Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski. Ricarda Huch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Серия: gelbe Buchreihe
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783754180402
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ihm, die Reichshilfe im einzelnen Fall erwirkt zu haben. Grundsätzliche Beschlüsse zur Ordnung des Reichs hat er nicht erstrebt und nicht erreicht; denn die Reformation, die seinen Namen trägt, die ein Reichstag des Jahres 1442 zum Gesetz erhob, ließ außer einigen Bestimmungen, an die sich noch dazu niemand kehrte, alles beim alten.

       Indessen, obwohl vom Kaiser aufgegeben, ruhte die Idee der Reichsreform keineswegs. Ihr Vertreter war der Heidelberger Martin Mayr, wie Cusa aus dem Bürgerstande hervorgegangen. Da er für sich allein nichts hätte erreichen können, trat er nacheinander in den Dienst verschiedener Fürsten, die geneigt waren, sich für die Reformation einzusetzen, einmal auch in den Dienst Podiebrads, als der sich mit der Absicht trug, römischer König und Nachfolger Friedrichs zu werden. Die Pläne zur Reichsreform, die man allmählich von der Kirchenreform abtrennte, waren sich in den wesentlichen Punkten gleich, wie die Übel, die sie abschaffen sollte, die gleichen blieben. Die Verwüstung des Reiches war die Folge der Fehden, deren Zahl und deren brutaler Charakter im Laufe des 15. Jahrhunderts in erschreckendem Maße zunahm; die Abstellung der Fehden war also das nächst liegende Bedürfnis. Im Beginn des 15. Jahrhunderts hatten die Fehden ein solches Ausmaß mit so heillosen Folgen erreicht, dass man ernstlich an ihre Beschränkung dachte; aber man verfiel auf ein höchst ungeeignetes Mittel. Im Jahr 1442 wurde ein Gesetz erlassen, das nur diejenigen Fehden für erlaubt erklärte, die dem Befehdeten drei Tage vor Beginn angesagt wären. Durch Beobachtung einer leicht durchzuführenden Förmlichkeit glaubten nun die Ritter in Ehren ihre Mitstände überfallen und schuldlose Menschen ausplündern, einkerkern und misshandeln zu können. Man sah ein, dass dem Fehdewesen auf andere Weise entgegengetreten werden müsse. Ursprünglich war das Recht der Fehde ein Recht der Selbsthilfe, wenn die Gerichte versagten. Es folgt daraus, dass für schnelles und gerechtes Gericht gesorgt werden musste, damit die Friedebrecher sich nicht mit dem Vorwand entschuldigen konnten, es sei ihnen kein Recht geworden. Wiederum konnte das Gericht nur wirksam werden, wenn hinter seinen Beschlüssen eine Vollziehungsgewalt stand, die dem Verbrecher mit der Waffe entgegentreten konnte. Beide, Gericht und Heer, mussten natürlich regelmäßig besoldet werden, ein Kostenaufwand, der nur durch eine allgemeine Steuer gedeckt werden konnte. Verbot der Fehde, Reichsgericht, Reichsheer, Reichssteuer, das waren die immer wiederkehrenden Forderungen der Reichsreform; zweifelhaft blieb aber und gekämpft wurde darum, ob diese Institutionen mehr vom Kaiser oder vom Reich, das heißt von den Ständen, abhängen, wessen Macht sie verstärken sollten.

       Das höchste Gericht, das Hofgericht, war an die Person des Kaisers gebunden, der den Vorsitz führte oder den Vorsitzenden ernannte. Es ist einleuchtend, dass, da die Kaiser keine ständige Residenz hatten und vollends seit Friedrich III. sich fast ständig in Österreich aufhielten, das für viele Deutsche schwer erreichbar war, das Hofgericht den Anforderungen einer pünktlichen Justiz nicht genügte. Unter Maximilian kamen die wunderlichsten Dinge vor.

Grafik 377

      Johann XX. von Dalberg (* 14. August 1455 in Oppenheim; † 27. Juli 1503 in Heidelberg) war als „Johann III.“ Bischof von Worms und von 1480 bis 1482 Kanzler der Universität Heidelberg. Er war ein profilierter Mäzen des deutschen Frühhumanismus, selbst hochgelehrt und den Künsten zugetan.

