„Du weißt, dass ich nicht den Teufel an die Wand malen will. Das war noch nie meine Art und erst Recht nicht, wenn es um Sarah geht. Sie ist ein nettes Mädchen und muss erstmal ankommen. Deswegen gefällt mir dieser Gedanke auch überhaupt nicht. Aber könnte es vielleicht auch sein, dass sie das Ziel war?“
Viktor sieht mich unsicher an. Ich weiß, dass es ihm schwerfällt, diese Worte auszusprechen. Umso mehr bin ich ihm dankbar, dass er es getan hat.
Könnte er es wirklich auf Sarah abgesehen haben?
Will mir jemand schaden, in dem er sie umbringen lässt?
Will mir jemand zeigen, dass er stärker ist als ich? Dass ich sie nicht beschützen kann?
Wenn es so sein sollte, dann hätte derjenige mich die ganze Zeit über beobachten müssen.
Ich kenne die Antworten auf diese Fragen nicht. Doch sie halten mir vor Augen, dass ich sie nicht mehr aus den Augen lassen darf. Erst recht jetzt nicht mehr. Wer auch immer von uns beiden das Ziel war, ich werde seinen Auftraggeber finden und jeden zur Verantwortung ziehen, der daran beteiligt ist.
Niemand legt sich mit mir oder meiner Frau an und kommt ungestraft davon. Und dabei ist es mir egal, wer dahinter steckt. Er wird bluten.
2
Sarah
Ich kann nicht gerade behaupten, dass es nicht von Anfang an merkwürdig gewesen sei, einem Mitglied der Mafia näherzukommen. Vor allem näherzukommen, als ich es jemals wollte. Mein Verstand hatte mir geraten auf Abstand zu ihm zu gehen und spätestens dann, als ich die Wahrheit über ihn erfahren habe, hätte ich genau das machen sollen. Zu diesem Zeitpunkt war ich allerdings nicht mehr in der Lage, genau diesen Schritt zu gehen. Wenn es um ihn geht, handle ich nicht nach meinem Verstand, sondern nur nach meinem Herzen.
Als ich mich in ihn verliebt habe, war es noch merkwürdiger für mich. Doch zu wissen, dass er nun niemandem mehr Rechenschaft abliefern muss, ist etwas völlig anderes. In ihm steckt etwas, von dem ich mir sicher bin, dass es irgendwann zum Vorschein kommen wird.
Ich habe keine Angst vor ihm. Keine Ahnung, woher ich diese Gewissheit nehme, doch ich weiß, dass er mir niemals etwas antun würde. Und deswegen ändert das Wissen darüber, dass er nun der Boss ist, nichts an meinen Gefühlen für diesen Mann. Auch, wenn es das wahrscheinlich sollte.
Ich wurde so erzogen, dass ich auf der sicheren Seite des Lebens stehe, sämtlichen Gefahren aus dem Weg gehe. Und ich weiß, dass Toli für all diese Gefahren steht, denen ich in den letzten Jahren aus dem Weg gegangen bin.
Als er betont hat, dass sich zwischen uns nichts ändern wird, habe ich ihm geglaubt. Und das tue ich auch jetzt noch. Deswegen bleibt mir nur noch übrig abzuwarten, was diese Veränderung für mich persönlich bedeutet. Und das sich dadurch nicht nur mein Liebesleben ändern wird, ist mir durchaus bewusst. Obwohl ich den Umfang noch nicht genau abschätzen kann.
„Oleg hat mir gestern Abend von der Unterhaltung mit Anatoli berichtet. Ich weiß, dass es sicherlich nicht einfach für dich ist“, erklärt Ludmilla und setzt sich dabei neben mich an den Tisch. Mit einem freundlichen Lächeln auf dem Gesicht bedenkt sie mich. „Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie es damals für mich war, als Oleg die Geschäfte von seinem Vater übernommen hat. Ich dachte, ich werde wahnsinnig“, erklärt sie lachend und verzieht dabei ein wenig das Gesicht.
„Wieso?“ Neugierig sehe ich sie an.
„Ich habe mich nie sehr gut mit meinen Schwiegereltern verstanden. Da ich nicht aus ihrer Welt kam, auf jeden Fall nicht so direkt, wie sie es sich gewünscht haben, war ich für sie immer eine Außenseiterin. Oft habe ich versucht mit ihnen zu sprechen, aber jedes Mal … genug davon. Dementsprechend hat mir aber auch niemand geholfen, mich in meine neue Rolle einzufügen. Oleg hat es zwar versucht, aber er war zu sehr damit beschäftigt, ein Chef zu werden.“
„Das tut mir leid“, murmle ich.
