Das war unerwartet schnell gegangen. Frau Wolenski schien ihn vielleicht irgendwie ein wenig gemocht zu haben.
4.
Die Kolonne aus einem Dutzend Fahrzeugen rollte über eine Kreuzung mit gemächlichem Tempo auf eine mehrspurige Hauptstraße. Es gab keinen Verkehr, den die Wagen behindern konnten, denn die Verkehrswege waren großräumig abgesperrt. Die an diesem Tag beginnende Tagung erwartete Vertreter wichtiger europäischer Unternehmen, Teilnehmer von Think Tanks und bedeutende Vertreter der europäischen Politik für einen mehrtägigen Gedankenaustausch zum Thema der kontinentalen Energiesicherheit. Ein solch bedeutendes Ereignis rechtfertigte umfassende Sicherheitsmaßnahmen, um für die anreisenden Teilnehmer jegliche Gefahr auszuschließen.
Daher war auch der Luftraum bis auf eine Vielzahl von Überwachungsdrohnen und bewaffneten Fluggeräten über mehrere Dutzende Quadratkilometer geräumt. Die beiden Insassen des mittleren Fahrzeugs der Kolonne beschäftigten solche Gedanken nicht. Für sie waren Aspekte, die ihr Leben nahezu ständig umgaben, eine für sie selbst quasi unsichtbare Selbstverständlichkeit.
Der hagere Mann in einem akkurat sitzenden dunklen Anzug strich mit einer leicht altersfleckigen Hand langsam über seine faltige Wange und kontrollierte unbewusst die Qualität seiner Rasur. Sein noch recht vollständiges Haupthaar war zu einer Bürste frisiert und wirkte wesentlich progressiver als die Frisur der Frau. Er saß ihr gegenüber, mit dem Rücken in Fahrtrichtung. Das voll automatisierte Fahrzeug orientierte sich am vorausfahrenden Wagen.
>>Vielen Dank noch mal, Hurley, dass Sie Zeit gefunden haben, mich am Flughafen zu treffen. Während der Tagung werden wir kaum noch Gelegenheit haben, ungestört miteinander zu reden!<<
Hurley neigte seinen Kopf bedächtig seiner Gesprächspartnerin zu.
>>Wie sind Ihre neuesten Eindrücke aus Brüssel?<<, setzte die Frau eine Frage hinterher. Hurley schien kurz nachzudenken.
>>Eigentlich ist alles wie immer. Kommission und Parlament folgen artig den Vorgaben der Kapitalfonds. Früher nannte man so etwas Lobbyarbeit. Heute sind das etablierte Einrichtungen, die völlig ungeniert Einfluss nehmen. Wie die Zeiten sich ändern!<<
>>Demokratie kann tatsächlich käuflich sein!<<, erwiderte sie leicht säuerlich.
>>Das war sie doch schon immer, nur nicht so öffentlich<<, nickte Hurley.
>>Das haben wir oft genug erörtert. Diese Geier fliegen auch ständig um meinen Bundestag herum und hinein. Und ich würde es begrüßen. Sie endlich auf Abstand halten zu können.<<
Die Augen der Frau wurden zu schmalen Schlitzen und um ihre Lippen erschienen zahlreiche kleine Falten, als sie sie zusammenpresste, um ihren Zorn zu kontrollieren.
>>Hurley, wir haben uns ein konkretes Ziel ausgesucht, um einen Schritt in diese Richtung zu gehen, aber wenn wir nicht endlich in diesem Thema weiterkommen, wird DesertEnergy uns bald gänzlich auf dem Kopf herumtanzen<<, sagte die Frau in einem fast vorwurfsvollen Ton. In ihrem dunkelgrünen Hosenanzug wirkte sie nicht sehr feminin, auch weil sie flache Schnürschuhe trug, die an einem Mann nicht als modische Entgleisung aufgefallen wären, ebenso wie ihr schlichter Kurzhaarschnitt.
>>Frau Reinders-Winkelmann, es tut mir leid, aber ich kann mit dem mir zur Verfügung stehenden Mitteln leider nicht zaubern. Die Überwachung geschieht im gesetzlichen Rahmen. So lange wir kein belastendes Material haben, können wir nicht aktiv werden. Das wäre ein klares Vergehen gegen Gesetze. Käme so etwas raus, würde das EU-Parlament meine Behörde unter begeistertem Applaus verschiedener Wirtschaftsverbände und Kapitalfonds richtig an die Leine legen.<<
Hurley, Leiter des Intelligence Analysis and Situation Centre, INTCEN, des Nachrichtendienstes der Europäischen Union, lehnte seinen Kopf an die Kopfstütze seines Sitzes. Das Fahrzeug neigte sich leicht zur Kurveninnenseite, ohne das Tempo zu reduzieren.
