»Aber sie liebt dich doch noch?«, fragte Frendan’no leise.
»Sie weiß nicht, wer ich bin. Ich weiß es selbst nicht.«
Frendan’no legte seine feingliedrige Hand auf Philips Arm und sah ihn von der Seite an.
»Ich weiß einiges über die Gepflogenheiten der Menschen, aber so einen Unsinn habe ich noch nie gehört.«
Philip sah überrascht auf. Frendan’no war immer so zurückhaltend mit seiner eigenen Meinung, dass diese Worte einer Zurechtweisung gleichkamen.
»Wenn sie dich liebte, als du in ihren Augen noch ein unbedeutender Junge warst, was sollte sie daran hindern, dich zu lieben, wenn sie erfährt, dass du ein Abkömmling von Königen bist?«
»Du weißt nicht, was alle von diesem Abkömmling erwarten. Das ist, als wollte man ein Hemd anziehen, welches einem Riesen gehört. Keiner wird sehen, dass ich es bin, der darin steckt. Es ist nur ein Haufen Stoff, der mich restlos unter sich begräbt.«
»Nun, wenn das so ist, dann wird wohl kein Mensch der richtige König sein. Dann wird die Falkenburg in der Hand eines Wahnsinnigen bleiben, und Zauberer werden das Land für ihn regieren. Es stellt sich höchstens die Frage, was aus den Menschen wird, die jetzt schon beschlossen haben, sich dagegen aufzulehnen. Und was aus den Elben wird, die an ihrer Seite kämpfen.«
»Frendan’no!«, rief Philip und sprang auf. »Wie kannst du nur? Warum tust du das?«
Auch Frendan’no war aufgestanden und sah Philip ernst an. »Almira’da, meine Schwester, ist nicht aus Eberus zurückgekehrt. Man munkelt, dass sich selbst in der Stadt der Kirche Zauberer aufhalten.« Damit drehte er sich um und ließ Philip stehen.
Fassungslos starrte er ihm hinterher. »Weiß Leron’das davon?«, flüsterte Philip. »Weiß Leron’das davon?«, murmelte er vor sich hin. Er fühlte sich schuldig, ohne in der Lage zu sein, auch nur das Geringste daran zu ändern.
***
Leron’das ahnte es schon lange. Die drei Nornen weilten gemeinsam auf Erden. Aber alles, was anfangs wie ein Geschenk ausgesehen hatte, verwandelte sich zunehmend in einen Albtraum. Das warme Gefühl, das ihm beschert gewesen war, als er Nate’re begegnete, zog nun, da er erfahren hatte, dass sie sich in der Gewalt eines Zauberers befand, sein Innerstes kalt zusammen. Wie ein leises Echo hallten Ala’nas Worte, die sie an ihn richtete, als er Pal’dor verließ, in seinem Inneren: Die Drei mögen dir hold sein. Und sie waren es gewesen. Mehr, als er ahnte, mehr, als ihm lieb war. Destina’riu, das Schicksal, wies ihm den Weg zu Nate’re, dem Leben, die alles, was er suchte, hütete. Aber weil er blind war, führte das Schicksal ihn anschließend in die Irre und trotzdem immer wieder zu Orten, die ihm neue Offenbarungen bescherten. Doch dabei folgte ihm auf Schritt und Tritt Varsa’ra, der Tod. Wenn es Leron’das gelang, ihm rechtzeitig auszuweichen, traf er einen anderen. Oder hatte es Varsa’ra gar nicht auf ihn abgesehen, sondern zählte nur die Stunden der Menschen, wie sie es immer tat? Leron’das schüttelte den Kopf.
Es war bestimmt nichts so wie immer. Unmöglich. Nate’re hatte ein Kind gehütet, das ein König werden sollte. Destina’riu zeigte diesem Kind einen Weg zu den Elben, die ihm auf eine Art verbunden waren, wie sonst keinem Menschenkind vor ihm, und Varsa’ra schonte es. Soweit schien alles in bester Ordnung zu sein und Leron’das konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob es seine Schuld war, dass nun alles aus den Fugen geriet. Er hatte Peredurs Erben nicht erkannt, obwohl es für jeden andern Elben offensichtlich gewesen wäre. Ala’nas nur mühsam aufrechterhaltene Fassade und ein paar gezielte Fragen hatten ihm bestätigt: Philips Ähnlichkeit mit seinem Vorfahren Peredur war nicht von der Hand zu weisen.
Aber wie hätte er ihn erkennen sollen? Er war der einzige Elbe in Pal’dor, der Peredur nicht gekannt hatte. Trotzdem gab es Hinweise. Das Kettenhemd, Philips unnatürliche Reaktion auf die Wunden der Gnomklinge. Aber Leron’das war diesen Hinweisen nicht nachgegangen. Pal’dor war verschlossen und ein fernes Ziel beherrschte damals seine Gedanken. Das Schicksal hatte mit ihm gespielt. Mit ihnen allen.
