Eigentlich wollte ich diese Worte für mich behalten. Doch nun haben sie meinen Mund verlassen und ich kann sie nicht mehr zurücknehmen.
„Solange ich dich habe, wird mir nichts passieren.“ Seine Stimme ist sanft. Dann nimmt er mein Gesicht in seine Hände und küsst mich.
„Ich liebe dich“, flüstere ich, nachdem er sich von mir gelöst hat. Dabei lasse ich mich an seine Brust sinken.
„Und ich liebe dich.“ Mehr sagt Toli nicht, sondern schlingt seine Arme um mich.
Mein Gefühl sagt mir, dass wir in Schwierigkeiten stecken, dass das hier nur die Ruhe vor dem Sturm ist. Und vor allem sagt mir mein Gefühl, dass meine Eltern noch das kleinere Problem sind. Doch ich kann es nicht einschätzen, aus welcher Richtung die Gefahr kommt.
Deswegen bleibt mir nichts anderes übrig, als abzuwarten und zu hoffen, dass ich gewappnet bin.
3
Anatoli
„Jeder da draußen soll wissen, dass ich nun der Boss bin. Von mir aus kann es jeder wissen, der auf der Straße spazieren geht. Es ist mir egal, wie oft sie meinen, sich hinter meinem Rücken an meinen Vater zu wenden und meinen, dass sie ihm die Ohren voll jammern können. Ich kann machen was ich will und muss mich vor niemandem mehr rechtfertigen.“
Sämtliche Muskeln in meinem Körper sind angespannt, während ich das sage. Jeder da draußen soll wissen, dass er sich nicht mit Sarah anlegen sollte, weil er damit mich auf den Plan ruft. Und erst Recht derjenige, der es auf uns abgesehen hat. Denn es ist mir egal, ob Sarah das eigentliche Ziel dieser Schießerei war. Wer auch immer dahinter steckt, hat es wahrscheinlich auf sie abgesehen und sich damit mit mir angelegt. Und das werde ich ihn auch spüren lassen.
„Und hast du auch schon einen Plan, wie du das anstellen willst?“ Viktor zieht skeptisch die Augenbrauen nach oben. Auf diese Weise gibt er mir zu verstehen, dass er nicht ganz davon überzeugt ist. „Ich bin mir sicher, dass es egal ist, wie sehr du es ihnen unter die Nase hältst. Sie werden sich bei deinem Vater melden, weil sie versuchen werden, euch gegeneinander auszuspielen. Du weißt, dass das in der Vergangenheit in anderen Familien schon funktioniert hat. Sie werden der Meinung sein, dass sie mit ihm einen besseren Deal machen können, weil er schon länger im Geschäft ist und dafür werden sie dich so hinstellen, als hättest du keine Ahnung von dem, was du da machst.“
„Ich weiß. Und damit rechne ich auch. Man kann sagen, dass ich es vielleicht sogar hoffe. Genauso wie ich davon ausgehe, dass sie toben werden vor Wut, wenn sie erfahren, dass ihnen nichts anderes übrig bleibt, als sich damit abzufinden, dass mein Vater hier nichts mehr zu sagen hat. Er wird keinen Zweifel daran lassen, dass er damit nichts zu tun haben will. Aber sie werden sich auch wieder beruhigen und dann verstehen, dass ihnen keine andere Wahl bleibt, wenn sie Geld verdienen wollen. Denn wenn sie nicht mit mir zusammenarbeiten, werden sie das mit niemandem.“
Viktor will etwas erwidern, doch er kommt nicht weiter, als den Mund zu öffnen. Mit Schwung wird die Tür geöffnet und meine Mutter erscheint auf der Bildfläche. Mit ihrer gewohnten guten Laune kommt sie herein und stellt sich neben ihn. Keine Sekunde lässt sie mich aus den Augen.
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich sie jemals richtig wütend gesehen habe, obwohl sie oft genug einen Grund dafür gehabt hätte. Alexej und ich haben oft genug Mist gebaut. Und zwar richtigen Mist. Auf der anderen Seite bin ich aber sicher, dass ihre positive Einstellung ihr dabei geholfen hat, in diesem Wahnsinn nicht durchzudrehen.
„Was gibt’s?“, frage ich sie, als sie keine Anstalten macht, etwas zu sagen. Ich habe das Gefühl, als würde etwas in ihrem Kopf vor sich gehen, was ich gerade nicht einschätzen kann.
Einen Moment sieht sie mich noch an. Doch dann wendet sie sich jedoch Viktor zu, der anscheinend auch nicht weiß, was er von ihrem Verhalten halten soll.