„Das muss es nicht. Ja, am Anfang habe ich die beiden dafür verflucht, vor allem meine Schwiegermutter war ein regelrechtes Monster. Irgendwann wurde Oleg und mir aber bewusst, dass es eine Chance für uns war. Eine Chance, Dinge zu verändern und unseren eigenen Weg zu gehen. Und genau das haben wir auch getan.“
„Das war sicherlich nicht immer einfach“, stelle ich fest, nachdem ich über ihre Worte nachgedacht habe.
„So kann man es auch ausdrücken. Mein Schwiegervater hat Oleg immer an der kurzen Leine gehalten. Selbst dann noch, als er eigentlich der Chef war. Bei Toli und Oleg war das immer anders. Deswegen weiß mein Sohn sehr wohl, was er macht und wie er auf Probleme reagieren muss, auch wenn er sicherlich das Gegenteil meinen würde. Aber Oleg hat nur selten eingegriffen in den letzten Jahren und sich vieles von außerhalb angesehen. Wenn ich genau darüber nachdenke bin ich mir doch sicher, dass Toli denkt, dass er nichts mitbekommen hat, oder zumindest nur selten.“ Ihr leises Lachen erfüllt den Raum. „Toli weiß, wie weit er gehen kann und muss, um die Interessen der Familie durchzusetzen und diejenigen zu beschützen, die ihm etwas bedeuten. Ich kenne meinen Sohn. Deswegen kann ich dir mit Gewissheit sagen, dass er dich nicht an sich herangelassen hätte, wenn er nicht gedacht hätte, dass du auch mit dieser Rolle klarkommst. Schließlich wusste er von Anfang an, dass es früher oder später so weit sein wird. Und wenn was ist, kannst du dich immer bei mir melden. Ich bin nicht so ein Drache, wie meine Schwiegermutter es war.“ Ludmilla lacht leise, wird aber sofort wieder ernst.
„Danke“, murmle ich.
„Mach dir keine Sorgen. Es wird vielleicht ein wenig dauern, doch ich bin mir sicher, dass auch ihr euren Weg finden werdet.“
Ein letztes Mal lächelt sie mich noch aufmunternd an, ehe sie aufsteht und so schnell verschwindet, wie sie aufgetaucht ist. Nachdenklich schaue ich ihr nach.
Doch es ist egal, wie sehr ich mir den Kopf darüber zerbreche, ich muss sagen, dass sie recht hat. Ich habe seit unserer ersten Begegnung schon vieles erfahren und kann mir daher sehr wohl vorstellen, dass er nicht immer der Mann ist, der er in meiner Gegenwart ist. Außerdem habe ich schon genug von diesen Kreisen gehört um zu wissen, dass nicht jeder eine Begegnung mit Mitgliedern der Mafia überlebt. Da mache ich mir nichts vor. Doch das schreckt mich nicht ab. Ich liebe diesen Mann und dabei ist es mir egal, wer er ist. Allerdings kann ich dies vor meiner Schwester und meinen Freundinnen nicht zugeben.
Sie würden mich für bescheuert erklären.
Und ja, vielleicht bin ich das ja auch. Doch in meinen Augen hat er bereits bewiesen, dass er mich immer beschützen wird. Auch wenn ich mir darüber bewusst bin, dass er durchaus in der Lage ist, Leben zu beenden und das wohl auch schon öfter getan hat, als ich es eigentlich wissen will.
Ich bin so sehr in meine Gedanken versunken, dass ich erschrocken zusammenzucke, als das Klingeln meines Handys an mein Ohr dringt. Schnell ziehe ich es aus der Hosentasche und werfe einen Blick auf mein Display. In großen Buchstaben steht der Name meiner Schwester darauf.
Robyn hatte schon immer das Talent, sich im richtigen Moment bei mir zu melden. In diesem habe ich gerade allerdings überhaupt keine Lust, mich mit ihr zu unterhalten. Ich habe genug eigene Probleme. Da will ich mich nicht auch noch mit Schwierigkeiten bei der Hochzeitsplanung oder sonst was herumschlagen. Allerdings weiß ich, dass sie so oft versuchen wird mich zu erreichen, bis ich endlich ans Telefon gegangen bin und dann wird sie mich fragen, wieso ich nicht erreichbar war. Deswegen bringe ich es lieber jetzt hinter mich, als später.
„Hi“, begrüße ich sie gut gelaunt, nachdem ich das Gespräch entgegengenommen habe.
„Würdest du mir jetzt mal sagen, wo du genau bist? Ich weiß nur, dass du geschäftlich nach Miami musstest“, kommt sie sofort zur Sache. „In der letzten Zeit haben wir nur kaum miteinander gesprochen.“
„Ja, ich bin aus geschäftlichen Gründen in Miami. Doch nicht wegen