Was wäre geschehen, wenn er ihn gleich erkannt hätte? Damals in dem Eichenwäldchen, in dem er ihn mehr tot als lebendig gefunden hatte?
Hätte er diesem verängstigten, verdreckten Jungen gesagt, dass er der rechtmäßige König von Ardelan war? Gewiss nicht. Er hätte versucht, ihn schonend auf diese Aufgabe vorzubereiten, ihm Zeit gelassen, zu lernen und zu erkennen. Als er ihn jedoch wieder traf, schien das Ziel so nah.
Zu nah – das wusste er heute. Er hatte sich von Philips zielstrebigem Auftreten blenden lassen und den empfindsamen Jungen aus den Augen verloren. Dabei hätte er es besser wissen müssen. Selbst ein Mensch reifte nicht in wenigen Monaten vom Kind zum Mann. Und welcher aufrechte, vernünftige Mann könnte sein Leben von heute auf morgen gegen ein anderes eintauschen? Leron’das schämte sich, weil er Philip nicht der Freund gewesen war, der er ihm hätte sein sollen.
Er war regungslos dabeigestanden, als dem Jungen alles genommen wurde, woran sein Herz hing, und hatte ihn dann aufgefordert, die Verantwortung für tausende Menschen und Elbenleben zu übernehmen.
Dass Philip ihn nicht sehen wollte, war mehr als verständlich. Still stieg er hinauf zu der Felsspalte, in der er mit Almira’da zusammen gewesen war. Es war ein Ort, den er Zuhause nennen würde, ein Ort, an dem er ihre Nähe spüren konnte.
Nachdem Ala’na von Nate’res Verschwinden berichtet hatte, hatte er nicht gewagt, die verstört wirkende Isi’la zu bitten, ihm einen Weg nach Mar’lea zu öffnen. Allzu deutlich hätte er damit gezeigt, an wem sein Herz hing, und sein und Almira’das Geheimnis preisgegeben.
Nun versuchte er, sich damit zu trösten, dass er ihr ohnehin nichts Erfreuliches hätte berichten können. Er scheute sich davor, ihr einzugestehen, dass sich durch seinen Fehler der angekündigte König womöglich gar nicht zu erkennen geben würde.
Aber jede Faser seines Körpers sehnte sich nach ihrer Nähe, nach ihren warmen Lippen und dem Leuchten ihrer smaragdfarbenen Augen.
Von seinem hohen Aussichtspunkt aus konnte Leron’das Frendan’no auf einem der Pfade entdecken. Selbst aus der Ferne sah er, dass ihn etwas bedrückte. Etwas, das schwerer wog, als die Last, die er ohnehin tagtäglich mit sich trug.
Leron’das΄ Augen folgten Frendan’nos Pfad zurück, und da entdeckte er Philip hinter einem Felsvorsprung. Dem Himmel so nah musste das Leben doch irgendwie leichter sein, aber davon war im Moment nirgendwo etwas zu spüren. Selbst auf die Entfernung konnte Leron’das Philips blanke Panik und den Schmerz frisch aufgerissener Wunden spüren.
Isi’las und Ala’nas Plan, Feodor und Philip zueinander zu bringen, war vollkommen fehlgeschlagen. Sie hatten ihn damit nur ein weiteres Mal überrumpelt.
Leron’das starrte den Fels an, der ohne Almira’da doch nur irgendein Fels war, dann stieg er hinab.
»Ich weiß, dass du mich nicht sehen willst. Ich weiß, dass du nicht mit mir sprechen willst, aber hör mich bitte an.«
Philip schloss die Augen. Es schien, als warte er auf einen Regen, vor dem es kein Entrinnen gab.
»Es tut mir leid, dass ich dich bedrängt habe. Es tut mir leid, dass ich dich schutzlos der Wahrheit ausgeliefert habe. Es tut mir leid, dich so leiden zu sehen. Zu meiner Verteidigung bleibt mir nur zu sagen: Ich glaube an dich, und wenn ich ein Mensch wäre, würde ich dir bedingungslos folgen, und ich bin mir sicher, andere würden das auch tun …«
»Schluss damit«, unterbrach ihn Philip. »Der Anfang war gut, den Rest will ich nicht hören.«
»Gut, darüber wollte ich eigentlich nicht mit dir sprechen. Ich bin gekommen, um dir meine Freundschaft anzubieten. Ich verspreche, nicht länger in dich zu dringen.«
Philip sah Leron’das an. »Ich