Die Dämonen. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754173145
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daß es niemand auch nur bedauert, daß er es fertiggebracht hat, sich so schnell auszuschreiben. Aber die grauhaarigen alten Herren bemerken das nicht und werden ärgerlich. Ihre Eitelkeit nimmt, namentlich gegen das Ende ihrer Laufbahn, mitunter erstaunliche Dimensionen an. Gott weiß, wofür sie sich dann zu halten anfangen, aber mindestens für Götter. Von Karmasinow erzählte man, daß ihm seine Beziehungen zu einflußreichen Leuten und zu den höchsten Gesellschaftskreisen fast wertvoller seien als sein eigenes Leben. Man erzählte von ihm, er empfangen diejenigen, die zu ihm kämen, freundlich, benehme sich gegen sie liebenswürdig, entzücke und bezaubere sie durch seine Gutherzigkeit, namentlich wenn er ihrer irgendwie bedürfe, und selbstverständlich wenn sie ihm vorher gut empfohlen seien. Aber sowie ein Fürst hereintrete oder eine Gräfin oder jemand, den er fürchte, halte er es für seine heiligste Pflicht, jene andern Besucher mit der beleidigendsten Geringschätzung wie Holzspänchen oder Fliegen unbeachtet zu lassen, und zwar sofort, ehe sie noch aus der Tür seien; das halte er in allem Ernste für den feinsten und besten Ton. Trotz seiner genauen Kenntnis und vollständigen Beherrschung der guten Umgangsformen sei er so eitel und empfindlich, daß er seine Reizbarkeit als Autor nicht einmal in denjenigen Gesellschaftskreisen verbergen könne, in denen man sich für die Literatur wenig interessiere. Wenn ihn aber zufällig jemand durch seine Gleichgültigkeit befremde, so fühle er sich tief gekränkt und suche sich zu rächen.

      Vor einem Jahre habe ich in einer Zeitschrift einen Artikel von ihm gelesen, der gewaltige Ansprüche darauf erhob, naive Poesie und feine psychologische Beobachtungen zu enthalten. Er schilderte den Untergang eines Dampfers an der englischen Küste, bei dem er selbst Zeuge gewesen war und gesehen hatte, wie Untergehende gerettet und Ertrunkene herausgezogen wurden. Dieser ganze ziemlich lange und redselige Artikel war einzig und allein in der Absicht geschrieben, den Verfasser selbst in das rechte Licht zu stellen. Man konnte es ordentlich zwischen den Zeilen lesen: »Interessiert euch für meine Persönlichkeit; seht, wie ich mich in diesen Augenblicken benommen habe! Was kümmert euch das Meer, der Sturm, die Felsen, die zerbrochenen Planken des Schiffes? Ich bin es ja gewesen, der euch das alles in großartigem Stile geschildert hat! Wozu blickt ihr nach dieser ertrunkenen Frau mit dem toten Kinde in den toten Armen? Seht lieber mich an, wie ich dieses Schauspiel nicht ertragen konnte und mich von ihm abwandte! Ich drehte ihm den Rücken zu; ich war vor Angst nicht imstande zurückzublicken; ich kniff die Augen zu ... nicht wahr, das ist interessant?« Als ich Stepan Trofimowitsch meine Meinung über den Karmasinowschen Artikel mitteilte, stimmte er mir bei.

      Als es nun vor kurzem bei uns hieß, Karmasinow werde in unsere Stadt kommen, da wurde natürlich bei mir ein starkes Verlangen rege, ihn zu sehen und, wenn möglich, seine Bekanntschaft zu machen. Ich wußte, daß sich dies durch Stepan Trofimowitschs Vermittlung erreichen ließ; denn die beiden waren früher einmal befreundet gewesen. Und da begegnete ich ihm nun plötzlich an einer Straßenkreuzung. Ich erkannte ihn sofort; er war mir erst drei Tage vorher gezeigt worden, als er in einer Equipage zur Frau Gouverneur fuhr.

      Er war ein sehr kleiner, gezierter alter Herr, übrigens nicht über fünfzig Jahre alt, mit ziemlich frischem Gesichtchen, mit dichten, grauen Löckchen, die unter seinem Zylinderhute hervorquollen und sich um seine sauberen, rosafarbenen kleinen Ohren kräuselten. Sein sauberes Gesichtchen war nicht besonders hübsch, die Lippen schmal, lang und schlau zusammengekniffen, die Nase etwas fleischig; die kleinen Augen hatten einen scharfen, klugen Blick. Er war etwas altmodisch gekleidet und trug eine Art Mantel zum Umwerfen, wie man ihn in dieser Jahreszeit etwa in der Schweiz oder in Oberitalien trägt. Aber wenigstens alle kleineren Bestandteile seines Kostüms: die Hemdknöpfchen, der Chemisettkragen, die Rockknöpfe, die Schildpattlorgnette an einem schmalen, schwarzen Bande, der Ring am Finger, waren sämtlich von der Art, wie man sie bei Leuten von untadelhaft gutem Tone findet. Ich bin überzeugt, daß er im Sommer bestimmt in Halbstiefeln von farbigem Wollenstoff mit Perlmutterknöpfen an der Seite geht. Als wir zusammentrafen, blieb er an der Straßenecke stehen und sah mich aufmerksam an. Da er bemerkte, daß ich ihn neugierig betrachtete, fragte er mich mit einem süßlichen, wiewohl etwas kreischenden Stimmchen:

