Tod im ewigen Eis. Hans Säurle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Säurle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753128030
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den Stollen hinab. Manchmal entgingen die Minenarbeiter diesem Schauer aus großen und kleinen Steinen nur um Haaresbreite.

      „Wenn wir nicht erschlagen werden wollen, müssen wir den Stollen abstützen, mit kräftigen Stämmen, die die herabfallenden Felsbrocken auffangen“, forderte Öcetim.

      Walober dachte an das viele Holz, das dafür geschlagen werden müsste. Er zuckte nur mit den Schultern und gab unbeeindruckt von diesen Befürchtungen Befehl, das bislang gebrochene Erz nach außen zu schaffen und anschließend – wie jeden Abend – Feuer zur Erhitzung des Gesteins zu entzünden.

      Mit großen Schritten und hochrotem Gesicht stapfte am nächsten Morgen Wurkaz zum Stollen. „Du Mistkerl willst hier die Arbeit einstellen“, schrie er und packte Öcetim am Kragen. „Hier an der ergiebigsten Schicht, die wir seit Jahren haben!“ Er schüttelte Öcetim heftig und verpasste ihm einen harten Fausthieb in den Bauch. „Hinein mit Dir in den Stollen und doppelte Leistung heute! Sonst gehst Du an den Pfahl.“

      Öcetim ballte seine Fäuste, senkte den Kopf und wollte schon auf Wurkaz losgehen, Gilger konnte ihn gerade noch zurückhalten. „Lass es“, flüsterte er Öcetim zu. „Du hast keine Chance.“

      Wütend drehte sich Öcetim um und schlug mit seinem Schlägel so heftig auf die Felsen ein, dass sich ein großer Brocken von der Decke löste und nur knapp neben Wurkaz auf den Boden fiel. Wurkaz bückte sich, nahm einen abgebrochenen Schaft eines Schlägels und wortlos hieb er damit Öcetim so fest er konnte in den Rücken. Dann stapfte er mit wutverzerrtem Gesicht so schnell als möglich nach draußen. „Das wirst Du mir büßen, Du nichtsnutziger Steineklopfer!“ schrie er. „Doppelte Arbeit für alle heute! Walober, Du bist mir dafür verantwortlich.“

      Öcetim rieb seinen schmerzenden Rücken und wollte widersprechen. Doch Gilger kam ihm zuvor. „Du musst Dich heute besonders hart quälen, Öcetim. Ich werde für Dich doppelt hart arbeiten.“ Er hatte schon wieder seinen Schlägel in der Hand. „Auch für angebliche Faulheit droht der Pfahl. Und diese Möglichkeit uns hart zu bestrafen, gönnen wir dem Wurkaz lieber nicht.“

      „Heute Nacht ist irgendetwas anders. Hört Ihr einen Wolf heulen, ein Käuzchen schreien?“ fragte Namos. „Alles ist seltsam still, eine Ruhe herrscht, als ob sich alle Tiere still in die Erde verdrückt hätten.“

      Trotz ihrer schweren Glieder konnten sie nur schwer einschlafen, unruhig wälzten sie sich im Schlaf herum. Sie waren noch nicht richtig eingeschlafen, als ihre Hütte zu zittern begann. Namos und Öcetim erhoben sich und traten ins Freie. Es war eine mondhelle und kalte Nacht, doch nicht wegen der Kälte, sondern wegen der seltsamen Stille fingen sie an zu frösteln. Gleichzeitig bemerkten sie, wie die Erde kurz erschauerte, als wolle sie durch die kurze Zuckung diejenigen abwerfen, die in ihr Inneres vordringen wollten.

      Öcetim und Namos schauten sich verwundert an, doch schon war die beunruhigende Erscheinung wieder verschwunden, die Erde regte sich nicht mehr. „Lass uns versuchen zu schlafen.“

      Wie üblich marschierten sie am nächsten Morgen zu ihren Arbeiten. Namos ging zum Laden, Hirgelo zu den Röstbeeten und Schmelzöfen und Gilger und Öcetim zum Schacht. Dort warteten schon Walober und Wurkaz auf sie. „Heute wieder doppelte Arbeit, Ihr Mistkerle“, begrüßte sie Wurkaz mit einem Groll in der Stimme, der nichts Gutes verhieß. Breitbeinig stand er dort, als wolle er ihnen den Eingang versperren. Gilger und Öcetim drückten sich am Schachteingang an Wurkaz vorbei, ihre Schlägel fest in der Hand haltend. Mit all ihrer Kraft schlugen sie auf das Gestein ein, bei jedem Schlag lösten sich größere und kleinere Brocken. „Doppelte Menge!“ rief ihnen Wurkaz drohend zu.

      Plötzlich bebte die Erde erneut. Der Steigbaum, auf dem Gilger gerade arbeitete, fiel krachend um, aus der Decke lösten sich Felsbrocken und knallten mit lautem Getöse auf den Schachtboden. Öcetim eilte zu dem am Boden liegenden Gilger. Der hatte sich – den Göttern sei Dank – nicht verletzt. Die zu Boden gefallenen Felsbrocken hatten eine dicke erzhaltige Gesteinsschicht freigelegt.

