IM ANFANG WAR DER TOD. Eberhard Weidner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eberhard Weidner
Издательство: Bookwire
Серия: Anja Spangenberg
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750214316
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getroffen. Er war auch zur Beerdigung gekommen und hatte ihrer Mutter und ihr sein Beileid ausgesprochen und den verstorbenen Freund und Kollegen dabei in den höchsten Tönen gelobt. Doch danach war sie ihm nie wieder begegnet und wusste daher auch nicht, was aus ihm geworden war. Denn als sie viele Jahre später ihren Dienst in der Vermisstenstelle angetreten hatte, war er schon nicht mehr da gewesen.

      Anja notierte sich seinen und den Namen seiner Nachfolgerin auf ihrem Notizzettel, bevor sie weiterlas.

      VI

      Der belebende Effekt, den sich die Polizeioberen durch die Ernennung von Sabine Schwarzmüller zur Leiterin der Sonderkommission möglicherweise erhofft hatten, verpuffte jedoch, denn auch danach gab es in den Fällen der drei vermissten Mädchen keinerlei Fortschritte. Die Ermittler traten weiterhin auf der Stelle, denn es gab keine Spuren oder Hinweise, denen sie nachgehen konnten. Außerdem gab es genügend offene und neue Vermisstenfälle, für die sie weiterhin zuständig waren und denen sie sich vermehrt widmen mussten, sodass für die festgefahrene Soko immer weniger Zeit blieb.

      Es erweckte in Anja im Nachhinein den Eindruck, als hätten alle nur darauf gewartet, dass ein weiteres elf- oder zwölfjähriges Mädchen mit langem dunkelbraunem Haar verschwand oder zumindest die Leiche eines bereits vermissten Kindes gefunden wurde. Beides hätte, so schrecklich es auch gewesen wäre, neuen Schwung in die zum Erliegen gekommenen Ermittlungen gebracht. Doch nichts davon geschah.

      Und so wurde die Soko wenige Monate nach dem Tod ihres Vaters aufgelöst. Zuständig für die Fälle der drei Mädchen war von da an allein die ehemalige Leiterin. Allerdings galten sie bereits als ausermittelt und kamen daher zu den Altfällen, die nicht mehr intensiv bearbeitet, sondern nur noch in regelmäßigen Abständen hervorgeholt und daraufhin überprüft wurden, ob es möglicherweise neue Ansatzpunkte gab.

      Doch in all den Jahren, die seitdem vergangen waren, hatte sich in dieser Hinsicht nicht das Geringste getan. Weder waren die vermissten Kinder aufgetaucht, die, sollten sie überhaupt noch am Leben und nicht längst tot sein, inzwischen erwachsene Frauen in Anjas Alter wären. Noch hatte der Täter ein weiteres Mal zugeschlagen.

      Was war geschehen?, fragte sich Anja.

      Hatte er einfach aufgehört, braunhaarige Mädchen zu entführen? Anja hielt das für unwahrscheinlich. Ihrer Erfahrung nach hörten solche Menschen nicht einfach auf oder gingen in Rente. In der Regel gehorchten sie ihren verborgenen inneren Trieben, die ihnen keine Ruhe und somit auch keine Möglichkeit ließen, es einfach sein zu lassen.

      Was dann?

      War der Täter gestorben oder wegen einer anderen Straftat erwischt und zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden? Diese beiden Alternativen lagen ihrer Meinung nach schon eher im Bereich des Möglichen.

      Und noch eine entscheidende Frage stellte sich Anja weiterhin, nachdem sie die Akte über die damaligen Vermisstenfälle geschlossen hatte: Wieso hatte ihr Vater sterben müssen? Stand sein Tod etwa in unmittelbarem Zusammenhang zum Verschwinden der Mädchen und den Ermittlungen der Soko? War er dem Täter auf die Schliche gekommen und deshalb von diesem aus dem Weg geräumt worden, bevor er seinen Verdacht den Kollegen mitteilen konnte?

      Anja nickte abwesend, während sie über die letzte Frage nachsann. Nachdem sie erfahren hatte, dass ihr Vater ermordet worden war, war sie rasch zur Überzeugung gelangt, dass sein Tod mit den damaligen Ermittlungen zu tun haben musste. Aus diesem Grund musste sein Mörder, der vor drei Monaten als Komplize des Apokalypse-Killers wieder in Erscheinung getreten war und Anja seitdem anonyme Nachrichten schickte, ihrer Ansicht nach auch der Entführer der drei Mädchen sein. Und deshalb, so ihre Überlegung, konnte sie ihm möglicherweise dadurch auf die Spur kommen, dass sie die Ermittlungen ihres Vaters von damals wiederaufnahm. Sie musste nachvollziehen können, was er damals herausgefunden hatte und möglicherweise sein Todesurteil gewesen war. Nur so hatte sie eine Chance, den Mörder ihres Vaters und damit denjenigen zu finden, der in der Gegenwart sein Spiel mit ihr trieb.

