Die deutschen Auswanderer. Jakob. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jakob
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783754184851
Скачать книгу
ihm angeworbenen Familie zugeteilt wurde. Er hatte das Recht, Arbeitskräfte zur Bearbeitung dieses Landes anzuwerben, denen dasselbe Land zugeteilt wurde wie den übrigen Kolonisten, die sich dabei jedoch als Hilfsarbeiter zur Bearbeitung seines Landes verpflichteten. Außerdem erhielt er das Jagdrecht und das Recht auf Fischfang auf dem Gebiet der von ihm angesiedelten Kolonisten und durfte mit ihnen bestimmte Privatverträge abschließen, die ihm eventuell zusätzliche Vorteile verschafften. Die Regierung machte es zur Bedingung, dass Privatverträge den russischen Gesandten in Deutschland vorgelegt werden mussten. Diese waren dazu verpflichtet, sie zu bestätigen und darauf zu achten, dass den Kolonisten in solchen Verträgen keine Möglichkeiten und Rechte versprochen wurden, die über das hinausgingen, was das Manifest vorsah.

      Neben der Arbeit privater Werber setzten auch Vertreter des russischen Staates ihre Tätigkeit fort. Alle in diesem Zusammenhang anfallenden Koordinations- und Organisationsaufgaben wurden von Johann Simolin geleitet, einem russischen Gesandten am Regensburger Reichstag. Dieser beauftragte zwei seiner Kommissare mit dem Anwerben deutscher Kolonisten. Der erste war Karl Friedrich Meixner aus Augsburg, der zweite Johann Facius aus Hanau. Sie hatten der russischen Regierung die Treue geschworen und in Russland den Beamtenstatus erlangt. Meixner eröffnete seine Büros, in denen Kolonisten angeworben werden sollten, in Ulm, Facius in Frankfurt am Main, und die Büros wurden offiziell als städtische Behörden anerkannt.

      Im Unterschied zu den privaten Werbern erhielten die Kommissare eine feste Bezahlung in Höhe von 400 bis 500 Rubel. Die staatlichen Werber nutzten die Dienste einer großen Anzahl privater Agenten, die für jede angeworbene Familie eine Prämie von drei bis vier Dukaten erhielten oder je nach Vereinbarung für die Anreise einer bestimmten Anzahl von Kolonisten Familien bezahlt wurden. Die staatlichen Kommissare waren dazu verpflichtet, finanzielle Rechenschaftsberichte anzufertigen und sämtliche durch das Anwerben und den Transport angefallenen Kosten durch entsprechende Quittungen und Dokumente zu belegen.

      Eine derart aktive, zweidimensionale Vorgehensweise beim Anwerben führte sehr rasch zu den benötigten Resultaten. Die Anzahl deutscher Staatsbürger, die nach Russland umziehen wollten, wuchs auf ungefähr 25.000 Menschen an. Dabei bleibt festzustellen, dass die schlechten Lebensbedingungen dieser Leute im damaligen Deutschland eine nicht unwesentliche Rolle bei der Tatsache spielten, dass eine so große Anzahl deutscher Staatsbürger sich für das Verlassen des eigenen Landes entschied. Daher war der Zeitpunkt sehr günstig, um deutsche Staatsbürger für die Übersiedlung nach Russland anzuwerben.

      3.4. Aggressives Anwerben und wachsende Proteste

       Der zentrale und der südliche Teil Deutschlands befanden sich infolge der französischen Kriege des 18. Jahrhunderts und des eben zu Ende gegangenen Siebenjährigen Krieges in einer wirtschaftlichen Rezession. Die despotischen Herrscher zahlreicher kleiner deutscher Fürstentümer sorgten sich wenig um die Lebensbedingungen ihrer Untergebenen, die Not und zuweilen auch Hunger litten. Einzelne Herrscher waren sogar froh darüber, so einen Teil des verarmten Volkes loswerden zu können.

