Ein Arzt in einer kleinen Stadt. Julie Burow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julie Burow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754183816
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der Besitz dieser Güter ist eigentlich doch das beste Glück des Menschen.

      Nach Tische trat Franke mit Lätitia zu einem Walzer an. Sie waren ziemlich das letzte Paar und er führte seine schöne Dame zu einem Ecksofa, das die vor ihm stehenden Tänzer verdeckten, sich dort neben ihr niederlassend. Es war drückend warm im Saale und Franke hatte eine Orange in den Händen behalten, die er zerlegte und auf einer Schale seiner Tänzerin darbot. Sie nahm lächelnd ein Stückchen und sagte, bevor sie es an die Lippen brachte:

      »Ich fürchte nicht, Herr Doktor, dass Sie die bösen Künste bereits erlernt haben, die man in Ihrem Hause treibt.«

      »In meinem Hause? Weshalb, mein Fräulein, treibt man dort böse Künste?« fragte er scherzend dagegen.

      »Ei, wissen sie das nicht? Ihr Haus ist seit Jahren sehr im Verruf; denn zwei Mordtaten sind dort vorgefallen und noch nicht aufgeklärt. Es ist das wohl schon lange her, aber das Andenken an so was erhält sich für immer.«

      »Das ist interessant und schauerlich, mein Fräulein«, entgegnete Franke lächelnd, »das alte Haus mit der freien Aussicht und den freundlichen hellen Stuben sieht gar nicht aus, als ob jemals etwas Böses oder Seltsames dort geschehen sein könnte.«

      »Und doch, und doch!« flüsterte das junge, rosige Mädchen mit ernsthaftem Kopfnicken.

      »Ich war damals vielleicht noch nicht auf der Welt oder doch noch ganz klein und unsereinem erzählt man solche Dinge nicht ordentlich. Du bist ein junges Mädchen, sagt der Vater, wenn ich ihn darnach frage, um alles zu wissen – noch viel zu jung, und Mama sagt: Christum lieb haben ist besser, denn alles wissen. Aber man hört denn doch so dies und das über die Schauergeschichten, die sich in der Welt zutragen.«

      »Und was haben Sie denn gehört, Fräulein, über die Schauergeschichten in meinem Hause?«

      »Ja, Herr Doktor, gerade nicht viel, nichts Genaues, unsre alte Kinderfrau erzählte mir davon, aber ich weiß, die lügt wie gestochen.«

      »So, so«, entgegnete Franke lächelnd.

      »Ja, aber wahr ist's doch, seh'n Sie, der Vater und die Frau des Senator Wallfeld sind vergiftet in einer Nacht. Herr Wallfeld versteht allerhand Gifte zu machen und seine Schwester hat ihm ein Päckchen mit einem schrecklichen Gift heimlich genommen, das hat er vermisst, und die beiden Leichen haben alle Zeichen der Vergiftung an sich getragen, und in derselben Nacht ist ein naher Verwandter spurlos aus dem Hause verschwunden. Ja, und die Schwester, die Jakobine Wallfeld, hat Jahre lang im Gefängnis gesessen, o es ist eine ganz schreckliche Geschichte.«

      »So scheint es«, sagte Franke nachdenklich.

      Das bleiche Gesicht Jakobinens stand plötzlich vor ihm, es war ihm, als suche er den sanften, resignierten und schmerzvollen Blick, den sie bei ihrem kurzen Zusammentreffen auf ihn heftete. Hinter diesen Zügen eine Meuchelmörderin zu vermuten, schien ihm an Wahnsinn zu streifen und doch war der eigene Bruder nicht frei vom Verdacht, das hatte er aus den Worten des Ratsherrn nur zu gut herausgehört, aber Frau Baum, diese feste, stolze und edelherzige Frau, hatte die Freundschaft und den Glauben an die Angeschuldigte bewahrt, ihm war dies hinreichend, um ebenfalls an ihre Unschuld zu glauben. Jakobine Wallfeld erschien ihm als eine Märtyrin und es war ihm einen Moment lang, als ob es sein eigentlicher Lebensberuf sei, das Geschick dieses armen Wesens aufzuklären. –

      »Ja aber wenn Sie so dasitzen wollen und die Tour verpassen, Herr Doktor, so erzähle ich Ihnen gar keine Geschichten mehr, weder schöne noch schreckliche«, sagte Lätitia, und erweckte mit diesen Worten den Träumer zur Einsicht in die Gegenwart.