Reinders-Winkelmann winkte müde ab.
>>Ich bin mir dessen bewusst. ProtectCapital hat dem Konzern ausgezeichnete Voraussetzungen mitgegeben, bald ein Monopol auf die Energieversorgung in Europa zu schaffen. Mir steht dieser Mist, den meine Vorgängerin damals abgenickt hat, bis hier!<<
Demonstrativ wischte die Bundeskanzlerin mit einer flachen Hand an ihrem Hals entlang.
>>Das Europaparlament ist nicht gewillt, die Gesetzeslage für den EU-Raum anzupassen, um solche Marktverwerfungen zu unterbinden. Die Angst vor den Reaktionen aus der Finanzwirtschaft ist beträchtlich!<<, entgegnete Hurley mit einem vielsagenden Augenbrauenzucken.
>>Die meisten unserer von mir eher weniger geschätzten Kollegen haben wohl eher Angst um ihre zukünftigen lukrativen Posten in Aufsichtsräten und Beraterjobs, wenn sie ihren späteren Chefs vors Knie treten<<, spottete Reinders-Winkelmann, was der Leiter von INTCEN mit einem beifälligen Nicken beantwortete.
>>Ich bin alt genug. Mein Berufsleben werde ich nächstes Jahr in diesem Job beschließen. Es scheint, ich leide nicht an solchen Befindlichkeitsstörungen. Deswegen habe ich mir auch die Freiheit genommen, Ihren Umweltminister observieren zu lassen! Unter anderem!<<
>>Ich habe diesen schmierigen Kriecher nicht für seinen Posten ausgesucht. Er war ein freundliches Angebot unseres ökologisch korrekten Koalitionspartners, der alles durchwinkt, was irgendwie nach besserer Welt klingt, egal, um welchen Preis!<<
>>Lauffert pflegt auffällig häufig Kontakt zu Raedick, einem der Vorstandsmitglieder von DesertEnergy! Ich denke, sein nächster Karriereschritt ist vorgezeichnet! Bis dahin wird er den Weg für das Unternehmen noch ein wenig ebnen. Seine Bemühungen um die europaweite Ausschaltung lokaler Stromerzeuger werden der Energiebranche weitere Geschäfte bescheren.<<
>>Haben Sie wenigstens endlich etwas gegen Lauffert in der Hand? Und es ist mir egal ob er Raedick mit jungen Frauen aus dem Osten versorgt, oder ob er Strom stiehlt.<<
Hurley schüttelte bedauernd den Kopf.
>>Tut mir leid! Aber Lauffert scheint nur aus Politik und Korrektheit zu bestehen.<<
>>Gut, es gibt also nichts Neues! Auch zu DesertEnergy vermutlich nicht!<<
Mit resignierter Miene winkte die Kanzlerin ab. Das Fahrzeug hielt kurz hinter dem vorausfahrenden Wagen. Als dieser sich wieder in Bewegung setzte, folgte es ihm mit wenigen Metern Abstand.
>>Nun ja, es ist nicht ganz einfach!<<
Reinders-Winkelmann zog Luft hörbar durch ihre Nase ein. Die Nasenflügel zogen sich sichtlich zusammen.
>>Sie liefern mir Raedick oder Jacobs also nicht mehr in dieser Legislaturperiode.<<
Die Kanzlerin schaute nachdenklich nach draußen. Hurley spürte ihre resignierte Stimmung.
>>Dieser großartige kollektive Staatsbankrott hat uns ein wunderbares neues System verpasst. Ausverkauf an profitgierige Konzerne. Gesetzesbeschlüsse auf Wunsch wirtschaftlicher Interessengruppen. Wir haben neue große Spieler in Europa, die uns auf dem Kopf herumtanzen. Und zu viele Politiker machen ihnen auch noch den Hof. Ich frage mich manchmal, warum man sich damals nicht gleich darauf geeinigt hat, die Regierungen auch durch die Gläubiger bestimmen zu lassen.<<
Reinders-Winkelmann schaute auf ihre Fingernägel herunter.
>>Mein Optimismus, das durch neue politische Impulse ändern zu können, war leider völlig an der Realität vorbei. Und jetzt habe ich eine Reihe von Baustellen, auf denen es nicht vorwärtsgeht. Ich möchte ungern völlig erfolglos als die Kanzlerin abtreten, die nur weiter verwaltet hat. Was ist mit FreePeople? Wenn diese Terroristen uns nicht regelmäßig irgendwelche Blackouts bescheren würden, fände ich unsere heimische Guerilla fast sympathisch. Die richten mehr gegen DesertEnergy aus als wir.<<
Ihr Gegenüber nickte gefällig.
>>In