Usa beachtet nicht Antons gefurchte Stirn, sie schließt das Buch. Dann quietscht dynamisch der Stuhl, von dem sie aufsteht. Ihr stattliches Hüftgold erbebt, sie betrommelt es kurz mit den Fäusten. Und gewährt Anton einen Moment; es kann dauern, bevor er ihre Sicht schluckt. Ohnehin erfasst Schalk sie, glättet den türkisbunten Rock unter ihrem rosavioletten Batikhemd. Beide Schultern neigend, flitzt Usa zur Tür, und ruft davor:
„Anton, wir stehen uns in Nichts nach - erledigen wir alte Kamellen während des Schwelgens in Neuem! Wir fahren spontan in Lians Kombi zur Hochebene, ich hole den Schlüssel.“
Die Ateliertür belässt Usa offen. Sie eilt zu Töpferscheibe und küsst zart in Lians graublondes Haar, deren Augen blau strahlen unter den spitzen Brauen, die ihre kreative Ader kennzeichnen.
Lian entspannt ihren konzentrierten Mund, zieht auch ihre feingliedrigen Finger ab von der flachen Platte aus weißem Ton.
„Ich forme eine Rosendekoration. Es wird ein Experiment mit knallrosa Glasuren“, erklärt Lian mit warmem Ton. „Es soll dem dort gleichen, wünscht der Auftraggeber.“
Sie reibt die Hände am Tuch neben der Wasserschale ab, in der ein vielköpfig blühender Wildrosenzweig liegt. Unterm Tisch am Pedal der Drehscheibe, schlängeln ihre Füße in die Sandalen. Noch ganz in ihrem Element, bezupft Lian ihr Werkstatthemd und drückt ihre schmalen Schultern zurück, die ihre vergeistigte Art im Handwerken andeuten. Dann zwinkert sie mit einem Auge.
„Der Blumengärtner im Nordwesten der Insel hat Charisma und gefällt mir erheblich besser als Margaritas Gärtnermeister.“
„Kamst du an den hinter inspirierenden verrotteten Mauern?“
Wenig neugierig fragt Usa, mag sich nicht lange aufhalten. Sie schlendert an den Schlüsselhaken nah der Flurtür und kreist dann am Zeigefinger den Schlüssel des Kombis durch die Luft.
Blank fackelt das Blau in Lians Augen, mit einem Flämmchen darin, von dem Lian noch nicht genau weiß, was es birgt.
„Heute früh fand ich so eine Mauer und davor die Wildrosen, sein Zweitjob. Na, wohin willst du fahren?“
Usa schildert Antons Idee und auch ihre, von der Anton noch nichts ahnt, mit friedvoller Stimme.
„In den nahen Himmel, besonders in den am Windradpark, sehe ich gern, oft schon öffnete er mir etwas meiner Zeitqualität.“
„Nicht nur am Windpark, vor seinem stillen Säuseln.“
Mit tonklebriger Hand kreist Lian weit durch die Luft.
„Einwärts ziehende Spiralen entdecke ich überall, verknüpfe deren Bestandteile mit den mir wohl gesonnenen Kräften! So war es zuvor am Rosenfeld, und ich beschloss, Aufträgen nicht mehr nachzulaufen. Sie flattern ins Haus. Und ja, im Töpfern dieser Rosendekoration erblüht meine magische Ader gleich mit!“
„Oh, wie freimütig! Bist mir einen Schritt voraus!“, staunt Usa. „Ich kenne meine nächsten Pläne noch nicht. Die Drehflügel sollen aus höchsten Himmeln herabwirbeln, was mir am Weg ins Unbekannte vom Hals fallen soll, mir nicht mehr nährend dient. Von den Winden in Höhe der eintausendachthundert Meter wünsche ich mir mein Funktionieren allerbester Gehirnsynapsen. Da oben und noch an mir verschlüsselt, liegt unermessliche Lebenslust. Auch für den großen Plan, und den ausquellenden Erfolg darin.“
Sinnbildlich gleich der Berge, tippt Usa an ihren Nacken und Hinterkopf. Sehnsüchtig nach paradiesischen Himmeln reckt sie ihre Zehen in den luftigen Sandalen, und verlässt Lian mit einem Abschiedswippen ihrer farbenfrohen Batikpracht.
Behäbig rollen die Reifen des Kombi über den Schotter etlicher bergwärts ansteigender Kurven. Derweil sieht Anton sinnhaft in seiner Lade unerledigter Dinge jenen zerstörten Reifen am Jeep.
„Zuoberst vorgemerkt“, murmelt Anton hinterm Steuer, wobei er am linken Ohrläppchen zupft. Kaum weiß er, kurz nach Usas in ihm grummelnder Kritik, woran in ihrer Nähe zu denken wäre. Ein Blick flieht an das Wurzelstück hinter dem Rückspiegel.
