Die Sittenlosigkeit und Unwissenheit des Klerus war, wie erheblich auch immer, doch nicht so groß, wie sie ausgeschrien wurden; es sollte sich bald zeigen, wieviel tüchtige, ja hervorragende Elemente sowohl unter den Bischöfen wie unter Pfarrern und Mönchen sich noch befanden. Unbestreitbar aber hatte die Kirche einen anderen, einen massiven, aufdringlich unverschämten Fehler: sie war zu reich. Sie brütete wie ein Lindwurm auf sagenhaft unermesslichen Schätzen unbeweglich, wartend, dass die goldenen Eier anschwollen und sich mehrten. Hier war der Hort, den Reineke dem König vorspiegelte. Voll grimmigen Neides umschlichen ihn die Braun und Isegrim sowohl wie die Hinz und Henning und sogen sich mit blanken Augen an dem feisten Wanst des Wurmes fest. Er sah mit stillem Lächeln die Gier entbrennen, denn er war durch kanonisches Recht und Reichsgesetze gesichert. Das Kirchengut durfte nicht angetastet und seiner Bestimmung nicht entfremdet werden: man nannte das Inalienabilität; wer wagen sollte, sich kirchlichen Besitz anzueignen oder ihn für andere als kirchliche Zwecke zu verwenden, würde nicht nur von der Hölle verschlungen, sondern von Acht und Bann getroffen werden. Es scheint ein Widerspruch zu sein, dass trotz wachsender Raublust die Schenkungen an die Kirche eher zunahmen als sich verminderten; aber das hing zusammen mit der Lehre von den guten Werken, in deren Ausübung die Religiosität der meisten Menschen sich auswirkte. Indessen das Geld hat magnetische Kraft, die unwiderstehlich wird, wenn eine große Menge in verhältnismäßig wenigen Händen angesammelt ist, und es übt sie aus, indem es immer mehr Geld und zugleich mehr Habgier an sich bannt. Die böse Lust wurde in Schranken gehalten, solange die Kirche die einzige Kulturträgerin war und solange das, was ihr vom Volk zugewendet war, in unzähligen Kanälen zu ihm zurückströmte, sei es durch die Armenpflege, durch Schulen oder dadurch, dass die Kirche die Stelle der Banken vertrat. Seitdem aber die Städte einen großen Teil dieser Leistungen übernommen hatten und der Klerus nicht mehr durch vorbildliches Verhalten den Schutz der Gesetze zu verdienen schien, wurde es zum Schlagwort, dass das Kirchengut dem gemeinen Nutzen nicht mehr diene und dass es notwendig sei, es dem gemeinen Nutzen auf irgendeine Art wieder zuzuführen. Gerade das, dass der Reichtum der Kirche nur der Kirche dienen sollte, Besitz in toter Hand war, erschien als unerträgliche Ungerechtigkeit und volkswirtschaftlicher Unsinn, nun sich unter dem Deckmantel des Gottesdienstes die Wollust von Heuchlern und Nichtstuern verbarg. Am meisten Vorteil von der Kirche hatte der niedere Adel. Die ritterlichen Familien pflegten von ihren Kindern die besonders kräftigen zur Heirat auszulesen, die schwächeren wurden in Stiften und Klöstern untergebracht, die man deshalb die Spitäler des Adels nannte. Die Bistümer, auch vielfach in der Hand von Rittern, begannen im 15. Jahrhundert von den Fürsten in Anspruch genommen zu werden; andererseits suchten die Fürsten sich nach Möglichkeit in das Kirchenregiment einzumischen, wozu das Vogteirecht eine Handhabe bot, und die in ihrem Gebiet liegenden Kirchengüter demselben einzuverleiben. Nicht weniger fühlten sich die Städte durch Klöster und Stifte gehemmt und ärgerten sich noch mehr als die Fürsten über die Steuerfreiheit des Klerus; denn die Fürsten konnten sich dadurch entschädigen, dass sie sich von ihren Ständen, zu denen der Klerus gehörte, freiwillige Beiträge zahlen ließen.
