehr trank. Mehr jedoch nicht.
»Kein Problem. Ich gebe mich mit einer eiskalten Cola zufrieden.«
4
Es wurde zehn Uhr am Abend. Wir saßen in meinem großen Wohnzimmer, dessen komplette Rückseite zum Garten hin verglast war. Michelle beschwerte sich früher immer, dass, obwohl das Wohnzimmer aufs Meer zeigte, man eben jenes nicht sehen konnte, weil ein kleiner Hügel, der sich über mehrere Grundstücke erstreckte, die Sicht versperrte. Ein anderes Haus stand damals jedoch entweder nicht zum Verkauf oder überstieg mein Budget. Mir war das jedoch ganz recht, weil das Haus dadurch besser vor dem Wind geschützt war.
Peter und ich saßen hier oft gemeinsam bis spät in die Nacht zusammen. Wir ließen es dunkel und hatten, wenn überhaupt, dann nur den Fernseher als Lichtquelle stumm laufen. Viel geredet wurde nicht. Und wenn, dann sprachen wir über Sport. Meistens über Basketball. Ab und zu warfen wir beide auch ein paar Körbe auf meiner Garagenauffahrt.
An diesem Abend verfielen wir, wie so oft, wenn uns die Vergangenheit einholte, in ein langes Schweigen.
Irgendwann stand ich von meiner Couch auf und ging zur Hifi- Anlage, über der ich in einem großen Regal meine umfangreiche CD-Sammlung aufbewahrte. Ich brauchte nicht lange zu suchen. Für diese Momente hatte ich immer die passende CD. Und was würde in dieser Nacht besser passen als Beethoven Mondscheinsonate? Es war Peters Lieblingsstück. Immer wenn der Druck zu groß wurde und wenn die Erinnerung zu schmerzhaft war, bedienten wir uns der Musik. Wir mussten nicht über das sprechen, was uns bedrückte. Das übernahm die Musik für uns, denn sie war unser Kommunikationsinstrument. Wenn wir der Musik lauschten, bedurfte es keinerlei Worte. Nur wenn die Musik spielte, gab es unter uns ein einvernehmliches Verstehen, ein Teilen, das zwar nicht tröstlich, aber notwendig war. Notwendig zum Weiterleben.
Wir ließen die Klavierklänge durch den Raum driften, bis sich unsere Gedanken auf die gleiche Frequenz einstellten. Ich dachte daran, wie es wäre, wenn ich wieder mit meiner Tochter zusammen wäre. Wie ich sie zum Lachen bringen würde, und wie sie stolz auf ihren Papa wäre. Das mag für Sie vielleicht naiv oder infantil klingen, aber ich werde mich dafür garantiert nicht schämen, weil es ungeheuer gut tat. Peter, der auf dem Sessel mir schräg gegenüber saß, sah das, was nur für seine Gedanken bestimmt war, und was für ihn unerreichbar war. Und so saßen wir im Dunkeln, lauschten der Musik, schauten durch uns hindurch und blickten in eine Gegenwart, die nicht existierte.
5
Es war weit nach Mitternacht, als Peter schließlich gehen wollte.
»Ich werde morgen noch mal Beverly anrufen und mich bei ihr für den schönen Abend bedanken. Ich dachte schon, ich würde heute alles versauen«, sagte Peter, als er sich seine Jacke anzog.
»Das