Alsuna Jasmin - Sonnenblume. Bridget Sabeth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bridget Sabeth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753194325
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wird Ihre Freundin direkt in das Landeskrankenhaus Graz gebracht, dort sind sie spezialisiert auf Rauchgasvergiftungen.«

      Graz! Wie schlimm war sie tatsächlich verletzt? Mara konnte ihr nicht einmal schreiben, anrufen oder beistehen! Sie musste so schnell wie möglich versuchen, in der Klinik etwas in Erfahrung zu bringen. Aber allein die Fahrt nach Graz dauerte mit Blaulicht mindestens eine halbe Stunde, dann die Untersuchungen … Geduld zählte nicht zu Maras Stärken. »Danke«, flüsterte sie dennoch rau.

      »Nichts zu danken, wir tun nur unsere Pflicht. Entschuldigen Sie, es stehen noch einige Befragungen an.« Berger tippte auf seine Kappe und verschwand.

      Mara setzte sich in den Wagen. Sie starrte auf die Ruine, hell erstrahlt durch die Scheinwerfer, die von der Feuerwehr aufgestellt worden waren, um zu erkennen, ob sich noch irgendwo ein Glutnest verborgen hielt.

      »Lass Suni rasch wieder okay sein«, sprach Mara erstickt. Obwohl sie mit eigenen Augen das Ausmaß der Zerstörung sah, konnte sie es kaum fassen. Sie startete den Wagen, wollte heim in den Nachbarort Seckau, in das gemeinsame Häuschen von Paul und ihr, um dort Zuflucht zu suchen, für Suni zu beten – und später in der Klinik anzurufen!

      Intensivstation – Landeskrankenhaus Graz

      Es brannte in meiner Kehle und in der Brust gleichermaßen. Ich blinzelte, versuchte dennoch, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Langsam realisierte ich die Umgebung, die weißen Wände, hörte ein regelmäßiges Piepsen. Der Nebel klärte sich in meinem Kopf, Bilder purzelten durcheinander. Das Haus in Flammen, der klaffende Kopf meiner Mutter, tot.

      Hektisch setzte ich mich auf, rang nach Atem, obwohl ich eine Sauerstoffbrille umgelegt hatte. Das Piepsen im Hintergrund beschleunigte sich. Ich trug einen Pulsoxymeter am Finger und eine Manchette am Oberarm, die sich in regelmäßigen Abständen aufblies. Statt der Schwesternuniform war ich mit einem Krankenhaushemd bekleidet, das im Nackenbereich zwei Bänder zum Verschnüren aufwies. Nach wie vor roch ich wie ein geräucherter Speck und hätte eine Komplettreinigung dringend nötig. Da bemerkte ich seitlich eine Bewegung, ein Krankenpfleger trat zu mir.

      »Wie schön, Sie sind wach. Ich bin Pfleger Mario, und darf mich um Sie kümmern.«

      Ich entgegnete nichts, von schön war ich weit entfernt. Ich lag im Krankenhaus, während sich meine Mutter wahrscheinlich in der Pathologie befand. Ob sie bereits untersucht wurde?

      »Sie befinden sich auf der Grazer Intensivstation. Für die Überstellung hat Ihnen der Arzt ein Schlaf- und Schmerzmittel injiziert. Ihre Verletzung am Rücken wurde bereits versorgt.«

      Traurig neigte ich den Kopf, sah zum Fenster hinaus. Es zeigte sich dunkle Nacht. Wie lange war ich weggetreten gewesen? Ich schluckte die Frage hinunter, da es zu sehr in meiner Kehle brannte.

      »Kommen Sie, trinken Sie einen Schluck. Das wird Ihnen guttun und das Kratzen sowie die Schmerzen lindern.«

      Folgsam umklammerte ich den Becher, nippte an der Flüssigkeit, die ein wenig den Brandgeschmack im Mund vertrieb. »Und nun?« Meine Stimme klang ungewohnt kratzig und fremd.

      »Wir werden als Nächstes einige Untersuchungen machen müssen. EKG, Lungenfunktionsprüfung … der behandelte Arzt möchte Sie danach in die Druckkammer bringen. Es wird bereits alles vorbereitet.«

      »Ich … ich …«

      »Das ist zu Ihrem Besten. Eine Kohlenmonoxidvergiftung ist nicht zu unterschätzen, kann zu Schäden im Gehirn oder im Herz führen. Die hyperbare Sauerstofftherapie wirkt dem entgegen. Sie hilft dabei, die Giftstoffe aus ihren Bindungen im Körper zu verdrängen und unterbindet damit gleichzeitig die Folgeschäden. Je früher wir damit starten können, umso besser.«

      Die Stimme des Pflegers klang sonor und tief, wirkte beruhigend auf meine verwundete Seele. »Einverstanden«, presste ich hervor und sackte matt auf das Kissen zurück. Dabei zischte ich schmerzhaft auf, fühlte einen Verband am Rücken und verlagerte rasch mein Gewicht etwas auf die schmerzfreie Seite.

