Die ihre Seele töten. Wilfried Stütze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilfried Stütze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753196503
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Winkelkneipen gab es immer noch.

      Er selbst war auch mal dort, aber irgendwie hatte er keinen wirklichen Spaß an dem Trubel dort finden können. Die Mädchen waren auch nicht nach seinem Geschmack, obwohl er gut ankam. Hinrich behauptete zwar immer, er sei dürr wie eine Bohnenstange, aber er selbst fand sich schlank für seine eins fünfundsechzig bestenfalls drahtig. Jedenfalls fanden die Mädchen seine langen blonden Haare und besonders seine wasserblauen Augen umwerfend.

      Im Gegensatz zu Hinrich habe ich noch nie mit einer Frau … Hinrich ist da anders … „Ich gehe zu Bett, Mutter. Morgen wollen Onkel Alfonso und ich mit den Waffen trainieren.“

      „Am Sonntag?“

      „Wir gehen wie immer vor die Stadt, in die Buchhorst. Du solltest dich auch hinlegen. Vater kommt bestimmt auch bald. Ich bin nur vorweggelaufen.“

      „Warum so besorgt, Sohn?“

      „Weil ich dich gern hab.“

      Michael drückte seiner Mutter Sarah einen Kuss auf die Wange und sprang die Stiege hoch zu seiner Kammer.

      Ich muss mit den Eltern reden, dachte Michael und schlief bald den unbekümmerten Schlaf der Jugend.

      *

      Der Graf war heute sicher zur Jagd. Heute früh konnte man Schüsse aus Richtung des Elmwaldes hören. Ob das ein Vergnügen ist bei dem Wetter?, dachte Heinrich und stapfte durch den immer noch andauernden Regen in Richtung Burgplatz.

      Er wollte auf direktem Weg nach Hause. Nur dem Löwen würde er noch seine Referenz erweisen. Der stand auf seinem steinernen Sockel, wie ihn Heinrich der Löwe im Jahre 1166 hatte hinstellen lassen, Sinnbild seiner Tapferkeit und seinen Feinden zur Warnung.

      Heinrich betrat sein Grundstück am Meinhardshof durch die mächtige, mit eisernen Nägeln beschlagene zweiflüglige eichene Tür zur Diele.

      „Du bist ja immer noch auf, Sarah!“

      „Mir geht vieles durch den Kopf, wie seit Langem nicht mehr. Hoffentlich ist das kein schlechtes Zeichen.“

      „Übrigens, warum benutzt du eigentlich den Kamin? Wir haben doch schon lange gefangenes Feuer. Durch den Anbau hast du einen Herd mit Blick auf den Hof, mein Schatz“, versuchte er ein bisschen abzulenken. „Geh am besten zu Bett. Ich komme auch gleich.“

      „Gibt es Krieg, Heinrich?“

      Sarah schaute ihn mit ihren tief dunkelbraunen Augen an. Es waren wissende Augen. In Zeiten der Gefahr wurden sie stechend. Heinrich wusste das. Er musste dann unwillkürlich wie gebannt hineinschauen. In diesen Augenblicken hatte Sarah etwas Mystisches.

      „Wir werden Braunschweig da möglicherweise heraushalten können, Sarah.“

      Heinrich war klar, dass er ihr jetzt keine Ammenmärchen erzählen konnte und sollte. Seine Frau hatte nicht nur eine Höhere-Töchter-Ausbildung und -Erziehung im spanischen Elternhaus genossen, sondern sie war inzwischen auch eine gebildete Frau, die vielerlei wusste.

      „Wir reden morgen darüber, einverstanden?“

      Sarah ging nach einem kurzen Nicken die Stiege hoch in ihr gemeinsames Schlafzimmer. Heinrich sah ihr mit zärtlichen Gefühlen hinterher. Sie war eine Schönheit mit ihrer bronzefarbenen Haut und den pechschwarzen Haaren.

      Heinrich hatte damals bei ihrem Bruder Alfonso symbolisch um ihre Hand angehalten. Bei ihrem Vater konnte er es ja nicht mehr tun. Sarah war damals traurig und glücklich zugleich.

      Der Brief Don Miguels und das Handelsbuch lagen noch auf dem Tisch. Heinrich las nach langer Zeit wieder die letzten Zeilen von Don Miguel y Dominguez an seine Kinder Sarah und Alfonso.

      Nachdem Heinrich fertig war, verstaute er das Handelsbuch und den letzten Brief Don Miguels wieder in der Truhe auf der Diele. Dort gehörten sie hin. Wenn Don Miguel wüsste, dass er drei Enkel hat …, dachte er noch, während er die Stiege zur Schlafkammer hinauf ging.

