Dascha hörte noch immer schweigend zu.
»Halt, warte noch! Er ist ein altes Weib; aber um so besser für dich. Sogar ein klägliches altes Weib; er verdient es durch seine Persönlichkeit gar nicht, daß ihn eine Frau liebt. Aber er verdient es wegen seiner Schutzbedürftigkeit; liebe du ihn um derentwillen! Du verstehst mich doch? Verstehst du mich?«
Dascha nickte bejahend mit dem Kopfe.
»Nun, das wußte ich; ich habe nichts anderes von dir erwartet. Er wird dich lieben, weil er muß, weil er muß; er muß dich vergöttern!« kreischte Warwara Petrowna in besonders gereiztem Tone. »Übrigens wird er, auch ohne es zu müssen, sich in dich verlieben; ich kenne ihn ja. Außerdem werde ich selbst nach dem Rechten sehen. Sei unbesorgt; ich werde immer nach dem Rechten sehen. Er wird sich über dich beklagen, wird dich verleumden, wird dem ersten besten etwas über dich ins Ohr flüstern, wird wimmern, ewig wimmern; er wird dir von einem Zimmer nach dem andern Briefe schreiben, zwei Stück an einem Tage, und wird doch ohne dich nicht leben können, und das ist die Hauptsache. Zwinge ihn, dir zu gehorchen; wenn du ihn dazu nicht zu zwingen verstehst, bist du dumm. Wenn er sich aufhängen will und dir damit droht, so glaube ihm nicht; das ist nur dummes Zeug! Glaube es nicht; aber paß dennoch gut auf; am Ende tut er es doch einmal; das kommt bei solchen Menschen vor; nicht aus Stärke, sondern aus Schwäche hängen sie sich auf; und darum treibe ihn nie bis zum Äußersten; das ist die erste Regel in der Ehe. Vergiß auch nicht, daß er ein Dichter ist. Höre, Darja: es gibt kein höheres Glück als sich selbst aufzuopfern. Und außerdem tust du mir damit einen großen Gefallen, und das ist die Hauptsache. Denke nicht, daß ich aus Dummheit soeben törichtes Zeug geredet habe: ich weiß sehr wohl, was ich sage. Ich bin egoistisch; sei du es auch! Ich zwinge dich ja nicht gegen deinen Willen; du hast völlig freie Hand; wie du sagst, so wird es geschehen. Nun, warum sitzt du so da? Sprich ein Wort!«
»Mir ist alles gleich, Warwara Petrowna, wenn ich mich denn einmal durchaus verheiraten soll,« sagte Dascha in festem Tone.
»Durchaus? Was willst du damit andeuten?« fragte Warwara Petrowna und blickte sie streng und unverwandt an.
Dascha schwieg und kratzte mit der Nadel an ihren Fingern herum.
»Du bist ja sonst ein verständiges Mädchen, hast aber doch eben Unsinn geredet. Es ist zwar richtig, daß ich jetzt ernstlich daran gedacht habe, dich zu verheiraten, aber nicht weil es unbedingt nötig wäre, sondern nur weil ich mir das so ausgesonnen hatte, und nur mit Rücksicht auf Stepan Trofimowitsch. Wäre Stepan Trofimowitsch nicht da, so würde ich gar nicht daran denken, dich sogleich zu verheiraten, obgleich du schon zwanzig Jahre alt bist ... Nun?«
»Ich werde ganz nach Ihren Wünschen handeln, Warwara Petrowna.«
»Also du bist einverstanden! Halt, sei still, wohin hast du es denn so eilig? Ich bin noch nicht fertig mit dem, was ich sagen wollte. In meinem Testamente habe ich dir fünfzehntausend Rubel ausgesetzt. Ich werde sie dir jetzt gleich geben, nach der Trauung. Davon gib ihm achttausend, das heißt nicht ihm, sondern mir. Er hat Schulden im Betrage von achttausend Rubeln; die will ich bezahlen; aber er muß wissen, daß es mit deinem Gelde geschieht. Die andern siebentausend behältst du in deinen Händen; davon gib ihm nie auch nur einen Rubel! Bezahle nie seine Schulden! Tust du es einmal, so kommst du nachher nicht wieder davon los. Übrigens werde ich immer nach dem Rechten sehen. Ihr werdet von mir jährlich zwölfhundert Rubel zu eurem Unterhalt bekommen, mit einer Extrazuwendung fünfzehnhundert, außer Wohnung und Beköstigung, die ihr gleichfalls von mir erhalten werdet, genau ebenso, wie er das alles jetzt genießt. Nur eigene Bedienung müßt ihr euch halten. Das Jahrgeld werde ich dir alles mit einemmal geben, und zwar dir in deine eigene Hand. Aber sei auch gut gegen ihn; gib ihm manchmal ein bißchen und erlaube, daß seine Freunde