Der Kampf um das Bistum Brixen zeigt, wie weit die fürstlichen Ansprüche sich hervorwagten, und welche Anstrengungen die Kirche machen musste, um ihre alte Macht zu behaupten. Bereits war dem Staat mancher Vorstoß in die Festung der kirchlichen Rechte gelungen, und zwar gerade von Seiten besonders kirchlicher Fürsten. So hatten Ferdinand und Isabella, die sich die katholischen Könige nannten, als wären sie es in einer bestimmteren Art als andere, die spanische Kirche in hohem Grad von sich abhängig gemacht, und von dem sehr kirchlichen Herzog Georg von Sachsen wird die Äußerung berichtet, er sei in seinem Land Papst, Kaiser und Deutschmeister. Ähnlich soll sich der Herzog von Cleve ausgesprochen haben, und sicher war dies das geheime Ziel aller Staatsmänner. Während sie es zu erreichen suchten, indem sie irgendeine Gelegenheit benützten, in eine zufällige Lücke zu schlüpfen, kämpfte Gregor von Heimburg grundsätzlich. Er fuhr fort, den Primat des Papstes zu bestreiten, und riss einige Fürsten, sogar geistliche, mit sich fort. Erzbischof Jakob von Trier verlangte ein Konzil, um einen Druck auf den Papst auszuüben; nach seinem Tod setzte Dietrich von Erbach, Erzbischof von Mainz, seine Politik fort, unterstützt und angespornt durch den Heidelberger Martin Mayr, seinen Kanzler. Die Ausschreibung eines Ablasses durch den Papst verstärkte die Opposition; denn die Beschwerden, die man gegen den Papst hatte, betrafen zumeist die finanzielle Ausbeutung, und deren ertragreichstes Mittel waren neben den Annaten die Ablässe, die von Zeit zu Zeit verkündet wurden.
Jakob von Eltz, eigentlich Jakob von und zu Eltz, auch Jakob zu Eltz (* 1510 auf Burg Eltz bei Münstermaifeld; † 4. Juni 1581 in Trier), war von 1567 bis zu seinem Tode 1581 als Jakob III.
Dietrich von Erbach (1434-1459) Mainzer Erzbischof
Getragen von der allgemeinen Entrüstung, schrieb Martin Mayr im Jahr 1457 einen Brief an Enea Silvio Piccolomini, in welchem er das Wesentliche, was die deutsche Nation dem Papst vorwarf, in 10 Punkte zusammenfasste.
Enea Silvio Piccolomini (1405–1464), einer der bedeutendsten Humanisten und Diplomaten der Frührenaissance, wurde 1458 zum Papst gewählt.
Sie betrafen die Eingriffe des Papstes in die Wahl der Prälaten, deren Freiheit durch Dekrete des Konstanzer und Baseler Konzils gesichert war, übertriebene Geldforderungen wie die durch Ablässe, Türkensteuer und über das festgesetzte Maß hinausgehende Annaten, schließlich Eingriffe in die Gerichtsbarkeit, indem der Papst alle Prozesse vor sein Tribunal zu ziehen suchte. Wenn diese Missbräuche nicht abgestellt würden, werde es zum Abfall von Rom kommen.
Dieser Brief Martin Mayrs hätte noch größere Wirkung ausgeübt, wenn der Druck damals schon erfunden gewesen wäre; aber unter den Gebildeten wurde er verbreitet und ist denkwürdig als das erste halböffentliche Dokument, das die Beschwerden der Deutschen gegen den Papst aufzählte. „Tausend Schliche werden ersonnen“, hieß es in dem Brief, „wie der Römische Stuhl uns Barbaren das Geld auf eine feine Art aus dem Beutel ziehen kann. Unsere ehemals so berühmte Nation, die mit ihrer Tapferkeit, ihrem Blut das Römische Reich zusammengebracht hat und die Herrscherin und Königin der Welt war, ist jetzt in Armut gestürzt, Sklavin und zinsbar geworden.“ Wenn sich Martin Mayr an Piccolomini wandte, geschah es wohl deshalb, weil man wusste, welchen Einfluss er im Interesse des Papstes auf den Kaiser ausgeübt hatte, und weil er unter allen Italienern der einzige war, der die deutschen Verhältnisse gut und aus eigener Anschauung kannte. Piccolomini gab zu, dass die Deutschen dem Heiligen Stuhl Geld darbrächten, sie aber hätten von Rom den christlichen Glauben empfangen. Wer habe dem andern mehr gegeben?
Zu so höhnischer Antwort berechtigte Piccolomini die Bestechlichkeit der Fürsten. Sowohl Trier wie Mainz ließen sich die Opposition abkaufen, wenn nur genug gezahlt wurde. Es gelang in diesem Fall dem Markgrafen Albrecht Achilles, den Mainzer für den Kaiser und damit für den Papst zu gewinnen, Martin Mayr ging zum Pfalzgrafen über, der in der Hoffnung, römischer König zu werden, die Opposition weiterführte.
Dietrich von Isenburg (* 1412, † 1382)
Ein Jahr schon, nachdem Martin Mayr seinen berühmten Brief erlassen