„Genau so ist es“, rief Michael und sprang mit einem Satz auf die Schlachtbank. Keiner hatte ihn gehört oder kommen sehen.
„Du bist ein Krieger“, flüsterte Johann vor sich hin und wusch weiter seine Molle aus.
Alle mussten mithelfen, wenn Schlachttag war. Johann allerdings verflüchtigte sich wie jedes Jahr, wenn es ans Eingemachte ging. „Schlachten ist nicht mein Ding“, sagte er dann nur und hinkte davon. Abends, wenn er zum Schlachtfest wieder auftauchte, spendierte er dann Heinrich einen Braunschweiger Taler. Davon ließ er sich von nichts und niemandem abbringen. Inzwischen nahmen das alle als gottgegeben hin. Genauso, wie er ja jeden Monat seinen Taler übergab, obwohl er das nicht brauchte - er wollte es so. Alle wussten oder ahnten, dass er aus dem Krieg einen Schatz, oder sollte man besser sagen, eine Beute, mitgebracht hatte. Jedenfalls war er unabhängig - Michael verstand das nur zu gut.
„Ich ziehe mich nur um, dann helfe ich Vater“, und schon war Michael in der Diele verschwunden.
Während er sich umzog, dachte er noch mal an das Gespräch mit Camann zurück. Allein sein Arbeitszimmer, wie er es nannte. Die Höhle eines Gelehrten. Überall waren Bücher. Bücher und nochmals Bücher und wie immer hatten wir einen Diskurs über die aktuelle Politik.
Bei so vielen Händen waren die Vorbereitungen bald beendet. Alle sahen dann aber zu, ins Bett zu kommen. Der eigentliche Schlachttag war arbeitsreich und lang. Zuweilen auch lustig. Michael malte sich den Tag, im gemütlichen warmen Bett liegend, aus. Er hatte seit seiner Kindheit beim Schlachten mitgeholfen. Hausschlachter Lampe sagte immer, er könne ihn gut als Gehilfen brauchen. Nun, er stellte sich tatsächlich geschickt an. Packte einfach zu.
Anfangen würde der Tag morgens um vier Uhr. Rein in die Klamotten und dann hinaus in die Kälte. Michael zog sein Federbett unweigerlich etwas höher. Es ging dann zum Bauern Mühlberg, gleich vor dem Gliesmaroder Turm. Man nahm immer den Ackerwagen, denn immerhin musste das Schwein samt Behälter transportiert werden. Knecht Alwin hatte in der Regel schon eingespannt. Seit einigen Jahren fütterten sie keine Schweine mehr selbst. Die Büchsenschmiede ließ dazu keine Zeit mehr übrig.
Bei Bauer Mühlberg angekommen ging es immer gleich in den Stall. „Das da. Mit dem schwarzen Kreis. Das ist Eures“, knurrte der Bauer dann jedes Mal. Ihm war es wohl auch immer zu früh. Das Schwein war mit einem verkohlten Stück Holz gekennzeichnet. Es wurde erst auf die Waage gestellt und dann quiekend in den Behälter bugsiert. Der kam schließlich auf den Ackerwagen.
Wenn Michael sich hätte sehen können, eingekuschelt in seinem Deckbett, hätte er einen jungen Mann mit einem ziemlich glücklichen Gesichtsausdruck gesehen. Ein Gesicht, das strahlte und Augen, die leuchteten.
Michael ging alles im Geiste durch. Das Handeln um den Preis, pro Kilo Lebendgewicht. Obwohl der ja schon vorher festgemacht wurde, aber das war das Ritual. Manch ein Bauer gab dem Schwein vorher noch ordentlich zu saufen, wegen des Gewichtes, aber Bauer Mühlberg war so etwas nicht zuzutrauen - wahrscheinlich. Dann wurde eingeschlagen und darauf musste der erste Schnaps des Tages getrunken werden. Und dann noch einen, denn auf einem Bein konnte man ja nicht stehen. Es war immerhin noch vor Sonnenaufgang.
Im Meinhardshof angekommen, ging es dann darum, dem Schwein erst mal einen Strick um einen Hinterlauf zu legen. Das war in der Regel Michaels Aufgabe. Das war nicht ungefährlich, je nachdem wie aufgeregt das Schwein war. Heinrich Schlachmann wollte das auch nicht unbedingt und er wollte erst recht nicht dabei sein, wenn Schlachter Lampe die Pike ansetzte und dem Schwein einen vor den Kopf gab, dass es umfiel. Dann hieß es schnell sein. Das Messer in die Kehle und mit zwei Mann rauf aufs Schwein und zu Boden gedrückt. Bis es aufhörte zu zappeln. Die zarte Anna war es, die immer die Molle hielt, in die das Blut floss. Sie musste es auch mit der Hand rühren, damit es keine Gerinnung gab. Später würde man es für die Rotwurst brauchen.