      „Eine neue Erzader da oben“, schrie Wurkaz erfreut. Noch heute wird die abgebaut! Habt Ihr mich verstanden? Sonst…. Der Pfahl wartet bereits auf Euch…“

      Öcetim richtete den umgefallenen Steigbaum wieder auf, kletterte hoch und schlug mit grimmiger Miene auf die eben zutage getretene Erzader. Eine geraume Zeit lang musste er über Kopf arbeiten, was die Arbeit noch anstrengender machte. Er hatte gerade den Steigbaum umgestellt, als ein leises Brummen den Stollen erfüllte. Öcetim und Gilger schauten sich ängstlich an, unschlüssig was dies zu bedeuten hatte. Sie fühlten, wie ihre Herzen immer schneller schlugen, irgendetwas schien sich tief unter ihnen bemerkbar machen zu wollen. Ohne Vorwarnung löste sich ein großes Stück aus der Erzader und fiel genau dahin, wo eben noch der Steigbaum gestanden hatte. Plötzlich wurde das Brummen lauter.

      „Raus hier!“ brüllte Gilger. „Die Erde bebt!“ Jetzt schienen sich die Wände zu bewegen. Steine polterten auf den Boden, Staub verfinsterte das eh schon geringe Licht, drang in ihre Nasen und Münder. Immer bedrohlicher wackelten die Wände, große und kleine Felsbrocken fielen aus der Decke des Stollens und versperrten den Weg nach draußen. Es herrschte ein ohrenbetäubender Lärm.

      Öcetim und Gilger zitterten vor Angst, kalter Schweiß rann ihnen die Rücken hinab. Sie rannten in Richtung des Schachtausgangs. Doch sie kamen nicht weit, bald schon fielen sie über die am Boden liegenden Steinbrocken, rappelten sich wieder hoch, stolperten erneut. Gilger fasste an seinen Fuß, ein großer Felsbrocken hatte ihn dort getroffen. Er stürzte, kleine Steine fielen auf den am Boden Liegenden herab. Geschockt blieb er unter einer Schicht Steine liegen, konnte sich nicht mehr bewegen. „Das war es wohl“, dachte er schon resigniert, bis er merkte wie Öcetim ihn ausgrub, an den Armen packte und nach oben zog. Gestützt von Öcetim humpelte er in Richtung des Ausgangs, doch kurz vor dem Ausgang hatten große Gesteinsbrocken den Weg versperrt.

      Draußen standen mit offenen Mündern schon Wurkaz und Walober, staunend über dieses seltsame Ereignis. Auch Marabeo und viele Minenarbeiter eilten herbei. Alle hatten den lauten Knall gehört, und gleich anschließend die Hilferufe von Öcetim und Gilger. Mit vereinten Kräften räumten die Minenarbeiter die großen Gesteinsbrocken am Schachteingang beiseite und drangen in den Schacht ein. Doch die im Inneren des Schachts liegenden riesigen Brocken konnten sie trotz aller Anstrengungen nicht bewegen.

      Gleich mehrere schwere Hölzer schleppend, die eigentlich als Brennholz für die Röstbeete gedacht waren, eilte Namos hinzu. Mit den Stangen konnten die Männer die Steinbrocken ein Stück weit beiseite stemmen. Öcetim zwängte sich als Erster durch den schmalen Spalt, dann folgte Gilger, dessen Fuß blutig verfärbt war. Namos und Hirgelo zogen ihn an seinen Armen ins Freie. Nachdem er seinen Schock überwunden hatte, konnte er trotz seiner Schmerzen den Fuß wieder belasten. Glücklicherweise stellte sich Gilgers Verletzung als nicht allzu schwer heraus. Marabeo, Wurkaz und Walober hatten sich an der Rettungsaktion nicht beteiligt. Von außen hatten sie der gefährlichen Befreiungstat im einstürzenden Schacht nur stumm zugesehen.

      Das aus der Tiefe der Erde kommende Brummen und das Beben der Erde waren inzwischen stärker und heftiger geworden. Plötzlich bebte die ganze Erde. Mit Ohren betäubendem Krach stürzte ein großer Teil der Mine in sich zusammen, riesige Staubfahnen stiegen aus den einstürzenden Schächten, Steine flogen umher und es wurde stockdunkel.

      Auch aus den anderen kleineren Schächten drängten Arbeiter, bleich und zitternd vor Angst, ihre Augen huschten ängstlich hin und her. Einen hatte es schwer erwischt, ein großer Felsbrocken hatte sein Bein zerquetscht, vor Schmerzen schreiend wurde er von seinen Kollegen aus dem Schacht gezogen. Die Hütten in der Umgebung und selbst die stabiler gebauten Häuser wie auch der Laden brachen zusammen, als ob ein Riese sie geschüttelt hätte. Feuer setzten die Hütten in Brand, sie brannten sofort lichterloh. Es entstand ein Sturm, nichts mehr blieb an seinem Ort, Dächer und Holzbalken flogen durch die staubige Luft und verletzten die Menschen. Starr vor Entsetzen starrten alle auf die wie entfesselt wütende Erde.

      Nur Öcetim bewahrte einen kühlen Kopf. „Das ist unsere Chance, dieses Beben haben uns die Götter gesandt“, flüsterte er.