Sowie Warwara Petrowna ihn verlassen hatte, ließ er mich rufen; vor jedem andern Besuch aber schloß er sich den ganzen Tag über ein. Natürlich weinte er ein bißchen; er redete viel und gut, befand sich in starker Verwirrung und machte gelegentlich Wortspiele, mit denen er sehr zufrieden war; dann kam eine leichte Cholerine, kurz, alles nahm seinen ordnungsmäßigen Gang. Darauf zog er ein Bild seiner schon vor zwanzig Jahren verstorbenen Frau, der Deutschen, hervor und wimmerte kläglich: »Wirst du es mir verzeihen?« Überhaupt benahm er sich, wie wenn er den Verstand verloren hätte. Vor Kummer tranken wir auch ein bißchen. Übrigens schlief er bald und ruhig ein. Am Morgen band er sich sein Halstuch äußerst kunstvoll, zog sich elegant an und trat oft vor den Spiegel, um sich zu besehen. Er bespritzte sein Taschentuch mit Parfüm, indessen nur ganz wenig, und kaum sah er durchs Fenster, daß Warwara Petrowna kam, als er auch schleunigst ein anderes Taschentuch nahm und das parfümierte unter das Kissen schob.
»Nun, das ist ja schön!« lobte ihn Warwara Petrowna, als sie hörte, daß er einwilligte. »Erstens haben Sie eine edle Entschlossenheit bewiesen, und zweitens haben Sie auf die Stimme der Vernunft gehört, auf die Sie in Ihren Privatangelegenheiten nur so selten hören. Besondere Eile ist übrigens nicht erforderlich,« fügte sie hinzu, als ihr der Knoten seines weißen Halstuches ins Auge fiel; »schweigen Sie vorläufig davon, und ich werde ebenfalls schweigen. Nächstens ist Ihr Geburtstag, da werde ich mit ihr zusammen bei Ihnen sein. Geben Sie eine Abendgesellschaft, Tee, aber bitte ohne Spirituosen und ohne kalten Imbiß; übrigens werde ich alles selbst arrangieren. Laden Sie Ihre Freunde dazu ein; wir wollen zusammen die Auswahl treffen. Tags zuvor können Sie mit ihr reden, wenn es nötig sein sollte; aber auf Ihrer Abendgesellschaft wollen wir nichts proklamieren und keine Verlobung feiern, sondern es nur so andeuten und zu verstehen geben, ohne alle Feierlichkeit. Und dann zwei Wochen darauf soll die Hochzeit stattfinden, möglichst ohne Aufsehen. Sie könnten sogar beide gleich nach der Trauung auf einige Zeit verreisen, zum Beispiel nach Moskau. Vielleicht werde ich mit Ihnen mitfahren. Aber die Hauptsache ist: schweigen Sie bis dahin!«
Stepan Trofimowitsch war erstaunt. Er wollte stotternd einwenden, das ginge doch nicht, er müsse doch mit der Braut reden; aber Warwara Petrowna fuhr ihn in gereiztem Tone an:
»Wozu das? Erstens wird vielleicht überhaupt nichts daraus werden ...«
»Wie meinen Sie das: es wird nichts daraus werden?« murmelte der Bräutigam, der wie betäubt war.
»Nun ja. Ich werde erst noch einmal sehen ... Übrigens wird alles so geschehen, wie ich gesagt habe, und Sie brauchen sich gar keine Sorge zu machen; ich werde das Mädchen selbst vorbereiten. Sie haben gar nichts damit zu tun. Alles, was nötig ist, wird gesagt und getan werden; aber Sie sind dabei ganz unbeteiligt. Wozu wollen Sie dabei mitwirken? Was wollen Sie dabei für eine Rolle spielen? Kommen Sie selbst nicht hin, und schreiben Sie auch keine Briefe! Und lassen Sie nichts verlauten, bitte ich Sie. Ich werde ebenfalls schweigen.«
Sie wollte absolut keine weiteren Erklärungen geben und ging, offenbar sehr verstimmt, weg. Es schien, daß Stepan Trofimowitschs übermäßige Bereitwilligkeit sie befremdet hatte. Leider hatte er schlechterdings kein Verständnis für seine Lage und betrachtete die Frage nur von einem ganz einseitigen Gesichtspunkte aus. Er schlug sogar jetzt einen neuen, siegesgewissen, leichtfertigen Ton an. Er war sehr mutig geworden.
»Das gefällt mir!« rief er, indem er vor mir stehen blieb und mit den Armen in der Luft umherfuhr. »Haben Sie es gehört? Sie wird es noch dahinbringen, daß ich, ich schließlich nicht will. Ich kann ja doch auch die Geduld verlieren und nicht wollen! ›Bleiben Sie zu Hause!‹ sagt sie; ›Sie brauchen da nicht hinzugehen‹; aber schließlich, warum muß ich denn unbedingt heiraten? Nur weil sie einen lächerlichen Einfall gehabt hat? Aber ich bin ein ernsthafter Mensch und habe vielleicht keine Lust, mich den müßigen Launen eines unvernünftigen Weibes unterzuordnen! Ich habe Pflichten gegen meinen Sohn und ... und gegen mich selbst! Ich bringe ein Opfer; hat sie dafür auch Verständnis? Vielleicht habe ich nur deswegen eingewilligt, weil mir das Leben langweilig geworden und mir alles gleich ist. Aber sie kann mich reizen, und dann wird mir nicht mehr alles gleich sein; ich werde mich beleidigt fühlen und mich weigern. Et enfin le ridicule ... Was wird man im Klub dazu sagen? Was wird Liputin dazu sagen? ›Vielleicht wird nichts daraus werden!‹ Unerhört! Das ist der Gipfel! Das ist ... ja, was ist das eigentlich? Je suis un forçat, un Badinguet, ein an die Wand gedrückter Mensch! ...«
Und zugleich blickte durch all diese kläglichen Jammerreden eine Art von launischer Selbstgefälligkeit, eine Art von leichtfertiger Koketterie hindurch. Am Abend tranken wir wieder etwas.
