„Remsen kümmert sich weiter um die Aufklärung und hat zu tun. Sie haben sicher Verständnis dafür, dass er hier nicht persönlich anwesend sein kann. Die ersten 48 Stunden sind immer entscheidend, für einen Ermittlungserfolg.“ Dietering stellte sich vor sein bestes Pferd im Stall und machte damit klar, dass die PK hiermit für ihn beendet war.
„Der Streit muss wohl so heftig gewesen sein, dass Georg Weilham gleich über Nacht von Ihnen in Gewahrsam genommen wurde? Welchen Grund führen Sie an, uns das bisher verheimlicht zu haben?“ Guther schien jetzt so richtig auf Betriebstemperaturen zu kommen.
Dietering ließ sich den Hieb nicht anmerken und antwortete lapidar: „Herr Guther, haben Sie Nachsicht, dass wir aus ermittlungstaktischen Gründen nicht alles im Detail erläutern. Wir hatten Grund zur Annahme, dass Weilham so erregt war, dass er durchdreht und noch weiteren Unsinn anstellt. Eine Schutzmaßnahme, so würde ich es sehen.“
„Auf Kosten der Steuerzahler? Nur um jemanden zu schützen, der selbst wegen Geschäftsbetrug und Vertrauensmissbrauch im erheblichen Umfang von Kunden angeklagt wurde? Wie rücksichtsvoll von Ihnen. Seine Frau sitzt alleine zu Hause und wartet auf Abtowiz. Da haben Sie sicher das Haus der Weilham's rund um die Uhr bewacht. Nur scheinbar sind Ihre Beamten eingeschlafen, sodass Abtowiz oder wer auch immer den Anschlag verüben konnte. Dürfen wir das so morgen drucken?“ Guther legte recht geschickt nach und erhoffte sich so, weitere Informationen.
„Herr Guther, das sind doch alles nur Spekulationen.“ Staatsanwalt Stiegermann würde jede Menge darum geben, diese PK möglichst schnell und ohne Gesichtsverlust zu beenden.
„Wenn Abtowiz nicht hinter dem Brandanschlag steckt, wen haben Sie denn im Visier?“ Die Frage von Guther, der inzwischen so etwas wie eine Privatfehde mit dem Podium führte, ging wieder an die Ermittler.
„Wie gesagt Herr Guther, wir ermitteln in alle Richtungen und können zum derzeitigen Stand der Ermittlungen noch keine weiteren Informationen dazu rausgeben.“ Dietering versuchte erneut, die Diskussion regelrecht abzuwürgen.
„Vielleicht weiß Remsen mehr darüber. Können Sie ihn bitte hierher beordern, Herr Kriminalrat?“ Ein Affront eines Journalisten gegenüber den Ermittlern. Jemand, der genau wusste, wie die Kräfteverhältnisse in der W36 waren und welche Rolle der Staatsanwalt spielte.
„Nein, das lässt sich nicht arrangieren Herr Guther.“ Basta, aus, Dietering hatte jetzt wirklich von den penetranten Nachfragen genug.
„Aber Herr Ulrich, Sie waren doch gestern Abend bei der Schlägerei mit dabei – können Sie uns darüber was erzählen, warum Sie ganz bewusst das Risiko einer Konfrontation und dann noch in einem Restaurant, in der Öffentlichkeit eingegangen sind?“ Guther grinste siegessicher den Kriminalbeamten an.
„Sie müssen wissen, dass Remsen die Gegenüberstellung veranlasste und sicher dafür seine Gründe hatte. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“ Ulrich fühlte sich offenkundig unwohl in seiner Haut.
„Ach so, Sie arbeiten gar nicht zusammen. Das ist bemerkenswert und ganz bestimmt für unsere Leser höchst interessant. Die Ermittler behindern sich untereinander, stimmen sich nicht miteinander ab. Ja, sie reden noch nicht einmal über ihre Arbeit. Also, so könnten wir nicht arbeiten.“
„Herr Guther, Sie spekulieren hier nur rum und versuchen, die Arbeit unserer Mordkommission in den Dreck zu ziehen. Ich denke, wir können jetzt die Pressekonferenz beenden.“
Das halbherzige Machtwort vom Staatsanwalt Stiegermann krepierte schon auf halber Strecke, denn Guther legte nach: „Dann ist es sicher auch nur eine Spekulation, dass der Tote Carsten Weilham gestern Abend aus dem Osten zurückkam; genau aus der Gegend, in der sich Abtowiz sein langes Vorstrafenregister erarbeitet hatte. Was sagen Sie dazu Herr Staatsanwalt?“
Der Mann schien besser informiert zu sein als ich. Stiegermann war auf Dietering, nein, eher auf Remsen jetzt richtig sauer. Jetzt half nur noch die Flucht nach vorne: „Wir geben in den nächsten Tagen eine Pressemitteilung heraus, aus der Sie alles Weitere entnehmen können. Bis dahin bitte ich Sie, sich zu gedulden. Einen schönen Tag noch.“
Stiegermann schaltete sein Mikrofon ab und zeigte den anwesenden Journalisten im Saal damit deutlich, dass die Show für ihn jetzt vorbei ist. Egal, was die TV-Sender heute Abend dazu zeigten oder süffisant kommentierten. Die PK ist einzigartig schlecht gelaufen; das wird ein Nachspiel der besonderen Sorte haben.