      Daneben musste sie aber auch die Ermittlungen im Mordfall an Pfarrer Hartmann im Auge behalten. Einerseits, damit sie vorgewarnt war, falls sich der Verdacht gegen sie erhärtete. Andererseits, um selbst mehr darüber zu erfahren und unter Umständen herauszufinden, warum sie den alten Geistlichen getötet hatte.

      Der Gedanke erweckte in ihr den Wunsch, Englmair anzurufen, um ihn unter anderem zu fragen, wer eigentlich die Leiche gefunden hatte, denn bislang hatte sie das ganz vergessen. Doch bevor sie dazu kam, erhielt sie selbst einen Anruf auf ihrem Handy.

      VII

      Nachdem sie den Namen des Anrufers gesehen hatte, verließ sie das Büro, um im Flur ungestört telefonieren zu können.

      »Hallo, Mama.«

      »Hallo, Anja. Ich habe gerade mit Christian gesprochen.«

      »Und? Was her er gesagt?«

      »Ich habe ihm vorgeschlagen, dass wir uns um sieben beim Italiener treffen, der bei uns in der Nähe ist. Wir waren da schon ein paar Mal anlässlich irgendwelcher Geburtstage beim Essen. Du erinnerst dich bestimmt noch daran.«

      »Ich erinnere mich. Und was hält er davon?«

      »Er war sofort damit einverstanden.«

      »Kommen Judith und Oliver auch?«

      »Natürlich. Sie wollen vor allem dich unbedingt kennenlernen.«

      »Gut. Ich freue mich auch schon, sie kennenzulernen.«

      Sobald sie sich voneinander verabschiedet hatten, rief Anja Englmair an.

      »Ich bin’s«, sagte sie in verschwörerischem Tonfall, nachdem er den Anruf entgegengenommen und sich gemeldet hatte. Sie sah sich unwillkürlich um, doch zu ihrer Erleichterung war sie noch immer allein auf dem Flur. »Ich warte vor eurem Büro auf dich.« Danach beendete sie das Gespräch sofort wieder und machte sich auf den Weg.

      VIII

      Englmair kam fünf Minuten später aus dem Büro, das er sich mit Krieger teilte. Er marschierte wort- und grußlos an ihr vorbei und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, ihr zu folgen. Am Kaffeeautomaten blieb er stehen. Anja postierte sich erneut so, dass der Automat ihr Deckung gab und Krieger sie nicht sofort entdeckte, falls er aus dem Büro in den Flur trat. Erst nachdem Englmair zwei Becher Kaffee gekauft und einen davon Anja in die Hand gedrückt hatte, sagte er etwas.

      »Was willst du denn schon wieder?«

      »Bestimmt nicht diesen ungenießbaren Kaffee«, erwiderte Anja.

      Der Mordermittler sah sie überrascht an. »Wieso ungenießbar? Toni und ich trinken täglich mehrere Becher davon. Uns schmeckt er. Was hast du daran auszusetzen?« Er nahm einen großen Schluck, als wollte er seine Behauptung unter Beweis stellen und nickte dann beifällig.

      Anja schüttelte den Kopf. »Nicht so wichtig!«

      »Na schön. Aber um auf meine Frage zurückzukommen: Was willst du schon wieder?«

      »Ich hab mit meiner Mutter über die Bibel gesprochen«, sagte Anja.

      Jetzt war er doch interessiert und hob fragend die Augenbrauen. »Und was hat sie gesagt?«

      Anja zuckte mit den Schultern. »Sie weiß leider auch nicht, was damit passiert ist. Allerdings ging sie immer davon aus, ich hätte sie nach dem Tod meines Vaters in den Müll geworfen, weil ich sauer auf Gott und die Welt war. Sie äußerte die Vermutung, dass die Bibel bei einem unserer nachfolgenden Umzüge verloren gegangen sein könnte.«

      »Und wie ist sie dann in den Besitz des Geistlichen gelangt, wenn du sie ihm nicht gegeben hast?«

      »Ich weiß es nicht«, gab Anja zu. »Es ist für mich ebenfalls ein Mysterium.« Das stimmte sogar. Sie wusste zwar im Gegensatz zu ihrem Kollegen ganz genau, wer Pfarrer Hartmann umgebracht hatte. Doch die Bibel mit ihrem Namen auf dem Altar war eine harte Nuss, die sie momentan nicht knacken konnte.

      »Und nur, um mir das mitzuteilen, mussten wir uns unbedingt treffen?«, fragte Englmair und schüttelte