DER WIDERSACHER. Eberhard Weidner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eberhard Weidner
Издательство: Bookwire
Серия: Anja Spangenberg
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750214880
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Außerdem sah sie dunkle Flecken aus getrocknetem Blut.

      Also handelte es sich bei diesem Ort tatsächlich um einen Tatort, was zumindest die Anwesenheit der beiden Mordermittler erklärte. Allerdings waren allem Anschein nach die kriminaltechnischen Untersuchungen beendet und die Leiche längst abtransportiert worden. Anja atmete erleichtert auf und spürte, wie die Anspannung und innere Erregung, die sie auf der Fahrt hierher unwillkürlich erfasst hatten, ein wenig nachließen.

      Englmair lächelte freundlich, als sie sich begrüßten. Es war ungewohnt, ihn ohne seinen langjährigen Partner Krieger zu sehen. Die beiden waren von den Kollegen oft scherzhaft als siamesische Zwillinge bezeichnet worden. Erstens waren sie nahezu unzertrennlich gewesen, zweitens hatten sie sich trotz eines erheblichen Größenunterschieds ausgesprochen ähnlich gesehen. Doch dann hatte Englmair in den letzten Monaten abgenommen und sich die Haare wachsen lassen, sodass die Ähnlichkeit zwischen ihnen immer weniger geworden war. Und nun war Krieger tot, und Englmair hatte einen neuen Partner. Also sollte sie sich allmählich daran gewöhnen.

      Anja bedauerte den Tod des Mordermittlers sehr. Andererseits war sie, wenn sie ehrlich sein wollte, aber auch ein wenig erleichtert, dass er jetzt nicht hier war, denn vermutlich wäre er bei ihrem Anblick sofort wieder auf Konfrontationskurs gegangen. Und darauf konnte sie bei allem Ärger, den sie derzeit ohnehin hatte, gut und gerne verzichten.

      Nach Kriegers Tod hatten Anja und Englmair sich geschworen, zusammenzuarbeiten, um seinen Mörder zu finden. Seitdem telefonierten sie häufig miteinander und trafen sich auch gelegentlich. Allerdings geschah das stets privat und außerdienstlich.

      Das heutige Treffen war etwas anderes, denn es war allem Anschein nach offiziell. Vermutlich hatte Englmair deshalb seinen neuen Partner geschickt, um Anja hierher zu bringen, und sie nicht einfach angerufen und herbestellt.

      »Da bin ich!«, sagte Anja und breitete die Arme aus. Sie sah auf die Kreideumrisse und Blutflecken auf dem Boden. »Sagt mir jetzt endlich mal jemand, warum ich hier bin?« Da Englmair wusste, dass sie vom Dienst suspendiert war, musste sie ihn nicht extra daran erinnern. Wenn er sie dennoch an diesen Ort geholt hatte, um mit ihr über einen seiner Fälle zu sprechen, musste er einen verdammt guten Grund dafür gehabt haben.

      »Sagt dir der Name Doris Sonntag etwas?«, fragte Englmair, als wäre sie eine Verdächtige in einem Mordfall. Es beruhigte sie allerdings, dass er dabei noch immer ein freundliches, väterliches Lächeln auf dem Gesicht trug.

      Anja schüttelte den Kopf. »Noch nie gehört. Ist das der Name des Opfers?« Sie deutete mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf den Kreideumriss und das getrocknete Blut auf dem Boden, neben dem Fingerabdruckpulver an der geschlossenen Aufzugstür die einzig verbliebenen Hinweise, dass hier vermutlich ein Verbrechen verübt worden war.

      Die beiden Mordermittler nickten nahezu synchron. Englmair nicht länger lächelnd, sondern mit der gebotenen Ernsthaftigkeit, Plattner hingegen weiterhin grinsend, als wäre das alles nur ein Spaß.

      »Sie war Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit eigener Praxis«, erklärte Englmair. »Vierzig Jahre alt, verheiratet mit einem Schönheitschirurgen, keine Kinder. Ihnen gehört eine sündteure Eigentumswohnung in diesem Haus.«

      »Sagt mir alles nichts. Was ist passiert?« Anja verschränkte die Arme vor der Brust, verlagerte das Gewicht und stellte sich bequemer hin. Sie ging davon aus, dass diese Unterredung länger dauern würde. Da die Beleuchtung nicht ausging, nahm sie an, dass der Hausmeister auf Veranlassung der Polizei die Zeitschaltuhr abgestellt und auf Dauerbeleuchtung umgeschaltet hatte.