      »Machen Sie sich keine Sorgen, Sie werden sehen, es wird Ihnen bald besser gehen. In meinen Unterlagen ist eine Mara Gruber als Ihre Kontaktperson angegeben, und dass ein gewisser Willibald Winzer ebenso verständigt wird. Ist das richtig? Oder sollen wir noch jemanden informieren?«

      Mama! – Nein, sie ist tot! Nichts ergab einen Sinn. Ich schluchzte auf. Das Gesicht des Pflegers verschwamm vor mir.

      Mario drückte sanft meine Hand. »Eine schreckliche Sache, was passiert ist. Ich wünschte, ich könnte mehr für Sie tun.«

      Eine heiße Träne rann spürbar über meine Wange. Ich fühlte mich zu matt, um diese wegzuwischen. Nun war ich Waise! Keine Mutter, keine Geschwister, kein Vater!

      In meinem Schmerz mischte sich eine wehmütige Sehnsucht, weil ich den leiblichen Vater nie kennengelernt hatte. Er blieb seitens meiner Mama ein gut gehütetes Geheimnis. Das Wissen um ihn hatte sie mit in den Tod genommen. Zudem gab es genauso wenig irgendwelche Ersatzväter. Meine Mama Natascha hatte in dieser Beziehung wie eine Nonne gelebt, alle Avancen abgewehrt. Dabei war sie hübsch und gerade mal neunzehn Jahre älter als ich. Manche dachten, sie wäre meine ältere Schwester, obwohl wir uns optisch kaum ähnelten. Sie war klein, zierlich, dunkelhaarig, während ich sie fast um einen Kopf überragte, dazu blondes Haar hatte und blauäugig war. Das einzige männliche Wesen in ihrem Leben war Onkel Willi, Mutters Bruder. Ich empfand Willi bezüglich Männerwelt als ein abschreckendes Beispiel. Man konnte kaum eine intensive Bindung zu einem alkoholabhängigen Messie aufbauen! Ich rieb mir die Schläfen, in meinem Schädel wummerte es.

      »Ich werde rasch alles in die Wege leiten. Wenn etwas ist, einfach läuten. In wenigen Minuten komme ich wieder, dann helfe ich Ihnen dabei, sich frisch zu machen und umzuziehen.«

      »Bitte«, sprach ich erstickt. Obwohl ich total groggy war, sehnte ich mich danach, den anhaftenden Rauchgeruch bald loszuwerden.

      Der Pfleger drückte ein Kissen unter meinen Rücken, um mein linkes Schulterblatt freizulagern. »So befinden Sie sich nicht direkt auf der Brandwunde. Bis zur nächsten Schmerzdosis dauert es noch eine Weile, aber wenn Sie zu unerträglich werden, geben Sie bitte Bescheid, dann halte ich Rücksprache mit dem Doktor, ob wir eher etwas verabreichen können.«

      Ich nickte. Der Schmerz, der in meinem Herz tobte, würde sich mit keinem Medikament wegspritzen lassen. Ich schloss die Augen, hasste es, meinem schwachen Körper ausgeliefert zu sein, während es keine Erklärung für das Feuer und den Tod von Mama gab. Doch bald forderte nicht nur mein Geist hartnäckig weiteren Schlaf ein, sondern auch mein Körper, der gegen meine Vergiftung und die Verletzung ankämpfte.

      Ein nicht gesprächiger Transportdienst brachte mich in einem Rollstuhl Richtung Druckkammer. Ich fühlte mich, als wäre ich in einem falschen Film oder in einer anderen Zeit gelandet. Die Zeiger der Uhr im Gang standen auf der Zwei. Normalerweise würde ich im Seniorenheim grad eine neue nächtliche Runde durch die Bewohnerzimmer drehen. Ob Bernadette einen Ersatz gefunden hatte? Wusste meine Kollegin Bescheid darüber, was vorgefallen war? Eigentlich sollte ich mich bei ihr melden! Doch mit was? Ich hatte nicht einmal gefragt, wo sich meine persönlichen Gegenstände befanden. Das Handy lag vermutlich nach wie vor im Fußraum meines Wagens. Abgestellt vor meinem Heimathaus, das inzwischen wohl nur mehr eine Brandruine war.

      Ein schlechtes Gewissen regte sich in mir. Es war nicht meine Art, alles stehen und liegen zu lassen. Und die Leute im Pflegeheim alleine zu betreuen, war ein absoluter Wahnsinn! Zudem hatte es nichts gebracht.

      Mama ist tot! Erneut drängten in mir Tränen nach oben. Zittrig wischte ich mir einen Tropfen aus dem Augenwinkel und verbannte mit aller Gewalt meine Emotionen in die Tiefen zurück. Ich starrte auf das rote T-Shirt und eine schwarze Jogginghose, die aus dem Fundus des LKHs entstammten und mir zu weit waren.

      Pfleger Mario war, wie versprochen, mir bei der Körperpflege behilflich gewesen. Statt Qualm roch ich bedeutend frischer. Doch jeder Atemzug wirkte, als würde eine zentnerschwere Last auf meinen Brustkorb drücken, und ich war spürbar kraftloser. Sei froh, dass du nicht