einmal in der Woche zu ihm kommen; wenn sie öfter kommen, so jage sie weg! Aber ich werde auch selbst nach dem Rechten sehen. Und wenn ich sterbe, so wird euer Jahrgeld bis zu seinem Tode weiterbezahlt werden; hörst du wohl: bis zu seinem Tode; denn es ist sein Jahrgeld und nicht das deinige. Und dir will ich außer den jetzigen siebentausend Rubeln, die du dir, wenn du nicht selbst dumm bist, unangebrochen erhalten wirst, noch weitere achttausend Rubel testamentarisch hinterlassen. Weiter wirst du von mir nichts bekommen; das mußt du wissen. Nun, bist du einverstanden, wie? Nun antworte aber auch endlich!«
»Ich habe ja schon geantwortet, Warwara Petrowna.«
»Vergiß nicht, daß du völlige Willensfreiheit hast; wie du willst, so wird es geschehen.«
»Gestatten Sie eine Frage, Warwara Petrowna: hat denn Stepan Trofimowitsch schon mit Ihnen darüber gesprochen?«
»Nein, er hat noch nicht gesprochen und weiß auch noch nichts davon; aber ... er wird sogleich reden!«
Sie sprang augenblicklich auf und warf ihr schwarzes Umschlagetuch um. Dascha errötete wieder ein wenig und folgte ihr mit einem fragenden Blicke. Warwara Petrowna wandte sich plötzlich zu ihr um und sagte mit zornrotem Gesichte, indem sie wie ein Habicht auf sie losschoß:
»Du Närrin! Du undankbare Närrin! Was denkst du dir denn? Glaubst du etwa, daß ich dich auch nur im geringsten kompromittieren werde? Er selbst wird dich kniefällig bitten; er muß ganz vergehen vor Glückseligkeit; so wird das arrangiert werden! Du weißt ja doch, daß ich dir mit der Verheiratung nichts zuleide tun will! Oder meinst du, daß er dich um dieser achttausend Rubel willen nehmen wird und ich jetzt hinlaufe, um dich zu verkaufen? Du Närrin, du Närrin, ihr seid alle undankbare Narren! Gib mir meinen Regenschirm!«
Und sie lief zu Fuß das feuchte Ziegeltrottoir entlang und über die hölzernen Brückchen zu Stepan Trofimowitsch.
VII.
Es war die Wahrheit, daß sie Darja nicht verheiratete, um ihr etwas zuleide zu tun; im Gegenteil hielt sie sich jetzt erst recht für deren Wohltäterin. Die edelste, gerechteste Entrüstung flammte in ihrer Seele auf, als sie beim Umlegen des Schaltuches bemerkte, daß ihre Pflegetochter sie verlegen und mißtrauisch ansah. Sie liebte sie aufrichtig von der Zeit an, wo diese noch ein kleines Kind gewesen war. Praskowja Iwanowna hatte Darja Pawlowna mit Recht als ihren Liebling bezeichnet. Schon längst hatte sich Warwara Petrowna ein für allemal gesagt, Darjas Charakter habe mit dem ihres Bruders (das heißt Iwan Schatows) keine Ähnlichkeit; sie sei still und sanft und sehr aufopferungsfähig; sie zeichne sich durch Anhänglichkeit, durch außerordentliche Bescheidenheit, durch eine seltene Verständigkeit und vor allen Dingen durch Dankbarkeit aus. Bisher hatte Darja anscheinend alle ihre Erwartungen erfüllt. »In dem Leben dieses Mädchens werden keine Fehler vorkommen,« hatte Warwara Petrowna gesagt, als Dascha zwölf Jahre alt war, und da es in ihrem Wesen lag, jede Idee, die sie fesselte, jeden neuen Einfall, den sie hatte, jeden Gedanken, der ihr glücklich schien, auch sogleich hartnäckig und leidenschaftlich zur Ausführung zu bringen, so hatte sie sich sofort entschlossen, Dascha wie eine leibliche Tochter zu erziehen. Sie legte für sie unverzüglich ein Kapital beiseite und nahm eine Gouvernante, eine Miß Criggs, ins Haus, die bis zum sechzehnten Lebensjahre der Pflegetochter bei ihnen blieb; dann aber wurde ihr auf einmal aus irgendwelchem Grunde gekündigt. Nun folgten Lehrer aus dem Gymnasium, darunter ein Nationalfranzose, der Dascha im Französischen unterrichtete. Auch diesem wurde plötzlich gekündigt; ja, er wurde beinahe weggejagt. Eine arme, von auswärts zugezogene Dame, eine Witwe von Adel, gab ihr Klavierunterricht. Aber der eigentliche Erzieher war doch Stepan Trofimowitsch. In Wirklichkeit war er es gewesen, der als der erste Dascha entdeckt hatte: er hatte das stille Kind schon zu einer Zeit unterrichtet, als Warwara Petrowna