      »Gestatten Sie die Frage: wie komme ich am nächsten nach der BykowaStraße?«

      »Nach der BykowaStraße? Die ist hier gleich,« rief ich in großer Aufregung. »Immer diese Straße geradeaus und dann bei der zweiten Ecke nach links.«

      »Ich danke Ihnen bestens.«

      Verflucht sei dieser Augenblick! Ich glaube, ich war verlegen geworden und machte ein knechtisches Gesicht! Im Nu hatte er alles bemerkt und gewiß sofort alles durchschaut, nämlich daß ich bereits wußte, wer er war, und daß ich seine Schriften seit meiner Kindheit gelesen und ihn verehrt hatte, und daß ich jetzt verlegen geworden war und ein knechtisches Gesicht machte. Er lächelte, nickte mir noch einmal mit dem Kopfe zu und ging geradeaus weiter, wie ich es ihm angegeben hatte. Ich weiß nicht, warum ich umdrehte und ihm nachging; ich weiß nicht, warum ich zehn Schritte neben ihm herlief. Auf einmal blieb er wieder stehen.

      »Könnten Sie mir nicht angeben, wo hier in der Nähe Droschken stehen?« kreischte er mir wieder zu.

      Ein widerwärtiges Kreischen, eine widerwärtige Stimme!

      »Droschken? Droschken sind hier ganz nah ... beim Dom stehen sie; da stehen immer welche.«

      Beinah hätte ich mich umgedreht und wäre hingelaufen, um ihm eine Droschke zu holen. Ich vermute, daß er eben dies auch von mir erwartet hatte. Natürlich kam ich sofort zur Besinnung und blieb stehen; aber er hatte meine Bewegung recht wohl bemerkt und mit demselben widerwärtigen Lächeln verfolgt. Nun begab sich etwas, was ich nie vergessen werde.

      Er ließ auf einmal einen kleinen Sack fallen, den er in der linken Hand trug. Übrigens war es eigentlich kein Sack, sondern eine Art Schächtelchen oder richtiger ein Portefeuille oder noch besser ein Ridikül von der Art, wie ihn früher die Damen trugen; übrigens weiß ich nicht genau, was es war; ich weiß nur, daß ich darauf zustürzte, um es aufzuheben.

      Ich bin vollkommen überzeugt, daß ich es nicht aufgehoben hätte; aber die erste Bewegung, die ich machte, war unbestreitbar; sie ließ sich nicht mehr verbergen, und ich wurde rot wie ein Dummkopf. Der schlaue Patron nutzte diesen Umstand sofort auf die denkbar beste Weise aus.

      »Bemühen Sie sich nicht; ich kann ja selbst ...« sagte er in bezaubernd liebenswürdigem Tone; das heißt, erst als er sich vollständig davon überzeugt hatte, daß ich ihm seinen Ridikül nicht aufheben würde, erst da hob er ihn auf, wie wenn er mir zuvorkommen wollte, nickte mir noch einmal zu und ging seines Weges weiter, indem er mich wie einen dummen Jungen stehen ließ. Es kam ganz auf dasselbe hinaus, wie wenn ich ihm seinen Ridikül wirklich selbst aufgehoben hätte. Etwa fünf Minuten lang war ich der Ansicht, daß ich völlig und für mein ganzes Leben entehrt sei; aber als ich mich Stepan Trofimowitschs Hause näherte, lachte ich plötzlich laut auf. Die Begegnung kam mir so lächerlich vor, daß ich mir sofort vornahm, mit der Erzählung davon Stepan Trofimowitsch zu erheitern und ihm die ganze Szene sogar mimisch vorzuführen.

       III.

      Aber diesmal fand ich ihn zu meiner Verwunderung ganz verändert vor. Er eilte mir allerdings, sowie ich eintrat, mit einem gewissen Eifer entgegen und begann, mir zuzuhören; aber er hörte mit so zerstreuter Miene zu, daß er anfangs offenbar gar nicht verstand, was ich sagte. Aber kaum hatte ich den Namen Karmasinow ausgesprochen, als er auf einmal ganz außer sich geriet.

      »Reden Sie mir nicht von ihm! Nennen Sie seinen Namen nicht!« schrie er wie rasend. »Da, da, sehen Sie, sehen Sie! Lesen Sie!«

      Er zog ein Schubfach auf, nahm drei kleine Zettel heraus und warf sie auf den Tisch; sie waren eilig mit Bleistift geschrieben, sämtlich in Warwara Petrownas Handschrift. Das erste Billett war vom vorgestrigen Tage, das zweite vom gestrigen, und das letzte war erst an diesem Tage gekommen, erst vor einer Stunde. Der Inhalt war ganz unwichtig: alle bezogen sie sich auf Karmasinow und bekundeten Warwara Petrownas unruhige, ehrgeizige Aufregung und Besorgnis, Karmasinow könne es vergessen, ihr einen Besuch zu machen. Hier ist der erste, der zwei (wahrscheinlich übrigens drei oder vier) Tage alt war.

      »Wenn er Sie heute endlich beehren sollte, so sagen Sie, bitte, von mir keine Silbe!