Schüchterne Gestalten. Peter Bergmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Bergmann
Издательство: Bookwire
Серия: Jan Remsens erster Fall
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742769886
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      „Ja, ja. Wann ist dann der hier gegangen?“ Remsen hatte von dem Gequatsche so langsam genug und machte auf Tempo.

      „Nicht lange, halb nach 9 so, denke ich.“ Das könnte passen: Weilham sagte aus, dass er gegen 22 Uhr zu Hause war. Seine Frau bestätigte das. Abtowiz ist eher raus, bekam vorher einen Anruf und ließ Weilham sitzen. Der Unfall passierte so gegen 22 Uhr; da war Abtowiz nicht mehr hier? Gestelltes Alibi? Und jetzt vergiss Jan, dass es ein Unfall war: Es war Mord. Vieles deutete darauf hin.

      „Wer hat von beiden die Rechnung beglichen?“ Die Antwort könnte ein Hinweis über den Status der beiden Geschäftspartner untereinander sein.

      „Hat die erste Mann gemacht. War gut Coperto. Sehr großzügig.“

      „Gut, danke. Vielen Dank Sie haben mir geholfen.“ So überschwänglich geht Remsen eigentlich nie mit seinen Gesprächspartnern um. Aber hier musste er sein Gegenüber mit den gleichen Waffen bekämpfen, um wegzukommen.

      Nur raus hier!

      „Signore, einen feinen Grappa. Ist kalt draußen.“

      Remsen ließ ihn stehen, grüßte recht freundlich und entfloh dem Temperament des italienischen Restaurantbesitzers. Wie hält man das nur den ganzen Tag aus? Wahrscheinlich arbeitet dort kein Deutscher? Und wenn ja, dann landet der sicher schneller in der Klapse, wir es jemals erlauben würden.

      Schon von weitem öffnete er das Auto und ging langsam auf seinen Buick zu. Kurz davor blieb er stehen und grinste die Frontscheibe an: Remsen griff sich den Strafzettel der hinter dem Scheibenwischer geklemmt war und wollte ihn schon zerreißen. Er überlegte es sich anders und ließ ihn in die Jackentasche verschwinden. Vielleicht wird es doch noch etwas mit dem Abendessen und der Politesse seiner Wahl.

      Im Auto sitzend startete er den Motor und beschloss, dass der Tag lang genug war.

       Sonntag, 14. November 2010, noch früh am Morgen

      Es war noch dunkel. Remsen tapste schlafwandlerisch von seinem Bett in den Flur, um sein Telefon gegen die Wand zu… Nein, ich brauche es noch. Außerdem fiel ihm ein, dass er es sein würde, der die Scherben wegzukehren hätte. Das war für ihn das ausschlaggebende Argument, pfleglich mit dem kleinen Quälgeist umzugehen.

      „Guten Hansi.“ Um diese Zeit hatte er seine Zunge einfach nicht im Griff; Aussetzer waren vorprogrammiert. Das muss der Anrufer schlicht verstehen.

      Auf seinen ungeliebten Spitznamen war Hanns-Peter Ulrich überhaupt nicht gut zu sprechen. Ich bin doch kein Wellensittich, ist dann immer seine Antwort.

      Meistens kanalisierte Remsen zu erwartende Wutausbrüche seines Kollegen mit der Frage: „Streikt etwa die Kaffeemaschine oder warum rufst du an?“

      Ulrich musste sich zusammenreißen, um nicht ausfallend zu werden. „Heute Nacht gab es ein kleines Feuerwerk. War aber letztlich nicht allzu schlimm.“

      „Falsch verbunden; hier ist die Mordkommission. Übrigens die einzige von Vesberg.“ Trotz dieser Tageszeit war Remsen doch langsam auf Temperatur und seinen Spaß.

      „Weilham sen. hat’s getroffen. Es war eine Art Molotow Cocktail, der durch das vordere Fenster ins Haus geworfen wurde. Nein zwei; beide vorderen Fenster sind angegriffen und zertrümmert worden. Weilham's haben ihr Schlafzimmer im Obergeschoß, zur Seite raus. Die Frau Weilham, Cordula Weilham hat sich bei uns gemeldet und gesagt, dass sie einen schwarzen SUV wegfahren sah. Marke und Kennzeichen hatte sie nicht erkannt; nimmt aber an, dass es deutsche Kennzeichen waren. Wahrnehmung im Unterbewusstsein meinte sie wohl. Die Feuerwehr war schnell da und konnte das Ganze genauso schnell unter Kontrolle bringen. Hätte deutlich schlimmer ausgehen können.“

      „Fertig?“ Remsen war es überhaupt nicht gewohnt, von seinem Partner so lange Vorträge zu hören. Noch besser; er tat sich um diese Uhrzeit und vor allem vor dem ersten Kaffee richtig schwer, irgendetwas aufzunehmen und vor allem das auch noch zu verarbeiten.