„Lässt du uns kurz alleine?“, fragt sie ihn.
„Sicher, ich muss mich eh noch um ein paar Sachen kümmern.“
Mit diesen Worten sieht er mich ein letztes Mal an, als würde er sich vergewissern wollen, ob es wirklich in Ordnung ist, wenn er geht. Deswegen nicke ich nur. Wenn meine Mutter ankommt und sich unterhalten will, muss etwas passiert sein. Und ich will wissen, was es ist.
Viktor dreht sich um und lässt uns schnell alleine. Ihm ist anzumerken, dass die Stimmung ihm unangenehm ist. Und da er nicht zwischen die Fronten geraten will, haut er lieber schnell ab.
„Was gibt’s?“, stelle ich meine Frage ein zweites Mal.
„Ich bekomme dich so selten zu Gesicht, dass ich mich einfach mal mit dir unterhalten will.“ Noch immer grinst sie mich frech an.
„Wieso glaube ich das nicht?“ Wenn sie so drauf ist, werde ich automatisch vorsichtig. Noch mehr, als bei meinem Vater.
„Ich dachte mir, dass wir über Sarah sprechen“, beginnt sie und kommt damit endlich zum Grund ihres Besuchs.
Ohne mich aus den Augen zu lassen, setzt sie sich auf einen der Stühle, die dem Schreibtisch gegenüber stehen.
Von einer Sekunde auf die andere spanne ich mich erneut an. Vom ersten Moment ihrer Ankunft in Miami sah es für mich so aus, als würden die beiden sich gut verstehen, als hätten sie einen Draht zueinander. Und ehrlich gesagt war ich froh darüber. Ich habe schon genug zu tun. Da habe ich nicht auch noch Lust und Zeit meiner Mutter zu erklären, wieso Sarah die Frau ist, die ich liebe. Nun kommt es mir aber zum ersten Mal in den Sinn, dass genau das nicht der Fall gewesen sein könnte.
„Was sollte mit Sarah sein?“, erkundige ich mich also vorsichtig.
Ich bin mir gerade nicht sicher, ob ich die Antwort darauf wissen will. Doch wenn es um Sarah geht, geht es mich etwas an. Sie ist schließlich die Frau an meiner Seite. Und meine Mutter ist die Frau, die es schafft, dass ich bei diesem Thema nervös werde.
„Ich muss zugeben, dass ich sie bewundere. In ihrem Alter hatte ich nicht immer ein klares Ziel vor Augen. Ich weiß, du bist kein Fan ihrer Eltern und nach allem, was ich gehört habe, kann ich auch nicht behaupten, dass ich sie mag, ohne sie überhaupt zu kennen. Ich gehe aber mal davon aus, dass ich sie früher oder später treffen werde. Aber in diesem Teil haben sie wirklich gute Arbeit geleistet.“
Meine Mutter legt eine Pause ein. Ich habe keine Ahnung, worauf sie hinaus will und ziehe es deswegen vor besser zu schweigen.
„Sie ist stark und weiß, was sie will. Sie ist in einer Welt groß geworden, die so komplett anders ist, als die, in der du geboren wurdest.“
„Das weiß ich“, sage ich.
Auf diese Weise will ich ihr klarmachen, dass es unnötig ist, wenn sie mir das noch einmal vor Augen führt.
„Dann wirst du wahrscheinlich auch wissen, dass dies hier eine komplett neue Situation für sie ist. Eine Welt, in der sie erst ihren Platz finden muss, was nicht immer einfach ist. Ich spreche da aus Erfahrung. Deswegen hoffe ich, dass du hinter ihr stehst und sie unterstützt. Ich weiß, dass du auch viel um die Ohren hast, doch Sarah sollte an erster Stelle stehen. Egal, was in deinem Leben los ist. Deine Welt steht und fällt mit ihr.“
Ihre Worte sorgen dafür, dass ich mich sichtlich entspanne. Ich weiß, wie meine Mutter ist, wenn sie jemanden nicht mag. Und das hier ist nun das komplette Gegenteil.
„Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen“, stelle ich fest.
„Sie ist ein gutes Mädchen und mit dir an ihrer Seite kann sie die Frau werden, die sie sein soll. In ihr schlummert nämlich eine Energie, die ich so noch nie gesehen habe. Sie wartet nur darauf, endlich auszubrechen. Und auch du wirst mit ihr der Mann, der du sein sollst. Zusammen seit ihr ein unschlagbares Team.“
„Du brauchst dir wegen Sarah wirklich keine Sorgen zu machen. Sie ist bei mir in Sicherheit.“