Die ihre Seele töten. Wilfried Stütze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilfried Stütze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753196503
Скачать книгу
Meistermarke am Inneren der Kolbenplatte an. Dann sah er sich sein Werk noch mal genau und liebevoll an.

      Den Lauf hatte er von einer oktogonalen in eine runde Form übergehen lassen. Das Radschloss war natürlich nach typisch Braunschweiger Büchsenschmiedekunst ausgeführt. Eine innenliegende Hahnfeder, ein flacher Raddeckel und schließlich die Radachse mit rhombenartig gefeiltem Kreuz. Den Schaft hatte er ganz mit getriebenen Messingplatten verkleidet. Eine Besonderheit war der Abzugsbügel - aus Bronze gegossen. Die Kolbenplatte hatte ein Scharnier und konnte so geöffnet werden. Drinnen, auf der Rückseite der Platte eben, seine Meistermarke. Eine Radschloss-Reiterpistole. Heinrich legte sie in die Truhe, in der schon die Büchse für den Herzog lag. Gut, die hatte er natürlich einerseits als Prunkbüchse, andererseits aber durchaus als brauchbare Jagdbüchse gefertigt. In diesem Fall war die Büchse mit Rad und Luntenmechanismus ausgerüstet. Durch einen befreundeten Goldschmied hatte er sogar den Wahlspruch des Herzogs ziselieren lassen.

      ALIIS INSERVIENDO CONSUMOR. (Andern dienend, verzehr ich mich)

      Während er sein Allerheiligstes aufräumte, mäanderten seine Gedanken. Michael - fort will er. Er war schon immer ein unruhiger Geist. Camann sagte neulich, dass ihm das Verhalten des Kämmerers beim letzten Stammtisch keine Ruhe ließ. Geschäfte hat er angeblich, was für Geschäfte? Hinrich bleibt mir. Und Anna und Karl. Und er wird ja irgendwann wiederkommen. Sarah leidet. Noch mehr als ich. Anna und Karl werden heiraten. Nächsten Sommer. Vielleicht kommen ja Enkel. Heinrich musste unwillkürlich lächeln. Ja, Sarah hat recht. Wir haben es gut hier. Der Krieg hat uns bis jetzt verschont. Die Geschäfte. Naja, es reicht für ein gutes Leben … Nur Michael. Schade. Ach was. Es ist sein Leben. Ich wünsche ihm jedenfalls Glück. Er wird es schaffen. Ich jedenfalls bleibe lieber hier. Mit Sarah und den anderen und in meiner geliebten Stadt Braunschweig. Übermorgen wollen wir schlachten.

      Der Büchsenschmied löschte die Petroleumlampen und die Kerzen und verließ seine kleine Werkstatt. Abzuschließen brauchte er sein Allerheiligstes nicht. Jeder wusste, dass nur er hier Zutritt hatte. Und jeder respektierte das auch.

      Heinrich war noch tief in Gedanken versunken, als er über seinen Hof ging. Als er den Rappen sah, wollte er es kaum glauben. Ein wunderschöner Rappe, voll aufgezäumt. Hinter dem Sattel war eine dicke ledernde Rolle befestigt, in der bestimmt Reisegepäck verstaut war. Da will einer schnell weiter, dachte Heinrich. Er hatte nicht mitbekommen, dass jemand gekommen war. Kopfschüttelnd über diesen Umstand betrat er die Küche.

      Heinrich versuchte die Situation zu erfassen. Da saß ein fremder Mann am Tisch, neben Michael, der ungewöhnlicherweise am Kopfende, seinem Platz, saß. Johann saß am anderen Kopfende. Allein Hinrich saß an seinem angestammten Platz. Lena war auch da. „Unordnung“ störte Heinrich. Anna und Mutter machten sich am Herd zu schaffen. Sie wollten dem Gast wahrscheinlich etwas anbieten.

      „Schön dich zu sehen, Lena“, kam es dann etwas unmotiviert und verunsichert.

      „Das ist Heiner“, stellte Michael den Mann neben sich einfach vor.

      Vater war ziemlich durcheinander. Das spürte Michael sofort.

      „Wir haben uns schon irgendwo mal gesehen“, wollte Heinrich das Gespräch weiterbringen.

      „Ja, das stimmt. Ich bin der Sohn vom Grafen. Besser gesagt ich war es, bis vor ein paar Wochen.“

      „Du, äh, Sie …“

      „Heiner ist mein, ich meine unser Halbbruder“, haute Michael einfach dazwischen.

      „Halbbruder? Es dämmerte Heinrich Schlachmann langsam.

      „Dein Sohn Heinrich. Nun setz dich endlich hin. Anna bring Vater einen Humpen Mumme.“ Sarah erschien ihm keineswegs irgendwie ärgerlich und so erzählte Heinrich Schlachmann also seine Geschichte.

