Desiderius konnte förmlich spüren, wie sich die Falte zwischen seinen Augen vertiefte. »Reden wir hier von Sklaven?«
»Wir befreiten viele«, sagte Ragon dazu nur mit sehr ernster Stimme. Dann sah er plötzlich zur Seite, durch die Bäume hindurch. »Aber dann offenbarte sich uns das ganze Ausmaß dieses Verrates. Diejenige, die die Königin ermordete, ist kein Wesen aus unserer Welt.«
Desiderius sah ihn fragend an, doch statt sich weiter zu erklären, wandte Ragon sich ab, ging noch einige Schritte und deutete dann nach unten.
Neugierig trat Desiderius neben ihn und wäre beinahe eine plötzliche steile Klippe hinabgestürzt, die sich unmittelbar wie der Rachen eines Ungeheuers unter ihnen auftat. Dort unten sah er, was ihm den Atem stocken ließ. Ein Heerlager in mitten des Waldes unter ihnen. Sechshundert Mann, schätzte sein geübtes Auge.
»Was ist das?«, hauchte er und ging in die Hocke. Es brannten Feuer, aber es standen keine Zelte, die Soldaten standen wie zum Befehl bereit, keiner rührte sich. Mehr Statuen als lebendige Wesen.
»Selbst die Frauenstämme sind vor ihr geflohen.« Ragon lehnte sich mit der Schulter an den Baum. »Sie nennt sich die Herrin, und sie ist hier, um auch euch zu stürzen. Euch alle.«
Desiderius sah noch eine Weile auf das Heer hinab, während er im Geiste bereits fieberhaft nach Schlachtplänen und ebenso nach anderen Lösungen forschte. Er konnte den Blick nicht von dem Feind abwenden, der dort unten zu lauern schien und von dem etwas Fremdartiges, Bedrohliches ausging. Die Gefahr stank bis zu ihnen hinauf.
»In Ordnung«, hörte er sich sagen, »erzählt mir alles ganz genau.«
*~*~*~*
»Es tut mir so leid«, flüsterte Kacey voller Reue an Fens Schulter. Noch immer klammerte er sich an dessen Arm und versteckte sich halb hinter dessen Rücken. Doch die fremden Männer, die wie aus dem Nichts aufgetaucht waren, beachteten sie gar nicht. Höchstens dieser große, schlanke Kerl mit unheimlich schwarzen Augen, der immer wieder mit einem Habichtblick zu ihnen rüber starrte, als ob er fürchtete, sie könnten sich heimlich davon gemacht haben. Ansonsten ließ man sie in Ruhe.
Wer waren all diese Männer? Warum hatten sie bereits an der Ruine auf sie gewartet, als Ragon gelandet war? Kacey hatte während der ganzen Aufregung nicht viel mitbekommen. Es war ihm alles zu viel gewesen, die Stadt, die Lichter, der Lärm und dann diese vielen Leute um ihn herum, die aufgebracht und nervös schienen. Bis dieser große Kerl mit den schwarzen Augen, von dem eine tiefdüstere, wabernde Aura ausging, recht bestimmt Ragon befohlen hatte, den Mann im Maul sofort auszuspucken. Was der Drache auch getan und sich dann zurückverwandelt hatte.
Dann hatte dort ein Bewusstloser gelegen, um den sich alle gescharrt hatten, während Ragon seine Wunden selbst verbunden und seine Maske übergestreift hatte. Nun war Ragon fort, gemeinsam mit einem der Fremden, und Kacey zitterte noch immer am ganzen Leib vor Aufregung. Er kam sich ja so dumm vor. Das ganze Chaos war seinetwegen ausgebrochen, das spürte er ganz deutlich.
Und er spürte auch Fens Ärger, der sich unverkennbar auf seine verhärteten Züge eingeschweißt hatte, was nur zu Kaceys Verzweiflung beitrug.
»Es tut mir ja so leid«, beteuerte er wiederholt und schmiegte das tränennasse Gesicht an Fens Arm.
Dieses Mal seufzte Fen und drehte sich endlich zu ihm um. »Jetzt setz dich, du zitterst wie ein Aal!«
Fen drückte Kacey auf eine umgestürzte Mauer. Das Moos darauf war klamm und durchnässte seine Hose, aber es tat gut, zu sitzen.
Als Fen sich wieder abwenden wollte, umfasste Kacey dessen Hände und zog ihn zu sich herum. Mit großen feuchten Augen sah er zu ihm auf. »Ich wollte wirklich nicht, dass Ragon verletzt wird! Ich hab gedacht, wenn ich allein gehe, muss er seinem Vater nicht begegnen und …« Er verstummte verzweifelt, als er Fens harten Blick bemerkte. Ernüchtert ließ er den Kopf hängen und schniefte. »Du hasst mich jetzt, weil ich Ragon in Gefahr gebracht habe.«
Fen seufzte und ging vor ihm in die Hocke, seine Hände waren warm, als er Kaceys kalte Finger umfasste und zudrückte. »Ich hasse dich nicht. Ich hatte nur furchtbare Angst um dich. Das hatten wir beide.«
Zögerlich hob Kacey den Blick. Und Fen rang sich ein leichtes Lächeln ab.
