Ein Arzt in einer kleinen Stadt. Julie Burow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julie Burow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754183816
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Zeugnis abzulegen schien, war es Franke zumute, als ob er einen Blick in eine vom mildesten Mondlicht erhellte Landschaft täte, alles so sanft, so rein, so still, und doch lässt das Bild die Vermutung zu, dass eine andere Beleuchtung es in noch strahlenderer Schönheit zeigen könne.

      Mariens Gatte war ein Mann wie tausend andre. Franke konnte keine einzige Eigentümlichkeit an ihm bemerken, außer die traurigen und schrecklichen, die er bereits kannte. Bisweilen merkte man es ihm an, dass er getrunken hatte, dann war sein Auge glänzend oder matt, je nach dem Stadium des Rausches, seine Stimme stockte oder zitterte, sein Gang war unsicher und seine Behauptungen wurden mit einer Art von brutalem Trotz aufgestellt.

      In solchen Stimmungen widersprach Maria ihm nie, sondern ging auf seine oft widersinnigen Ideen mit der Milde ein, die eine Mutter gegen ein krankes oder blödsinniges Kind zeigen würde. Selbst der Ton ihrer Stimme hatte dann etwas Beruhigendes und Baum pflegte gewöhnlich sich bald zurückzuziehen und seine Gäste der Unterhaltung seiner Gattin zu überlassen.

      Dr. Franke hatte mehr als jeder andere gewisse Berührungspunkte mit Maria. Ein Arzt ist fast immer einigermaßen Freund der Familie, in der er einen Kranken behandelt, und das traurige Geheimnis, das er mit Marien teilte, gründete wohl einige Vertraulichkeit zwischen ihnen beiden. Nicht selten richtete sie eine rasche heimliche Frage an ihn, die Möglichkeit eines Rückfalls und die zweckmäßigste Behandlungsweise dabei betreffend, oder einen Blick des Einverständnisses, der mehr als einmal ein schnelleres Pulsieren des Blutes in den Adern des jungen Arztes erregte.

      »Welch’ eine Frau«, sagte er sich selbst an jedem Abende, da er ihr ruhiges und edles Tun von Neuem beobachtet hatte, und ein Gefühl setzte sich in seiner Brust fest, das er ähnlich nie an sich selbst gekannt, noch auch an andern zu sehen Gelegenheit gehabt hatte.

      »Liebe ich sie«, fragte er sich dann und er verneinte diese Frage mit großer Entschiedenheit.

      Liebe, die Liebe, welche er bis jetzt kannte, war ein Gefühl, das der hohen Achtung, die Maria ihm einflößte, fast entgegengesetzt erschien. Alle Frauen, die er noch geliebt, waren Wesen, deren Gedankenwelt er bedeutend unter dem Niveau der seinigen gefunden, deren Willenskraft er nicht der Rede wert geschätzt. Schönheit hatte ihn angezogen und er hatte eine Zeitlang in dem Bewusstsein, der Mittelpunkt der Gedanken dieses oder jenes reizvollen Weibes zu sein, ein gewisses Glück gefunden und dieses hatte gewährt, bis ihm die Anforderungen der Geliebten an sein Herz und seine Zeit lästig, ihre Capricen langweilig geworden waren. –

      Maria erschien ihm nicht wie ein Weib, wenigstens anders als alle Weiber, die er bis jetzt gekannt, und doch musste er sich sagen, dass in dem Wesen der schönen und edlen Frau eine echte weibliche Würde und Milde lag. Es war an einem Abend, da Herr Baum sich wieder in einem bedeutenden Grade der Trunkenheit befunden und nach einigen liebreichen Worten seiner Gattin taumelnd das Zimmer verlassen hatte. Schon vorher hatte Maria, den Zustand ihres Mannes erkennend, ihren beiden kleinen blassen Mädchen die Erlaubnis gegeben, ein eben in Hermstädt befindliches Puppentheater unter dem Schutze Walters zu besuchen. Als Herr Baum auf sein Zimmer gegangen, befand sich Franke mit seiner Gattin allein. Das Zimmer war von der Lampe mild erhellt.

      Ein aufgeschlagener Flügel stand an der Wand, Rosendüfte durchzogen den traulichen Raum. Franke saß Marien zur Seite, das volle Licht der Lampe bestrahlte ihr schönes Gesicht und schuf einen glänzenden Reflex auf dem glatt gescheitelten reichen Haare.

      Ihre Augen waren auf ihre Handarbeit gerichtet, aber Franke konnte bemerken, dass die feine weiße Hand, die die Nähterei hielt, bebte. Ein Gefühl unsäglichen Mitleids überrieselte sein Herz, wie eine weiche warme Flut. Er fühlte, dass Mariens Augenlider von Tränen schwer waren, obschon er es nicht sah, und leise seine Hand auf die ihrer Hände legend, die eifrig den Faden auszog und diese zarte warme Hand festhaltend, sagte er mit einer von Rührung bebenden Stimme:

      »Maria, bedürfen Sie eines Freundes?«

      Sie sah rasch und plötzlich zu ihm auf. Der Stahlglanz ihrer Augen war von einer Träne getrübt, die sich an der Wimper sammelte und dann, eine glänzende Perle, über die bleiche samtartige Wange rollte. –

      Einem Impulse nachgebend, dem er nicht widerstehen konnte, beugte er sich schnell zu ihr nieder und trank in einem leisen Kuss den Tropfen, der aus der tiefsten Seele eines Wesens quoll, das vom Weibe nur die schöne Gestalt – keine seiner sonstigen Schwächen zu besitzen schien.