       Der Bischof von Worms, Johann von Dalberg, in humanistischen Kreisen hochgeehrt als guter Lateiner, Dichter, Kenner des Altertums und Büchersammler, lebte in Streit mit seiner Stadt Worms, die er seiner Herrschaft unterwerfen wollte und der er durch brutales Geltendmachen seines militärischen Übergewichts einen Huldigungseid abzwang, zu dem sie als freie Stadt ihrer Meinung nach nicht verpflichtet war. Beide wandten sich an den Kaiser als an den höchsten Richter. Maximilian hielt es, wenn immer möglich, mit den Reichsstädten, die seine Interessen vertraten und ihm zahlten, wollte es aber auch mit dem berühmten Dalberg nicht verderben; er half sich damit, dass er erst der Stadt und dann dem Bischof recht gab, so dass die von beiden Seiten an ihn abgeschickten Gesandtschaften befriedigt heimkehrten, um sich bald darauf in erneuter Ungewissheit zu finden. Auf diese Weise fertigte er die ihm geduldig Nachreisenden viermal hintereinander ab; dann beraumte er eine Tagung an, auf welcher er zwischen den Streitenden zu vermitteln versprach, verschob aber jeweils den Termin, weil irgendetwas dazwischenkam. Mit so naiven Listen brachte er es dahin, dass, als der Bischof starb, die Rechtsfrage noch nicht entschieden und durch eine neue Konstellation zunächst aus der Welt geschafft war. Es ist begreiflich, dass der Vorschlag gemacht wurde, das Hofgericht möge von der Person des Kaisers getrennt werden und einen festen Sitz in einer zentral gelegenen Stadt erhalten. Im Laufe des 15. Jahrhunderts war neben dem Hofgericht das sogenannte Kammergericht entstanden, das, ursprünglich für gewisse, meist fiskalische Zwecke zusammenberufen, allmählich das Hofgericht verdrängte. So kam es, dass das neu zu gründende Reichsgericht nicht Hofgericht, sondern Kammergericht genannt wurde. Begreiflicherweise sah der Kaiser die Abtrennung des höchsten Gerichtes von seiner Person nicht gern; gab ihm doch das Amt des höchsten Richters seinen wesentlichen Charakter und die Möglichkeit, seinen Einfluss geltend zu machen. Günstig für den Kaiser wäre dagegen die Reichssteuer, der Gemeine Pfennig, gewesen, die jeden Reichsangehörigen treffen sollte; denn dadurch wäre die Masse des Volkes wieder in eine unmittelbare Beziehung zum Kaiser getreten. Aus eben diesem Grunde verletzte diese Steuer das Interesse der Fürsten und anderer Stände, die das Recht zu finanzieller Ausnützung ihrer Untertanen mit keinem anderen teilen wollten; ärgerlich genug waren ihnen die jeweiligen Beutezüge der Kirche. Überhaupt wurde das Recht, keinem Steuerzwang zu unterliegen, von allen, mit Ausnahme der Hörigen, die aber auch gegen willkürliche Erhöhung der Abgaben protestierten, in Anspruch genommen und ängstlich festgehalten. Steuerpflicht wurde als Abzeichen der Hörigkeit betrachtet und gerade in dieser Hinsicht die Lage der Franzosen, über deren Vermögen der König weitgehend verfügen konnte, als bestialisches Servitut bezeichnet. Wie die Stände der Prälaten, Ritter und Städte dem Landesherrn gegenüber das Recht der Steuerbewilligung als Grundlage der Freiheit hüteten, so die Reichsstände gegenüber dem Kaiser, nur dass die Landstände viel mehr Verständnis und guten Willen für die Erfordernisse des Landes aufbrachten als die Reichsstände für die des Reiches. Man sollte meinen, es habe sich jeder beeifert, das Seine zu tun, damit der andauernden Verwüstung des Landes durch Kriege und Fehden ein Ende gemacht würde, und tatsächlich waren alle von der Notwendigkeit der Reform überzeugt; sobald sie aber in Angriff genommen werden sollte, zeigte sich Widerstand auf allen Seiten. „Traue dem Landfrieden nicht“, ist eine noch heute gebrauchte Redewendung, die im Mittelalter dem berechtigten Misstrauen der Städte gegen eine scheinbar so wohltätige Einrichtung Ausdruck gab. Dass an der Spitze der zur Durchführung des Landfriedens gebildeten militärischen Organisation ein Fürst stand, machte diese in den Augen der Städte zu einer verdächtigen Interessenvertretung. Ein oder der andere Kaiser dachte daran, sich selbst zum Landfriedenshauptmann zu machen, vermochte es aber nicht durchzusetzen. Hätten nun wenigstens die Fürsten die Sache stramm gehandhabt! Aber nur selten wurde einmal ein Raubnest zerstört, ein Friedensbruch bestraft. Im Allgemeinen waren zu viel Berechnungen und Rücksichten im Spiel, als dass sie aus der in Reichsangelegenheiten grundsätzlichen Langsamkeit herausgetreten wären. Sahen es doch manche Fürsten nicht ungern, wenn die Ritter den Städten Ungelegenheiten machten, hetzten sie wohl gar heimlich auf.

      Indessen selbst dann, wenn es sich um eine Stärkung der kaiserlichen Zentralgewalt handelte, wenn Siegmund und später Maximilian daran dachten, sich im Gegensatz zu den Fürsten auf die Städte und Ritter zu stützen, verhielten sich beide Stände ablehnend. Die Städte hatten ihre Macht und Unabhängigkeit auf den im Laufe der Jahrhunderte von den Kaisern erlangten Freiheiten und Privilegien aufgebaut, ihre Politik hatte immer darin bestanden, diese kostbaren Pergamente sich bestätigen zu lassen und durch neue zu vermehren. Dieselbe Politik des Beharrens auf erworbenen Rechten betrieb die Ritterschaft. Jede Stärkung der Zentralgewalt aber, mochte sie auch den Ständen wohlwollend geneigt sein und ihr Bestes im Auge haben, bedrohte doch zunächst ihre Selbständigkeit. Die von den Städten mit manchem Opfer erkaufte Unabhängigkeit hing bis zu einem gewissen Grade mit der Anarchie zusammen, deren Ausschreitungen bekämpft werden sollten. Konnte ihnen der Kaiser versprechen, dass bei einer Neuregelung ihre Stellung verbessert, wenigstens nicht verschlechtert würde? Ja, wenn er den Fürsten einen Bund der Städte, Ritter und Bauern hätte entgegenstellen können! Aber die Feindschaft zwischen Rittern und Städten und die Verachtung der Bauern war so eingefleischt, so mit allen