      Dass er die spätere Gräfin kennengelernt hatte. Vor Sarah und auch natürlich, bevor sie den Grafen geheiratet hatte. Das war zwar ungewöhnlich - der unterschiedliche Stand und überhaupt. Aber Heinrich belieferte die Familie der späteren Gräfin mit allerlei Gerätschaften für die Landwirtschaft und führte auch Reparaturen durch. So war er häufig auf das Gut gekommen. Die beiden jungen Leute lernten sich kennen und scherten sich nicht um ihren Stand, gleichwohl sie sich heimlich treffen mussten.

      Als dann die Heirat mit dem Grafen anstand, hatte die junge Frau den Kontakt sofort abgebrochen. Dass sie schwanger von ihm war, hatte die spätere Gräfin für sich behalten. Bis vor ein paar Wochen.

      Als Heinrich Schlachmann geendet hatte, sah Michael unwillkürlich seine Mutter an. Die, Michael konnte es kaum fassen, lächelte ihn an.

      „Michael, das war vor unserer Zeit. An der Liebe zu deinem Vater ändert das gar nichts, was Heini?“

      Heinrich schaute sie glücklich an. Sarah machte es ihm wirklich leicht. Was für eine Frau!

      „Jetzt solltest du die Geschichte weiter erzählen, Heiner“, forderte Sarah ihn auf.

      „Gut, es war nach dem Schüsseltreiben. Vater hatte mal wieder zu viel getrunken. Sein Jähzorn kann dann …“

      Heiner erzählte also die Vorkommnisse jenes Tages. Auch wie der Graf seine Mutter mit der achtschwänzigen Katze malträtiert hatte, bis sie schließlich ihr Geheimnis preisgab, um sich wenigsten etwas zu rächen.

      „Mein Vater, ich meine der Graf“, blickte er Heinrich an, „schwor daraufhin, Rache zu nehmen. Er will mich erschlagen und auch die ganze Familie Schlachmann vernichten.“

      Sarah richtete sich auf. Die ganzen Vorkommnisse. Sie konnte im Moment nicht richtig denken.

      „Bis jetzt habe ich mich bei einem mir wohlgesonnenen Bauern versteckt. Das ist aber auf Dauer keine Lösung. Meine Mutter, die ich manchmal heimlich aufsuchte, empfahl mir, zu dir zu gehen. Schon, damit wir uns kennenlernen und vielleicht auch, weil du einen Rat geben kannst – Vater“, kam es leicht verzögert. „Ich muss auf jeden Fall weg aus den Braunschweiger Landen. Vielleicht sollte ich ins Hannoversche oder sogar in Westfälische gehen. Ich könnte unterrichten, als Privatlehrer.“

      „Du liebst die Bücher, Heiner? Geschichte und Philosophie?,“ fragte Sarah.

      „Ja, woher wissen Sie das? Bei uns auf dem Gut konnte ich nur mit Mutter gelegentlich über solche Themen sprechen.“

      „Dann geh zuerst nach Hamburg zu unserem Onkel Juan Salomon. Erhole dich dort und ziehe dann weiter nach Amsterdam. Vielleicht kannst du ein Schiff nehmen. So verwischt du auch deine Spur. Der Onkel von Alfonso, meinem Bruder und mir, Don Manuel Isaak, hat dort eine Druckerei. Möglicherweise eine hebräische Druckerei, aber er wird auch andere Dinge drucken, schätze ich. Ich schreibe sofort einen Brief an Don Manuel Isaak und gebe ihn dir mit. Willst Du? Lange kannst du dich in Braunschweig nicht aufhalten. Der Graf kann schnell Wind davon bekommen.“

      Sarah handelte schnell und besonnen. Nur Michael merkte ihr die Anstrengung an, die es sie kostete. Heinrich war irgendwie etwas abwesend. Er musste wohl erst mal verdauen, dass er noch einen Sohn hatte.

      Heiner brauchte nicht lange zu überlegen.

      „Und ob ich will.“

      „Ich glaube, es ist richtig, wenn ich Euch noch etwas berichte“, druckste er etwas herum. „An den Grafen bindet mich nichts mehr und Mutter wäre es bestimmt auch recht. Euer Geselle Otto tauchte um Weihnachten herum bei uns auf. Der Graf hat auch mit ihm gesprochen. Um was es ging, weiß ich leider nicht.“

      Heiner berichtete weiter von dem Waffenhandel, von dem er wusste, dass er nur teilweise legitim sei. Von den zwei Büchsenschmieden, die der Graf aus dem Magdeburger Schuldturm freigekauft hatte, und die nun samt ihrer Familien bei ihm arbeiteten. Letztlich noch von dem Signum der Braunschweiger Büchsenmachern, das er verwendet. Außerdem wurden in den letzten Wochen bis spät in die Nacht Waffen hergestellt, wie ihm seine Mutter erzählt hatte. „Es ist offenbar etwas Größeres im Gange“, schloss er seine Ausführungen.

      Heinrich wollte nicht glauben, was er soeben gehört hatte. Der Graf verwendet unser Signum? Weiter kam er mit seinen