I.
Es verging ungefähr eine Woche, und der Schwebezustand der Sache wurde peinlich.
Ich bemerke in Parenthese, daß ich in dieser unglücklichen Woche viel auszustehen hatte, da ich in meiner Eigenschaft als nächster Vertrauter fast ununterbrochen bei meinem armen verlobten Freunde blieb. Was ihn quälte, war besonders das Gefühl der Scham, obwohl wir in dieser Woche keinen Menschen zu sehen bekamen und immer allein saßen; aber er schämte sich sogar vor mir, und das ging so weit, daß er, je mehr er sich vor mir decouvrierte, um so mehr deswegen auf mich ärgerlich wurde. Bei seiner Neigung zum Argwohn bildete er sich ein, daß schon alles allen, der ganzen Stadt bekannt sei, und fürchtete sich davor, im Klub, ja selbst in seinem Verein zu erscheinen. Auch Spaziergänge zum Zwecke der notwendigen Bewegung unternahm er nur, wenn es schon vollständig dunkel geworden war.
Eine Woche war vergangen, und er wußte immer noch nicht, ob er Bräutigam war oder nicht, und vermochte das auf keine Weise trotz all seiner Bemühungen mit Sicherheit zu erfahren. Mit der Braut war er noch nicht zusammengekommen; er wußte nicht einmal, ob sie seine Braut sei; er wußte nicht einmal, ob an der ganzen Sache überhaupt etwas Ernsthaftes war. Aus unbekanntem Grunde lehnte Warwara Petrowna es entschieden ab, ihn zu empfangen. Auf einen seiner ersten Briefe (er hatte deren eine ganze Menge an sie geschrieben) antwortete sie ihm geradezu mit der Bitte, sie für einige Zeit von jedem Verkehr mit ihm zu dispensieren, weil sie sehr beschäftigt sei; sie habe ihm auch ihrerseits viele, sehr wichtige Mitteilungen zu machen, warte aber damit absichtlich auf eine minder besetzte Zeit, als es die jetzige sei, und werde es ihn selbst seinerzeit wissen lassen, wann er wieder zu ihr kommen könne. Weitere Briefe aber werde sie ihm uneröffnet zurückschicken; denn das sei doch nur Torheit. Diese Zuschrift habe ich mit eigenen Augen gelesen; er hat sie mir selbst gezeigt.
Aber der Verdruß darüber, daß Warwara Petrowna ihn so grob behandelte und in Ungewißheit ließ, war nichts im Vergleiche mit seiner Hauptsorge. Diese Sorge quälte ihn außerordentlich und ohne Aufhören; sie bewirkte, daß er abmagerte und kleinmütig wurde. Es handelte sich dabei um etwas, worüber er sich am allermeisten schämte, und worüber er nicht einmal mit mir reden wollte; vielmehr log er, wenn das Gespräch darauf kam, und machte vor mir Ausflüchte wie ein kleiner Knabe; trotzdem aber ließ er mich selbst alle Tage zu sich rufen; er konnte es nicht zwei Stunden ohne mich aushalten; er hatte mich nötig, wie man Wasser oder Luft nötig hat.
Ein solches Benehmen beleidigte mein Ehrgefühl einigermaßen. Es versteht sich von selbst, daß ich dieses sein Hauptgeheimnis schon längst im stillen erraten hatte und völlig durchschaute. Nach meiner tiefsten damaligen Überzeugung hätte die Enthüllung dieses Geheimnisses, dieser Hauptsorge Stepan Trofimowitschs, ihm keine Ehre gemacht, und daher war ich, als ein noch junger Mensch, über die Niedrigkeit seiner Gedanken und die Häßlichkeit gewisser argwöhnischer Vermutungen, die er hegte, etwas entrüstet. In meiner Hitze (und ich muß bekennen, weil es mir langweilig wurde, sein Vertrauter zu sein) beschuldigte ich ihn vielleicht zu hart. In meiner Grausamkeit zwang ich ihn, mir alles zu bekennen, obwohl ich mir sagte, daß manches davon zu bekennen allerdings recht peinlich sei. Er durchschaute mich seinerseits völlig, das heißt, er sah klar, daß ich ihn durchschaute und auf ihn ärgerlich war, und er war selbst auf mich ärgerlich, weil ich auf ihn ärgerlich war und ihn durchschaute. Vielleicht war meine Gereiztheit kleinlich und dumm; aber es schadet manchmal der wahren Freundschaft sehr, wenn zwei Freunde zu lange miteinander