Die ihre Seele töten. Wilfried Stütze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilfried Stütze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753196503
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Ich wollte niemanden damit belasten. Behalte bitte auch du es für dich. Ich wäre gerne der Nachfolger von Don Miguel geworden.“

      Noch nie hatte sich Michael Gedanken um seinen Onkel gemacht. Er hätte damals auch weiterziehen können, nach Hamburg, Amsterdam oder sonst wohin. Aber aus Liebe zu seiner Schwester war er geblieben. Dann aus Liebe zu seinem Sohn, der hier in Braunschweig sicher und behütet aufwachsen sollte. Ob Mutter davon wusste oder es ahnte? Sicher nicht. Alfonso hatte nie Anlass dazu gegeben. Und jetzt offenbart er sich mir, seinem Neffen. Der praktisch dabei ist, von hier fortzugehen – wer weiß, wie lange! Warum nur? Und ich zermartere mir das Hirn, ob es richtig ist zu gehen oder nicht.

      „Ich werde alles in meinem Herzen verschließen, Don Alfonso, solange du es willst.“

      Alfonso nahm einen großen Schluck und bestellte zwei weitere Humpen Mumme.

      „Du willst fortgehen, Michael, freiwillig. Das ist in Ordnung. Du weißt allerdings nicht, was du an der Heimat, an deiner Familie hast. Das wirst du erst später im Leben erfahren. Ich will es dir keineswegs ausreden. Nur, dass du es dir gründlich, wirklich gründlich überlegst.“

      „Das werde ich, äh, das habe ich, meine ich. Ich glaube, die Mumme wirkt langsam, Onkel.“

      „Das macht nichts, Neffe. Prost.“

      „Also, Don Alfonso, die Sache ist eigentlich ganz einfach. Ich habe eine durchaus gute Ausbildung hinter mir. Du hast ja das Deine dazu getan. Nur für den Fernhandel reicht es nicht, nicht für den wirklich großen Handel. Dafür muss ich mehr wissen. Wie geht das mit den Finanzgeschäften, so wie man es von den Fuggern hört? Wie schaffen die es, Waren in ganz Europa zu handeln? Allein das Transportwesen: Sie haben überall Niederlassungen, genau wie die Hanse überall Kontore hat. Sie besitzen Bergwerke, Banken und einen eigenen Botendienst.“

      Michaels Augen leuchteten wasserblau, während er sprach. Alfonso spürte seine Begeisterung.

      „Ich will es und ich werde es schaffen!“

      Seine Augen werden wieder stahlblau, bemerkte Alfonso.

      „Du wirst es schaffen. Übrigens, ich sagte es schon letztens bei unseren Schießübungen: Die Fugger transportieren auch Informationen. Die Auftraggeber wissen, dass sie geheim bleiben und sicher transportiert werden. Weißt du, aber auch die Fugger selbst unterhalten durch ihre Boten ein riesiges Nachrichtensystem. Für Kaufleute so großer und verzweigter Geschäfte ist es wichtig, schneller als andere über Ereignisse Bescheid zu wissen – Ereignisse, die vielleicht eine Ware knapp machen. Dann heißt es: rechtzeitig einkaufen.“

      „Und teuer verkaufen, wenn sie wirklich knapp ist“, unterbrach Michael.

      „Du scheinst auch auf diesem Gebiet ein Naturtalent zu sein.“

      „Allerdings ein Talent ohne Geld. Denn immerhin will ich mich irgendwann selbstständig machen.“

      „Wie, um alles in der Welt, willst du das denn finanzieren?“

      „Na, da fällt mir ein Onkel ein, der es, glaube ich, gut mit mir meint.“

      „Welche Sicherheiten bietest du?“, lachte Alfonso.

      „Oh, dann bitte ich Onkel Johann. Der vertraut mir auch ohne Sicherheiten.“

      Beide lachten und tranken. „Behalt das mit der Selbstständigkeit noch für dich, Don Alfonso. Lass uns gehen.“

      Als Michael im Meinhardshof ankam, senkte sich bereits die Nacht über die Stadt Heinrichs des Löwen. Sie hatten es gerade noch durch das Fallersleber Tor geschafft. Vom Bett aus hörte er das Wächterlied:

      Leven heren, latet juw sagen:

      De klock heft … geslagen.

      Bewart juwe füer unde licht,

      dat nemande schade geschicht!

      Man kann sich wohlfühlen im Meinhardshof, dachte Michael noch und schlief ein.