Dietering und Ulrich folgten ihm und ließen die Journalisten mit ihren unbeantworteten Fragen im Presseraum zurück.
Jutta Kundoban ließ es sich nicht zweimal sagen und verplante den unverhofft freien Abend schnell. Jetzt saß sie bei ihrer Freundin Claudia. Während beide auf das Eintreffen ihrer bestellten Pizzen warteten, zappten sie durch die Programme.
Was soll an einem Sonntagabend vor dem Tatort schon Interessantes zu sehen sein? Als Jutta bei Claudia angerufen und sich angekündigte, erklärte diese ihr, dass Bit auch noch kommen würde. Wenn sie, Jutta nichts dagegen hätte, wäre sie willkommen.
Da Bit noch nicht da war, musste der Fernseher herhalten. Denn Jutta verspürte nach der kurzen und herzlichen Begrüßung plötzlich nur noch das Gefühl, erschöpft zu sein. Sie wollte sich einfach nur noch dahintreiben lassen. Jede Erklärung, jede Diskussion erschienen ihr mit einem Mal zu viel. Inzwischen bereute sie es, überhaupt hierhergekommen zu sein. Andererseits war sie auf der Suche nach Nähe, nach der Nähe zu ihrer Freundin, ohne sich gleich erklären zu müssen.
Jutta stibitzte sich die Fernbedienung und hangelte sich durch die Sender. Sie blieb bei einem lokalen Sender hängen, denn was da gezeigt wurde, fesselte sofort ihre Aufmerksamkeit. Unschwer konnte sie erkennen, dass es eine nahezu unkommentierte Übertragung der Pressekonferenz war, der sie entfliehen konnte. Dietering musste wohl schon seine Eingangserklärung vorgelesen haben, übrigens ein Ritual was er aus dem tiefsten Bayern mitbrachte. Sie wartete nun darauf, dass die Kamera auf Remsen schwenkte, denn der wird ja wohl der meist gefragteste auf dem Podium sein.
Dachte sie sich zumindest so!
Einigermaßen erstaunt stellte sie mit der Zeit fest, dass neben Dietering nur der Staatsanwalt und Hanns-Peter anwesend waren. Wo war Jan Remsen geblieben? Jutta suchte nach ihrem Handy und wählte die Nummer von Jans mobilem Telefon an. Nach einiger Zeit sprang seine Mailbox an; von ihm war nichts zu hören. Mist, die anderen Telefone bringen ganz sicher nichts, da Jan ohne sein Smartphone keine Sekunde mehr lebensfähig war.
Das kann doch nicht sein? Jan ist der Leiter der Mordkommission und nicht bei der PK dabei? Hat der alte Sepp; Jan hatte eine Vorliebe für schräge Spitznamen, ihn abkommandiert oder eine Spezialaufgabe verpasst? Dann wäre er doch an das Telefon gegangen; ihre Nummer hätte Jan bestimmt nicht ignoriert. Mit Hanns-Peter kann es nichts zu tun haben, die beiden mögen sich zwar nicht sonderlich, respektieren sich dennoch. Kann also nur Stiegermann dahinter stecken. Wenn Remsen ab- und bei der PK nicht wiederauftauchte, werden beide Krach miteinander haben.
Jutta war so angespannt, dass sie überhaupt nicht mitbekam, wie einer der Reporter ihre Kollegen in die Enge trieb. Ihre Freundin Claudia stand schon einige Zeit hinter ihr und massierte ihr den Nacken. Sie musste dringend ins Bett und mal so richtig ausschlafen.
„Den kenne ich“, meinte sie und deutete mit dem Kopf auf den Fernseher, „das ist einer vom Vesberger Tageblatt. Die müssen verdammt gute Drähte zu Informanten haben oder stellen es einfach geschickter als andere an. Die Zeitung liegt bei uns im Warteraum für Kunden, ich lese mir immer die regionalen Seiten durch. Da schreibt der Typ, Gutmann oder so, ziemlich viel.“
Jutta fand inzwischen den Faden und ihre Aufmerksamkeit wieder und korrigierte ihre Freundin ungern: „Guther heißt der Mann, meine Liebe.“
„Ach ja, Kai-Uwe Guther. Der schreibt aber nur Dinge, die er selbst recherchiert hat. Woher weiß der eigentlich, was ihr bei der Polizei so macht?“