»Ragon ist schon ein Großer«, sagte Fen eindringlich und knuffte Kaceys zartes Kinn, von dem Tränen tropften, »den haut nichts zu schnell um, also mach dir keine Sorgen um ihn. Es waren nur ein paar Kratzer.«
Kaceys Herz zog sich schmerzhaft zusammen. »Ich hatte solche Angst… als die ganze Stadt ihn angriff … und… wenn du nicht so schnell dagewesen wärst…«
»Ich bin mit Ragon geflogen und vor der Stadt abgesprungen, damit sie mich nicht kommen sehen. Ich wusste, dass etwas schief gehen würde. Ragon hat nicht nachgedacht, er wollte nur so schnell wie möglich zu dir.«
Kaceys Lippe zitterte unkontrolliert. »Ihr wart wegen mir in Gefahr. Wegen mir war alles in Gefahr. Und ich habe mich so … hilflos, so klein gefühlt. Ich konnte nichts tun, Fen, ich war so … machtlos … während Ragon verletzt wurde… ich… ich wollte ihm helfen, aber ich konnte rein gar nichts tun…«
»Schsch.« Fen legte ihm einen langen Finger über die Lippen, bis er schwieg, und strich ihm dann beruhigend über den Kopf. »Denk nicht darüber nach. Es ist vorbei und uns geht es gut. Alles andere ist nicht wichtig, in Ordnung?« Doch dann wurde sein Blick sehr ernst und seine buttergelben Augen blitzten feurig auf. »Aber tu so etwas nie wieder! Hörst du? Keine Alleingänge, vor allem nicht, ohne uns Bescheid zu geben! Das macht eine Gemeinschaft aus, Kacey. Wir sind deine Gefährten, du darfst uns nicht so einfach hintergehen.«
Erschrocken sah er Fen an. »Ich würde euch nie hintergehen! Ich wollte doch nur Ragon schütz-…« Als er Fens leicht spöttischen Blick bemerkte, senkte er beschämt den Blick.
Sie wussten beide, warum er davongelaufen war. Er hatte sich zu sehr geschämt, von Ragon zurückgewiesen worden zu sein.
Fen atmete matt aus und trocknete Kaceys Wangen, indem er ihm mit den Knöcheln das Gesicht trockenwischte. »Es hängt so viel von dir ab, Okiniiri.«
Kacey blinzelte überrascht. Hatte Fen ihn gerade wirklich Liebling genannt?
»Tu nie wieder so etwas Leichtsinniges«, beschwor ihn Fen und in seinen mandelförmigen Augen konnte man die Furcht sehen, die er um Kacey gehabt hatte.
»Ist das alles, was für euch zählt?«, fragte Kacey matt. »Dass viel von mir abhängt?«
»Bei der Mutter, nein!«, stöhnte Fen und rang die Hände in die Luft, als wollte er Kacey am Hals packen und aus Verzweiflung schütteln. »Es geht mir allein um dich! Selbst, wenn du nur ein dümmlicher Bauer wärst, der nur noch sabbern könnte, weil ihm zu viele Kokosnüsse auf den Kopf gefallen sind, würde ich dich mit meinem Leben schützen!«
Kacey musste schmunzeln, zum ersten Mal seit er sich davongeschlichen hatte und alles im Chaos geendet war.
Fen seufzte und streichelte ihm die von den Tränen kalte Wange zärtlich mit dem Daumen. »Ich täte alles für dich. Wir sind …« - er nahm Kaceys Hände und legte sie sich feierlich über sein kräftig schlagendes Herz - »… Brüder.«
Kaceys Lippe zitterte vor Rührung und er warf sich an Fens Hals, der beinahe deshalb nach hinten umgekippt wäre. Leise lachend legte Fen schließlich die Arme um Kaceys dürren Leib und drückte ihn ganz fest an sich.
»Ich liebe dich, Fen«, schniefte Kacey. Er kam sich so dumm vor wegen dem, was er angerichtet hatte. Wie ein naives, trotziges Kind. Vielleicht war er das auch, er fühlte sich jedenfalls so.
Fen seufzte: »Und ich liebe dich, mehr als mich selbst.«
Kacey spürte neue Tränen, doch dieses Mal aus Dankbarkeit. Das Schicksal hatte ihm die Mutter und somit die einzige Familie genommen, die er gekannt hatte, es hatte ihn zum Gefangenen gemacht – aber ebenso hatte es ihn in Ragons und Fens