Schließlich wurde das Schwein abgebrannt, damit die Borsten weg waren und dann mit heißem Wasser und dem Messer nachgearbeitet. Schön sauber. Später, nachdem das Schwein mit den Hinterpfoten an einen Schwengel gehängt und an einem Haken unter dem Schauer hochgezogen war, kam die erste Pause in Sicht. Das Schwein musste erst mal auskühlen. „Und wenn das Schwein am Haken hängt, wird erst mal einer einschenkt“, rief dann der Schlachter. Sarah kannte die Gebräuche und rauschte schon mit der Schnapsflasche an. Sie hatte es eilig. Es gab viel zu tun an einem solchen Tag, auch für die Frauen. Seit vier Uhr heizte die Magd Erna den Kessel und würde ihn den ganzen Tag nicht lange aus den Augen verlieren.
„Michael, drehst du wieder die Mettwurst durch?“, fragte Schlachter Lampe gewöhnlich. Der Schlachttag neigte sich dem Ende zu. Mettwurst machen war eine der letzten Arbeiten. Und ich würde antworten: „Das mache ich doch jedes Jahr.“ Bald wohl nicht mehr, kam es ihm noch in den Sinn, bevor er einschlief.
Am nächsten Morgen betrat Michael die vom Kessel verquiemte Waschküche. Die Würste wurden gerade herausgenommen und im kalten Wasser geschwenkt. Dann brachte Anna sie in die Wurstkammer. Karl war inzwischen auch da. Die Schmiede lief ja weiter - auch an solch einem Tag.
„Komm ran, Michael. Wir wollen fertig werden.“
„Klar, Schlachter Lampe. Und du weißt ja, nach jeder siebenten Wurst gibt es einen Schnaps.“ Alle lachten.
„Michael!“, blitzte Sarah.
„Na gut. Nach jeder elften Wurst.“
Sarah wischte sich den Schweiß von der Stirn und schüttelte den Kopf.
„Keine Sorge Mutter, nur noch einen.“
„Oder zwei“, rief Bruder Hinrich.
Alle freuten sich schon insgeheim auf das Abendessen und das gemütliche Beisammensein. Das eigentliche Schlachtfest. Karl musste noch die Mettwürste auf den Boden bringen. Dort würden sie trocknen, bis sie reif waren - so sechs bis acht Wochen. Heinrich Schlachmann kümmerte sich noch um die beiden Hinterschinken. Er legte sie in einen Holzbottich und bedeckte sie ganz mit Salz. In dieser Sole würden sie dann sechs Wochen liegen bleiben, bis sie ebenfalls zu den Mettwürsten auf den Boden kamen und dort blieben, bis der Kuckuck ruft, so im Mai. Dann erst würde der Schinken von Vater Schlachmann angeschnitten werden. Voller Stolz, ganz Hausherr.
Vorläufig für mich das letzte Schlachtfest, dachte Michael. Auch ich komme ja mal wieder, schob er den Gedanken sofort beiseite.
Wenn er gewusst hätte, dass auch Menschen geschlachtet wer…
Jeder hatte sich noch mal ein bisschen gesäubert und versucht, den Gestank des Tages loszuwerden. Beim Schlachten allerdings roch es sowieso im ganzen Haus. Tagelang war das so. Alle saßen um den großen Tisch herum. Alle, die mitgeholfen hatten, so war es der Brauch. Michael sah dem Treiben zu. Er fühlte sich zufrieden hier - im Kreise seiner Lieben. Ein wohliges Gefühl von Geborgenheit erfüllte ihn. Viele hatten noch erhitzte Gesichter. Zu allem Überfluss war auch der alte Kamin noch an. Sarah konnte es nicht lassen. Aber sie bestand darauf, das Kesselfleisch würde so am besten schmecken. Vielleicht erinnerte sie irgendetwas in dem Zusammenhang an Spanien, an die Hazienda. Michaels Blick fiel auf Karl; der wirkte wie immer ruhig und gelassen. Ich glaube, Karl hat nur seine Schmiede im Kopf. Und natürlich Anna. Schön eigentlich. Hinrich sitzt natürlich neben Onkel Johann, wie jedes Mal. Die beiden werden ordentlich einen bechern heute - auch wie jedes Mal. Na und, dachte Michael, den Blick weiter in die Runde schweifen lassend. Warum auch nicht. Vater hat seinen Platz vor dem Tisch, an der Stirnseite. So wie es ihm gebührt. Doch sichtbar ein wenig stolzer an solchen Tagen, als man es sonst von ihm gewohnt ist. Mutter und Anna schmeißen wie immer den Laden. Immer darauf bedacht, dass der Knecht und seine Frau und Otto der zweite Geselle und der Lehrling schön am Tisch sitzen blieben. Jeder hatte seinen Beitrag geleistet und nun sollten alle Schlachtfest feiern. Das war Sarahs Credo. Natürlich war auch Alfonso mit seinem Sohn Antonio beim Essen dabei, obwohl sie nicht mitgeholfen hatten. Das war einfach nicht ihre Sache.
Sarah