      Englmair sah Plattner an und nickte ihm zu, um es seinem Partner zu überlassen, Anja über die Einzelheiten des Falls aufzuklären. Plattner räusperte sich kurz, bevor er zu sprechen anfing. Das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht, als er sich auf die Fakten konzentrierte. »Frau Sonntag war nach der Arbeit noch beim Einkaufen, weil ihr Mann jemanden überraschend zum Essen eingeladen hatte. Anschließend fuhr sie hierher. Über der Einfahrt ist eine Kamera installiert, und auf der Aufnahme sieht man, wie sie in die Tiefgarage fährt.«

      »Saß sie am Steuer?«, fragte Anja. »Und war sie allein im Fahrzeug?«

      »Sie steuerte den Wagen, und soweit man es sehen kann, war außer ihr niemand sonst im Auto.«

      »Und dann?«

      »Sie parkte den Mercedes auf ihrem Stellplatz und ging mit ihrer Handtasche und zwei Einkaufstüten zum Aufzug. Hier hat sie dann ihren Mörder getroffen. Als er auf sie losging, ließ sie alles fallen. Er tötete sie anschließend mit einem einzigen Stich ins Herz.«

      »Die Tatwaffe?«

      »Vermutlich ein Dolch mit einer beidseitig geschliffenen und spitz zulaufenden Klinge.«

      »Wurde sie vergewaltigt?«, fragte Anja, was zunächst einmal naheliegend war.

      Doch Plattner schüttelte verneinend den Kopf.

      »Raubmord?«

      »Ebenfalls Fehlanzeige«, schaltete sich Englmair ein. »Von ihren Sachen fehlte absolut nichts. Geldbörse und Schmuck waren unangetastet.«

      »Was ist mit dem Ehemann? Hat er ein Alibi?«

      »Das hat er in der Tat«, sagte Plattner. »Sogar ein absolut überzeugendes, denn er hat zu dem Zeitpunkt, als seine Frau umgebracht wurde, eine Schönheitsoperation durchgeführt. Dafür gibt es ungefähr ein halbes Dutzend Zeugen.«

      Anja seufzte. »Wäre nicht das erste Mal, dass ein Ehemann jemanden mit dem Mord an seiner Frau beauftragt und dafür sorgt, dass er selbst ein hieb- und stichfestes Alibi hat.«

      »Das ist natürlich durchaus möglich«, sagte Englmair. »Aber in dem Fall müsste er ein hervorragender Schauspieler sein, denn er erlitt einen Schwächeanfall und kippte einfach um, als wir ihn über den Tod seiner Frau informierten. Ich dachte schon, er hätte einen Herzinfarkt und würde ebenfalls sterben. Der Notarzt, den wir gerufen hatten, gab ihm dann ein Beruhigungsmittel. Außerdem informierten wir seine Schwester, die sich seitdem um ihn kümmert. Es geht ihm zwar noch immer schlecht, doch inzwischen konnten wir ihm zumindest ein paar Fragen stellen. Dabei haben wir erfahren, wo er zum Zeitpunkt ihres Todes war und dass weder seine Frau noch er irgendwelche Feinde haben.«

      Anja zuckte ratlos mit den Schultern und sah sich um. »Wenn es der Ehemann nicht war, und sowohl ein Sexualverbrechen als auch ein Raubmord ausscheiden, warum wurde sie dann getötet?«

      »In den letzten drei Jahren gab es vier nahezu identische Mordfälle«, ließ Englmair die Katze endlich aus dem Sack. »Allerdings nicht hier in München, nicht einmal in Bayern, sondern in Norddeutschland. In allen vier Fällen wurden sowohl weibliche als auch männliche Psychiater und Psychotherapeuten ermordet. Und jedes Mal wurden sie mit einem einzigen gezielten Dolchstoß ins Herz getötet.«

      »Ein Serienkiller also«, sagte Anja.

      »Sieht ganz danach aus.«

      Anja überlegte fieberhaft. Obwohl sie bei der Vermisstenstelle arbeitete und im Grunde nur nach vermissten Personen suchte, hatte sie es in den letzten Jahren mehrere Male mit Serienmördern zu tun bekommen. Deshalb war sie allerdings noch lange keine Expertin auf diesem Gebiet. Es musste daher noch einen anderen Grund für ihr Hiersein geben, auch wenn dieser nicht sofort ersichtlich war. »Wann geschah der Mord eigentlich?«

      »Gestern Abend«, sagte Plattner.

      »Gestern Abend?«, echote Anja erstaunt. »Und warum habt ihr mich erst jetzt hierher gebracht?«

      »Wir waren anderweitig beschäftigt«, sagte Englmair, ohne näher darauf einzugehen, was sie in der Zeit getrieben hatten.

      »Okay«, sagte Anja und nickte nachdenklich. »Jetzt bin ja hier. Aber ich weiß immer noch nicht, was ich hier soll.« Sie sah Englmair erwartungsvoll an. »Entweder du sagst mir endlich, was dahintersteckt, oder ich schwöre dir, ich verlasse auf der Stelle diese Tiefgarage, fahre mit dem Taxi nach Hause und schicke dir dann die Rechnung.«

      Englmair lächelte. »Das glaube ich dir sogar. Es wird aber nicht nötig sein.« Er griff in die