      „Ok, Hanns, wo bist du, in der Arkadenstraße?“

      „Nein, noch zu Hause, schon fast auf den Weg dahin. Treffen wir uns da?“

      Remsen dachte kurz nach: „Fahr du mal zu der Weilham und bringe alles in Erfahrung. Ich knöpfe mir den Alten vor. Wir sehen uns dann später.“ Remsen wollte schon fast auflegen: „Ach ja, mach vorher den Abstecher zur W36 und lass uns deine Kaffeemaschine da.“

      Unter der Dusche fragte er sich einmal mehr, warum er sich diesen verfluchten Job ausgesucht hatte. Das muss in einem Anflug von Wahnsinn oder Schwachsinn passiert sein; er konnte sich nicht mehr daran erinnern.

      Freizeit? Fehlanzeige.

      Beziehung? Äußerst schwierig.

      Gesundheit? Lieber nicht danach fragen.

      Anerkennung? Dieser Mensch müsste erst geboren werden.

      Politesse wäre doch was für ihn oder wie sagt man da bei einem Mann? Hilfspolizist? Politeur? Egal, ich bin Bulle; ein richtig Guter noch dazu. Nach kurzem Nachdenken beschloss er, dass er den besten Job auf der Welt machen durfte.

      Zum Glück hatte die kleine Bäckerei bei ihm um die Ecke vor einiger Zeit den Sonntagsverkauf eingeführt. So bestand eine reelle Chance auf warme Brötchen; vielleicht einen Kuchen und vor allem richtig guten Kaffee; Soll ich Ihnen wieder einen Bohnenkaffee machen, fragt ihn seine Lieblingsverkäuferin jedes Mal.

      Mit einem Blick auf die Uhr verließ ihn kurzfristig die Hoffnung; um diese Zeit hatte auch seine Lieblingsbäckerei noch nicht auf. Die am Bahnhof vielleicht schon? Oder soll er schon wieder auf die Aufbackdinger an der nächsten Tanke zurückgreifen?

      Alles zu weit und umständlich obendrein; er setzte eine andere, viel einfachere Idee einfach um. Remsen hielt seinen Buick im laufenden Motor direkt in der Einfahrt zur Bäckerei und hielt seine Nase in den Nachthimmel von Vesberg. Ja, da war er wieder, dieser unwiderstehliche Geruch nach frischen, noch warmen Brötchen. Okay, für den Bauch ist gesorgt; da war er sich sicher. Und sein Biorhythmus? Der braucht immer und jeden Tag seine Menge Koffein morgens.

      Auf sein Klopfen hin wurde ihm aufgebaut; der Bäckergeselle kannte ihn nicht und wollte gleich wieder schließen.

      „Du wirst doch einem alten Nachtbullen was zu essen geben wollen?“ Normalerweise machte er so etwas nicht gerne, aber jetzt ging es ausnahmsweise einmal um ihn selbst: Da war ihm jedes Mittel recht. Er zückte seinen Dienstausweis und schindete damit beim Knaben richtig Eindruck. Und schon war er in der warmen Backstube; gab seine Bestellung auf.

      „Habt Ihr vielleicht schon, noch, also habt Ihr Kaffee, bezahl ihn auch.“

      Beide Weißmützen schüttelten so energisch den Kopf, sodass Remsen einsah, dass er hier und jetzt keinen Kaffee bekommen wird. Er zahlte die Brötchen und den Kuchen und verschwand.

      Wieder im Buick verbreitete sich der Geruch nach Backstube in seinem Auto. Er griff zu und hielt sich an der Brötchentüte nicht lange auf; der Kuchen blieb unangetastet. Die Soundanlage gab Velet Underground – Sunday Morning her; muss in den späten 60er Jahren gewesen sein. Sein Instinkt sorgte dafür, beim Verlassen der Wohnung noch schnell die CD zu greifen. John Cale, Lou Reed – hier in Vesberg in seinem fahrenden Castle. Schade, dass es bis zur Arkadenstraße nicht so weit war…

      Kundoban kam ihm eher zufällig entgegen: „Sie ist schon da und wartet auf Sie“, war ihre spröde Art der Sonntagmorgenbegrüßung.

      „Guten Morgen erst einmal. Gut geschlafen? Ausgeruht für heute?“ Remsen entging nicht, dass durch die offene Bürotür ein wunderbarer Kaffeegeruch den Flur vereinnahmte und Körper und Geist sich gemeinsam darauf freuten. „Wer wartet denn auf mich?“

      „Frau Weilham natürlich.“ Kundoban war patzig ihm gegenüber. Auch sie hatte kaum geschlafen und wurde heute schon früh wieder in die W36 gerufen.

      „Sie war ziemlich fertig und hatte schon mehrmals nach Ihnen gefragt.“

      Remsen