      Sie legte mit einer einfachen und ganz natürlichen Bewegung ihren Arm auf die Lehne des Sofas, auf dem sie saß und bildete so eine leichte Schranke zwischen sich und ihm, die er zu überspringen nicht wagte, obgleich sie von seiner augenblicklichen Verirrung weiter keine Notiz zu nehmen schien.

      »O Doktor«, sagte sie dann nach einem kurzen Schweigen, »Sie machen mir ein großes, großes Erbieten; was könnte ich in meiner, so eigentümlich schmerzlichen Lage wohl mehr und inniger wünschen, als einen Freund.«

      Er blickte sie an, ohne sie noch weiter mit einem Finger zu berühren.

      »Und wollten Sie, könnten Sie mir das erhabene Glück, die hohe Ehre gönnen, Ihr Freund zu sein?« fragte er mit fester Stimme.

      »Sie haben Recht – es ist eine Ehre, der Freund eines Weibes zu sein, das den schweren Kampf mit dem Leben und seinen Verhältnissen kämpft; der Freund einer rechtschaffenen Frau muss seiner eignen Ehrenhaftigkeit und der Achtung seiner Umgebungen vollkommen sicher sein; er muss ein Mann sein und sich als solcher bewährt haben. Ob es aber ein Glück ist, ach lieber Franke, daran zweifle ich sehr. – Was kann Ihnen meine Freundschaft geben und wie viel dürfte sie von Ihnen fordern!«

      »Fordern Sie, fordern Sie, teure Maria; es gibt kein Opfer, das ich Ihrem Glücke, Ihrem Frieden nicht mit Freuden brächte.«

      Sie lächelte durch ihre Tränen.

      »Ich bin wohl eine Törin«, sagte sie dann, »dass ich mich einem Gefühle hingebe, welches jedenfalls nicht ganz gefahrlos ist, der Freude an die warme Teilnahme eines gebildeten und guten Menschenherzens. Aber nicht wahr, lieber Doktor, Sie sehen in mir hoffentlich etwas Besseres als bloß eine leidlich hübsche Frau, Sie fühlen, dass ich ein Mensch sei, ein leidender, kämpfender, strebender Mensch, der sein Kreuz auf sich genommen nun mutig und hoffend den Weg zum Tempel des Friedens angetreten hat.« –

      »Ich verstehe Sie nicht ganz, meine herrliche Freundin«, entgegnete er, »aber ich fühle, dass Sie ein Wesen sind, des Glückes ebenso bedürftig als würdig, und dass es eine Seligkeit sein muss, Ihnen von dem Glücke, das das Schicksal Ihnen versagte, ein Fünkchen geben zu können.«

      Sie hatte wieder zu arbeiten begonnen und erhob bei seinen Worten ihren Blick von Neuem zu ihm. Ein göttliches Licht strahlte darin.

      »Das ist ein schönes Wort, was Sie mir sagen, mein lieber Freund, des Glückes so würdig als bedürftig sein. Der ist nicht unglücklich, Franke, der des Glücks würdig blieb, und auch ich bin es eigentlich nicht, ich bin nur schwach und ermüde bis weilen bei der Last, die ich heimlich trage und die in der Tat doch eine recht schwere ist. Aber auch hier erkenne ich den Finger Gottes. Er, der die Last nach der Kraft abmisst, Er wusste, dass ich ermüden würde ohne eine Hilfe, und da gab Er mir in dem Arzt, dem ich gezwungen vertrauen musste, den Freund, der mir gern und liebevoll tragen hilft.«

      Sie sagte das so einfach und doch war in jedem ihrer Worte etwas, das Frankes Herz wie ein elektrischer Schlag traf. Über jedes hätte er sich einen Kommentar erbitten, jedes einzelne noch Stunden lang mit ihr besprechen mögen.

      Sie war indes aufgestanden und an das geöffnete Klavier getreten.

      Er hatte sie noch nie musizieren gehört, und als sie leicht mit den Fingern über die Tasten glitt, war es ihm, als ob er zum ersten Male in seinem Leben Musik höre.

      Sie spielte eine ernste, choralartige Weise und sang dann mit einer reinen, vollen Altstimme:

      »Sei still, o Herz! Lern’ endlich, endlich schweigen,

      Gib auf die Hoffnung, wahre Dir den Mut;

      Du wirst umsonst Dein zuckend Beben zeigen,

      Ein Lächeln nur erregt Dein rinnend Blut.