      5

      Die Glocken von St. Andreas waren an diesem Sonntagmorgen klar zu hören. Zum Gottesdienst würden sie heute nicht gehen. Oft gingen sie ohnehin nicht, aber das nahm ihnen keiner wirklich übel. Heinrich streichelte Sarah sanft über ihre schwarzen Haare. Das war ihr stummes Ritual. Wenn Sarah sich daraufhin zu Heinrich umdrehte, würden sie sich gegenseitig streicheln, bis sie es nicht mehr aushalten konnten. Ihr gegenseitiges Verlangen war über all die Jahre geblieben. Sie spürten es vielleicht nicht mehr so häufig, aber wenn, dann war es immer schön. Sarah drehte sich nicht um.

      Heinrich stand ohne Groll auf. Soll sie ruhig noch ein bisschen dösen. Ist ja Sonntag.

      Michael und sein Vater saßen schon an dem großen eichenen Küchentisch, als Hinrich und Onkel Johann fast zeitgleich die Stiege herunterkamen. Nesthäkchen Anna und die Magd Erna machten sich am Herd zu schaffen. Der lange Tisch wirkte sonntags ziemlich leer. In der Woche dagegen aßen alle zusammen, die ganze Hausgemeinschaft. So war es Brauch. Vor allem Sarah war das wichtig. Anna machte sich daran, noch vor dem sonntäglichen Familienfrühstück Karl, dem Altgesellen, und Otto, dem zweiten Gesellen, ihr Essen zu bringen. Magd Erna machte sich ebenfalls auf den Weg und nahm für sich, ihren Mann Alwin und den Lehrling Fritz das Frühstück mit.

      „Wie gut es uns doch geht!“, kam Sarah lächelnd die Stiege herunter.

      So richtig wusste vermutlich keiner, wie sie das meinte, aber jeder nickte und murmelte irgendetwas. Nur Heinrich wurde nachdenklich.

      Später saßen beide im Hof auf der Holzbank unter der mächtig ausladenden Eiche. Die war zwar andauernd im Weg, aber keiner brachte es übers Herz, sie zu fällen.

      „Wie lange steht der Baum schon, Heini?“

      Wenn Sarah ihren Mann gerade besonders lieb hatte, nannte sie ihn Heini.

      „Mein Großvater hat ihn vor langer Zeit, vielleicht vor fünfzig oder sechzig Jahren, gepflanzt. Ich bin als Kind schon darauf herumgeklettert.“

      „Was der Baum schon alles erlebt hat, allein seitdem wir uns kennen … die Nachricht von Vaters Tod …“ Sarah schwieg eine Weile. „Weißt du noch, dass wir uns unter der Eiche zum ersten Mal geküsst haben?“

      „Wie könnte ich das vergessen? Die Kinder haben in ihrem Schatten gespielt“, fuhr jetzt Heinrich fort. „Auch die Zeitläufe sind über sie hinweggegangen. Katholische, Evangelische und vorerst wieder Katholische. Was quält dich nur so, mein Schatz? Der Krieg wird, glaube ich jedenfalls, an Braunschweig vorüberziehen. Camann sagt …“

      „Vielleicht ist es ja nicht der Krieg. Ich habe das Gefühl, alles verändert sich und nicht unbedingt zum Guten. Ich habe so gewisse Ahnungen, Mutter hatte auch oft Ahnungen. Erklären kann ich das nicht. Alles verändert sich. Es gibt auch Zeichen dafür.“

      „Was für Zeichen?“

      „Zum Beispiel, dass unsere Tochter Anna verliebt ist.“

      „Verliebt?“ Heinrich war ehrlich erschrocken. „In wen?“

      „Das ist eine positive Veränderung. Leider gibt es mehr weniger gute.“

      „In wen ist sie verliebt, um Himmels willen?“

      „In Karl, du Träumerli. Hast du das immer noch nicht gemerkt? Aber lass uns später darüber reden.“

      „Aha, deswegen schaut Otto so grimmig durch die Gegend“, bemerkte Heinrich. „Der hatte sich wohl auch Hoffnungen gemacht!“

      „Später, Heinrich, später.“

      „Na, und unser Hinrich ‚tobt sich aus‘, wie Michael sagt. Gut, er ist jung. Ich finde aber, dass er sich ein bisschen zu viel austobt.“

      „Dann werde ich dem einen Riegel vorschieben“, polterte Heinrich, nicht gerade glaubwürdig.

      „Ach, Heini, da steckt mehr dahinter. Er wird die Büchsenschmiede