      Franke sprang auf, schlang seinen Arm um die jugendliche Gestalt und schwang sich mit ihr in die Reihen der Tänzer. Die Töne eines echten deutschen Walzers trugen ihn wie auf Flügeln durch den Saal, noch einmal und noch einmal flog er mit ihr die Runde durch und als er sie endlich zu ihrem heimlichen Plätzchen zurückführte, sagte sie lächelnd:

      »Wahrhaftig, Sie sollen sich nur erst gar nicht für einen Arzt ausgeben. Welcher vernünftige, rechtschaffene Doktor walzt seine Patienten schwindsüchtig?«

      Franke fand keine rasche Erwiderung auf dies Wort der jungen Dame, er tat daher das Beste, lächelte und sagte, sie sei wunderschön in der Aufregung des Tanzes. Eine halbe Stunde darauf, saß er im Cotillon neben einem Fräulein Meinhard auf derselben Stelle und hielt mit der jungen Dame lachend Zwiesprache über die vielen welkenden Blumen und die herabbrennenden Kerzen im Saale, und als Sträußchen und Orden verteilt waren, mit welchen letzteren die jungen Schönen seiner neuen Heimat seine ganze Brust dekorierten, als Bonbons geknallt hatten, und die bunten Kleinigkeiten eines Christbaumes verteilt waren, fand er sich allein, in seinen Mantel eingehüllt, den Kopf voll von hundert seltsamen Gedanken, in der schneeigen Straße zwischen den Fabrikgebäuden.

      Die Räder und Walzen schnurrten und rasselten, trübes Lampenlicht schimmerte durch die geschlossenen Laden und in der großen Pforte in mitten der Gebäude lehnte an einem Pfosten eine in Pelze gehüllte Gestalt, der Fabrikwächter.

      »Was ist die Uhr«, fragte Franke im Vorübergehen.

      »Fünf vorbei, bald Morgen, Gott sei Dank«, sagte der Mann mit einer tiefen, dumpfen Stimme.

      Der Hund zu seinen Füßen knurrte und Franke eilte an ihm vorüber in sein Haus, wo eine unsichtbare Hand ihm öffnete.

      »Sie wacht«, dachte der junge Arzt, »früh und spät wacht sie – unglückliche Jakobine!« –

      Sechstes Kapitel.

      Maria.

      Einladung folgte jetzt auf Einladung für Doktor Franke. Aber auch seine Praxis fing an sich zu heben. Ehe noch der Frühling kam, konnte er übersehen, dass er in Hermstädt sein täglich Brot finden würde. Sein täglich Brot, wie es der unbemittelte Beamte in unserem Vaterlande isst. Er musste Berechnungen anstellen, wie viel er für jeden besondern Zweig der Lebensbedürfnisse etwa zu verwenden haben würde. Er fing an sich daran zu gewöhnen, auf den Geldwert einer Sache Rücksicht zu nehmen, bevor er sie als eine Notwendigkeit für sich betrachtete. Im Sommer wollte er eine Wohnung mieten, die ihm verstattete, seine Mutter zu sich zu nehmen.

      Jakobine, für die er eine unglaubliche Teilnahme empfand, hatte er noch nicht ein einziges Mal gesprochen. Mit seinem Hauswirt und dem Postsekretär Walter stand er auf freundschaftlichem Fuße und im Hause der Rätin Baum war er ein stets gern gesehener Gast. –

      Sein Leben war just nicht unfreundlich, aber als eine Fortsetzung seiner Jugendjahre betrachtet, war es unsäglich dürftig. Er selbst fühlte dies kaum. Eine eigentümliche Ader des Glückes hatte sich ihm eröffnet in dem Umgange mit der Frau, die er am Krankenbette ihres Gatten zuerst gesehn. Der Rat Baum war genesen; freilich schien bei diesem Manne jedes Genesen von seinem entsetzlichen Übel nur eine Gnadenfrist zu sein, da der Grund desselben nicht gehoben wurde. Er selbst hatte dringend gewünscht, seinen Arzt kennenzulernen, und so war denn Franke in den näheren Umgangskreis der Familie gezogen worden. Wer wie Franke im Reichtum erzogen ward und seine Jugend auf Reisen zubrachte, kennt eigentlich wenig vom Leben in der Familie. Bei seinen Eltern war jeder seinen eigenen Weg gegangen, andre Familien hatte Franke nur im Gesellschaftsputze gesehen, im Hause der Frau Baum sah er daher zuerst ein Familienleben. Wenn er in der Abendstunde hineilte, heimelte ihn schon das Licht an, das in vollem Strom, nur gedämpft von den niedergelassenen Gardinen, durch die glänzenden Fenster strahlte. Viertelstundenlang konnte Franke unter diesen Fenstern stehen und dem Stimmengeflüster oder dem Gesang lauschen, der zu ihm herab tönte. Wenn er dann eintrat, wehte ihm Hyazinthen-Duft mit Frühlingshauch entgegen und beim Schein der Lampe am runden Familientisch saß Maria zwischen ihren beiden Kindern, ihrem Gatten gegenüber, der entweder mit einem Bekannten irgendein Zugspiel spielte, oder las, oder auch sich mit einer mechanischen Arbeit beschäftigte. Maria selbst hatte stets eine nützliche Arbeit vor und verstand derselben einen Anstrich von Zierlichkeit und Nettigkeit zu geben, der Auge und Herz erfreute.

      Wenn sie so dasaß, eifrig an einer