Kapitel 13
Hartmann war aufgeregt. Er freute sich auf der einen Seite über die erste Aufgabe, die er bekommen hatte. Andererseits hatte er Angst, ein zu großes Risiko einzugehen. Dennoch war er fest entschlossen, heute seine ersten Erkundigungen einzuholen.
»So, tschüss bis morgen dann.«
Nachdem er sich die Hände gewaschen und umgezogen hatte, verabschiedete sich Hartmann von seinen Arbeitskollegen und trat aus der Kfz-Werkstatt ins Freie. Links neben dem Gebäude stand seine Schwalbe vom Typ KR 51. Einen PKW hatte Hartmann wegen der langen Lieferzeiten von bis zu zehn Jahren noch nicht.
Er stieg auf das Moped, steckte den Zündschlüssel hinein und startete es mit einem kräftigen Antritt. Der schrill kreischende Motor mit 1,8 PS sprang sofort an. Bernds Ziel an diesem späten Nachmittag war der alte Wasserturm neben der Grundschule von Pankow-Heinersdorf im Norden von Berlin. Dort stand die sowjetische Radaranlage zur Überwachung des Luftraumes von Berlin und des gesamten Umlandes, über die er weitere Informationen sammeln sollte.
Sein Herz schlug bis zum Hals, als er losfuhr. Die schlechte Straße, zum Teil noch mit Kopfsteinpflaster versehen, forderte seine volle Konzentration, so dass er sich ein wenig beruhigte.
Nach einer guten Viertelstunde war er am Ziel. Er stellte die Schwalbe in einer Nebenstraße ab, nahm seine Kamera aus der Satteltasche und schlenderte in Richtung Anlage. Auf dem Grundstück waren einige Uniformierte zu sehen. Hartmann machte diese als Soldaten der NVA, der nationalen Volksarmee, aus. Als er sich der Anlage bis auf fünf Meter genähert hatte, versuchte er, den Durchmesser der Parabolantenne zu schätzen.
»Schöne Antenne, nicht wahr?«
Hartmann zuckte zusammen. Ein NVA-Soldat hatte ihn von der anderen Seite des Zaunes gesehen und ihn angesprochen.
»Da bekommt man viele Radiosender mit, oder?«, entgegnete Hartmann.
Der NVA-Mann lachte.
»Ne, damit visieren wir den Flugverkehr an, hier und drüben.«
Der Mann zog an seiner Zigarette und schnippte sie dann weg. »Und nun verschwinden Sie, sonst muss ich Meldung machen.«
Hartmann wirkte sichtlich erleichtert.
»OK. Danke.«
»Nichts für ungut, Genosse.«
Hartmann warf einen letzten Blick auf die Umgebung. Dann drehte er um und ging zur Rückseite des Turms, wo einige Militärfahrzeuge parkten. Auch hier waren einige Wachsoldaten zu sehen. Insgesamt ca. 20 Soldaten als Wachmannschaft, versuchte er sich zu merken.
Hartmann schlenderte die Straße hinunter bis zur nächsten Abbiegung. Er machte noch ein paar Fotos von den Pflanzen am Wegesrand. Dort ging er einen weiten Bogen um die Radaranlage zurück zu seinem Moped. Er hatte genug gesehen.
Erleichtert, seine erste Aufgabe erledigt zu haben, startete er die Schwalbe und fuhr nach Hause. Das ist ja wirklich kinderleicht, dachte er. Ich muss nur ein wenig vorsichtiger an die Objekte herangehen. Das heute war zu ungestüm. Wenn der NVA-Mann schlechte Laune gehabt hätte, wäre es vielleicht unangenehmer geworden. Ich muss mir auch ein paar Ausreden zurechtlegen. Und der Fotoapparat muss immer dabei sein.
Mark Madsen fuhr wie jeden Tag in dieser Woche zu dem getarnten Briefkasten, um zu schauen, ob Post vom neuen Agenten aus Ost-Berlin gekommen ist. Heute lag ein Brief im Kasten. Na, da bin ich aber gespannt, dachte er. Madsen nahm den Brief und stieg wieder in sein Auto, einen BMW.
Nach einer halben Stunde hatte er die amerikanische Vertretung in der Clayallee erreicht. Er parkte sein Fahrzeug und ging in das Gebäude. Auf dem Weg zu seinem Büro traf er Darlene. Sie verabredeten sich für den nächsten Tag, um zusammen ins Kino zu gehen. Darlene schlug `Ein Rabbi im wilden Westen` mit Gene Wilder und Harrison Ford vor. Mark war es ziemlich egal, ihm war es nur wichtig, mit Darlene zusammen zu sein.
Nachdem er sein Büro betreten hatte, vergewisserte er sich, dass er ungestört war. Dann fing er an, den Umschlag zu untersuchen. Der Brief war zweifelsohne geöffnet worden. Mark fand aber keinerlei Spuren oder Beschädigungen. Er vermutete, dass die Kontrolleure heißen Wasserdampf benutzten. Als Absender stand Heinz Friedrich drauf. Ob die Adresse stimmte, wusste Madsen nicht. Hoffentlich hat er ans Verschlüsseln gedacht, hoffte Madsen. Er hatte schon viele Pannen erlebt. Aber seine Befürchtungen waren grundlos.
Nachdem er den Umschlag geöffnet hatte, zog einen Briefbogen heraus. Schnell erkannte er mit seinem geschulten Auge leichte Spuren, die auf eine Verschlüsselung hinwiesen. Dann begann er zu lesen.
Lieber Wolfgang,
das sind ja keine schönen Nachrichten von Tante Klara.
Ich wünschte, ich könnte euch helfen. Wäre ja auch für Sabine angenehmer. Aber leider ist das nicht möglich. Vielen Dank für die Briefmarke. Die hatte ich noch nicht. Bei mir gibt es sonst auch nichts Neues. Ich war gerade für zwei Wochen am Plattensee im Urlaub. Nun hat mich der graue Alltag wieder. Kommst du an die Briefmarkenserie zur Funkausstellung heran? Die wäre echt der Hammer. So, jetzt ist erst einmal Schluss. Du bist wieder dran mit Schreiben.
Oder ich höre anders von dir. Ist vielleicht besser, da ich immer noch schreibfaul bin. Liebe Grüße
Dein Heinz
Madsen machte sich umgehend an die Dechiffrierung des Briefes. Nach einer Viertelstunde war er fertig und las das Ergebnis.
Radaranlage wird von NVA bewacht. Ca. 50 Mann starke Mannschaft, wenn rund um die Uhr bewacht wird. Steht auf altem Wasserturm in Berlin Pankow. Ziemlich großes Modell. Zeichnet alle Flüge auf. Von Russen hier keine Spur. Bin angesprochen und dann verjagt worden.
Zufrieden lehnte sich Madsen im Stuhl zurück. Das Spiel hatte begonnen. Nun galt es, diesen Mann zu treffen, um ihm einige wichtige Tipps zu geben. Er war schließlich dort drüben auf sich alleine gestellt. Außerdem sollte er sein zugesagtes Geld bekommen. Rider schien schon darauf zu brennen, ihn kennenzulernen. Zunächst aber musste er ihm die Radiofrequenz senden. So wurde das Risiko mit den Briefen eingeschränkt. Phillips hatte bereits Einigung mit RIAS erzielt. Umgehend setzte er einen verschlüsselten Brief auf.
Nachdem er fertig war, leitete er die Botschaft von Hartmann an die zuständige Abteilung Aufklärung weiter. Dann musste er Rider informieren. Er sah auf die Uhr. Das wird ein langer Tag, dachte Madsen.
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