„Sieh, Lians Schatz! Ich frage mich, welche Kräutermischung ihrem Künstlerherz wohl gut täte.“
Seine Augen versinken eng in den umgebenden Falten, er hört keine Antwort, auch keine darüber, weshalb Usa wie gebannt ins Blaue schaut, sobald das über dem Asphalt blitzt. Anton spürt aber, ihm antworten die filigranen Akazien am Straßensaum. Bald stehen sie nur vereinzelt. Er öffnet sein Fenster den Essenzen des Eukalyptus, er atmet sie hinein in sein müßiges Denken. Die Kurven winden sich vorbei an schlanken Eukalyptusbäumen, dann ragen auf hohen Hängen nur gefährlich gestürzte Pinien, Zeugen des Frühjahrsorkans. Ganz Entwurzelte recken ihre Ballen, Erde haftet mit felsigen Brocken daran. Lichtes Gelände folgt, mit Weitblick in karge Täler und zu Boden rieselnde Sonnenstrahlen.
Als die Hochebene erreicht ist, geht ein Ruck durch Usa. In fester Stimme übertönt sie das Reifensurren am Asphalt.
„Fahre zum Windradpark, nicht direkt vor, da ist gesperrt, aber der Platz ist so gut wie jeder für deine Kräutersuche. Ich meditiere eine Weile unter den sausenden Räderbewegungen.“
„Ja, kenne ich, und du hast genügend Spielraum.“ Keineswegs irritiert Anton ihr Wunsch. „Nimm planlos deine Pause.“
Bald stoppt er an der lichten Weite ohne Baumbewuchs. Dürre Niedriggewächse bedecken die von roter Lava krümelige Bucht zum Halten. Am klarblauen Horizont schweben schmale Schleierwolken.
Usa steigt aus, betrachtet die in der Ferne sich drehenden Räder an weißen Masten, einige stehen still. Langsam durchquert sie dornige Büsche, findet etwas wie einen Hügel und genießt im Sitzen die seltsame Windruhe. Eine Weile kehrt sie ihre Sinne in die Luft. Ihre Zeit hält an, recken sich wie Stunden, bevor Usa sich Anton nähert, für seinen Wunsch bereit.
Antons Kopf ruckt zu einem begrünten Abgrund unterhalb der Haltebucht. Er schlittert in Sandalen unsicher abwärts. Schon prallt er mit seinem ganzen Gewicht vor einen Drahtzaun, und schwenkt seinen Sammelkorb in die Luft. Im Zaum übersteigt er ohne zu zögern eine Scherenleiter. Er grinst, deutet der oben umhersehenden Usa an, der Pfad durch den blühenden Ginster werde sichtbar, folge ein Schritt dem anderen.
Usa festigt sich an den windgekrümmten Zweigen, rutscht am nadelübersäten Grund aber unvermeidbar abwärts. Und schafft es kaum, ihr Gewicht auf den Füßen zu halten, den Flatterrock vor dem stachligen Ginster zu retten. Unaufhaltsam schlittert sie. Nunmehr an die Leiter gekommen, hält sie ihren Schreck zurück, denn Anton geht längst, sich entfernend, zu einer den Talgrund befeuchtenden Quelle, und zupft von einem Büschel Wasserkresse einige Stängel in den Korb. Er schaut, was sonst noch wächst.
„Oh! Ein einladend überdimensionales Plateau in der Sonne! Mein Fettdepot macht den harten Stein erträglich. Der hat Platz für einen zweiten Fleischkloß unter Gottes Auge“, ruft Usa zu Anton, als sie die Leiter hinter sich hat.
Lächeln huscht ihr ins Gesicht, teils ihren Rutsch am Hang kaschierend. Sie hebt den Rock und ein Knie, klettert auf den riesigen warmen Felsen nah der Quelle. Sie streckt den Rücken aus, faltet die Hände im Nacken, sieht auf zum Himmel.
Abwartend betrachtet Anton im Nähern Usas staubige Zehen in den griffigen Sandalen, auch die Knie und die breiten Schenkel. Sein Beäugen stört eine Bewegung im Augenwinkel.
Ein ungewöhnlich dürrer Alter in löchriger Kleidung humpelt an einem Stecken den Pfad herab, und zieht von der Schulter ein Tau, ein Kanister baumelt daran. Der Quelle nah, drückt er Moos nieder und den Behälter ins Glucksen. Er nimmt seine vergilbte Kappe ab, wischt mit schwieliger Hand über sein Silberhaar und blinzelt auf den Fremden hin und her. Keineswegs rätselt er um deren Motive.
Die Mimik sofort verstehend, winkt Anton ab, und zeigt den landestypischen Flechtkorb vor, nimmt wild gewachsenen Salbei heraus, auf blaue Blütenstände deutend.
Ausholend weist der Alte an die Talflanke und kauderwelscht von Gutem für die Menschen in einer Mundart, die Anton halbwegs versteht, sich überschwänglich bedankt. Die Kappe