      7

      Die Fuhrleute trieben ihren Pferdewagen mächtig voran, obwohl die Gassen schmal waren. Sie waren durch das Wendentor im Norden gekommen und rumpelten nun auf den mit behauenen Steinen gepflasterten Straßen durch die Stadt. Es stank bestialisch mancherorts, schütteten doch die Anwohner ihre Fäkalien oder Abwässer oft auf die Straße. So mancher Nachttopf wurde von den Hausfrauen einfach aus dem Fenster entleert. Die Fachwerkfassaden der Häuser in Braunschweig erhoben sich bis zu drei Stockwerke. Da die Erker in die Gassen hineinragten, verdeckten sie zuweilen die Sonne.

      Sie wollten möglichst schnell in die Schenke. Das war ihnen zwar nicht erlaubt, aber bisher waren sie zügig vorangekommen. Der Graf sollte ruhig ein bisschen warten. Bis zum Abend würden sie ihr Ziel, das Rittergut Lucklum, erreicht haben. Es war Markttag wie eigentlich jeden Tag, aber freitags und auch samstags war besonders viel los, also noch weniger Platz in den Gassen. Überall wimmelte es von Menschen. Frauen liefen mit ihren Einkaufskörben zum Altstadtmarkt. Dazwischen schleppten Handwerker Material. Bettler baten an solchen Tagen aggressiver um Almosen. Gaukler versperrten den Weg, immer war eine Menschentraube um sie herum.

      Auch sie wollten zum Markt. Franz, der erste Kutscher, knurrte: „Lass uns gleich da vorne in der Mumme-Schenke einkehren, bevor wir noch stecken bleiben.“

      Sie waren schon am Klint angelangt, ziemlich nah am größten Markt der Stadt, dem Altstadtmarkt. Sepp neben ihm auf dem Kutschbock hatte nichts erwidert. Er sprach nie besonders viel.

      Der Hof war einigermaßen geräumig, sodass sie gleich wenden konnten. So würden sie später kaum Zeit verlieren.

      „Hey, Stallknecht! Gib den Pferden zu saufen und häng ihnen dann den Futtersack um, aber mit ordentlich Hafer drin. Hier, der Kreuzer ist für dich“, rief Franz etwas großspurig und schnipste dem Stallknecht die Münze zu.

      Es roch nach Essen, Bier, Urin, Schweiß, doch die Mumme- Schenke hatte einen guten Ruf. Das Bier war unglaublich gut. Rotbier, hier wurde es Mumme genannt, aber auch Weißbier – und es gab den ganzen Tag Suppe. Der Kessel hing über offenem Feuer im Kamin und wurde immer wieder von einer Magd mit Wasser, aber auch mit Speck und Bohnen gefüllt. Handwerker, andere Kutscher und auch Kaufleute füllten den Raum. Er war vom Kamin und vom Tabakrauch verqualmt.

      Sie setzten sich unaufgefordert zu zwei anderen Kutschern an den Tisch. Das war so üblich hier. Man blieb unter seinesgleichen. Franz und Sepp bestellten zwei Humpen Bier, Käse und Brot. Der Käse war hier sogar ohne Maden. Nachdem das Mahl verzehrt war, steckte sich Sepp Kautabak in den Mund und Franz zündete genüsslich seine Pfeife an. Dann kam das übliche Woher- und Wohin-Geplänkel mit den Tischnachbarn, die sich aber bald verzogen, sodass die beiden allein zurückblieben.

      „Lass uns aufbrechen“, murmelte Sepp.

      „Ach was, einen Humpen nehmen wir noch. Die Zeit reicht und die Mumme schmeckt, stimmt`s?“

      Franz war in guter Stimmung. Der Graf bezahlte seine Kutscher im Gegensatz zu anderen gut. Will wohl sicherstellen, dass wir nicht abhauen und vor allem die Klappe halten, dachte er.

      Auch Sepp stieg die Mumme jetzt langsam zu Kopf und er fing an zu reden: „Wir bringen jeden Monat eine Ladung Musketen an die Elbe in die Nähe von Magdeburg, Franz. Manchmal kommt ein zweiter Wagen leer mit und unterwegs nehmen wir Fässer aus der Pulvermühle in Schöningen auf. Da stimmt doch was nicht.“

      „Das geht uns nichts an. Der Graf zahlt gut. Denk an die Mäuler, die du zu stopfen hast. Außerdem kann der Graf handeln, mit wem er will und was er will. Was soll daran nicht richtig sein? Klar, die Büchsenmacher der Stadt würde es mächtig ärgern, würden sicher selbst gerne liefern. Aber was könnten die schon ausrichten?“

      Sepp, durch den Alkohol schon etwas lauter: „Aber schweigen sollen wir trotzdem, sonst lässt er uns seine achtschwänzige Katze spüren oder Schlimmeres. Und vor allem, die Musketen gehen doch an die Katholischen, oder? Das ist Hochverrat.“

      „Quatsch!