      Währenddessen riefen die zunehmende Aktivität und das Ausmaß, in dem die russische Regierung Kolonisten anwarb, Aufmerksamkeit hervor und führten dazu, dass der progressive Teil der Landesbevölkerung nachzudenken begann. Selbst in jener fernen Zeit kam es zur Entstehung einer akademischen Auseinandersetzung mit der damals in den großen und kleinen deutschen Staaten existierenden Siedlungs- und Steuerpolitik und der ungerechten Beziehung vieler Herrscher zu ihren Untergebenen, was in der Summe zu einem Wachstum der Auswanderungsbereitschaft im Volk führte. Insoweit führte die provozierende Tätigkeit der russischen Agenten, deren Aufgabe im Anwerben von Teilen der Bevölkerung bestand, zu einer Gegenreaktion vonseiten eines Teils der Regierungen der deutschen Staaten. Zunächst erging der Erlass der pfälzischen Regierung vom 27. Januar 1764, in dem ein allgemeines Verbot der Auswanderung und der Tätigkeit der russischen Werber verkündet wurde. Im selben Jahr wurde die Emigration in Bayern verboten, und am 21. April 1765 auch in der unabhängigen (freien) Stadt Frankfurt, in der auch der „Verweis“ des russischen Kommissars Facius aus dem Stadtgebiet verkündet wurde. Diesen Emigrationsverboten schlossen sich auch andere deutsche Staaten an.

      Anders war es in dieser Hinsicht um die Dinge in Preußen bestellt, welches die Annahme eines entsprechenden Verbots hinauszögerte und dafür besondere Gründe hatte. Der preußische König Friedrich lockte selbst erfolgreich Angehörige fremder deutscher Staaten an und siedelte sie in Preußen an, daher erließ er erst am 01. Mai 1766 ein Emigrationsverbot, nachdem er eingesehen hatte, dass die russischen Anwerber in dieser Sache ernstzunehmende Konkurrenten für ihn darstellten. Allerdings wussten die russischen Anwerber die Zersplitterung der deutschen Staaten zu nutzen und umgingen das Tätigkeitsverbot ohne Schwierigkeiten, indem sie ihre Büros in das Gebiet anderer Staaten verlegten, die ihre Tätigkeit noch nicht für gesetzeswidrig erklärt hatten. Dabei griffen sie recht häufig auch auf illegale und gesetzeswidrige Anwerbemethoden zu. Man warb Leute an, die aufgrund verschiedener Ursachen kein Recht auf Emigration hatten, und brachte sie heimlich hinter die Grenze. Mit finanziellen Prämien wurden Bauern, die bereits Übersiedlungsverträge nach Ungarn oder Nordamerika unterschrieben hatten, abgeworben, indem man ihnen nichtexistierende Vergünstigungen und Bedingungen bei der Übersiedlung nach Russland versprach.

      Nicht selten kam auch der entgegengesetzte Fall vor, in dem angeworbene Übersiedler, die bereits Geld für den Umzug nach Russland erhalten hatten, im letzten Moment vor der Abreise davonliefen. Als Beispiel soll hier ein Rapport des russischen Gesandten A. Musin-Puschkin aus Hamburg dienen, welchen er am 14. Oktober 1763 an die Kaiserin sandte. Darin teilt er mit, dass sich vier Junggesellen, denen bereits Verpflegungsgeld für die Reise ausgezahlt worden war, trotz der eingesetzten Wache und ihrer freiwillig abgegebenen eidesstattlichen Versicherung vor der Einquartierung auf dem Schiff von der Gemeinschaft entfernten und heimlich davonliefen. In seinem Schreiben merkt er an, dass „...der Verdacht auf die um ganz Lübeck herum stationierten preußischen Anwerber fällt, die den Flüchtlingen Unterschlupf gewährten, wobei es durchaus sein kann, dass sie Grund und Anlass zur Flucht gegeben hatten...“.7 Schon bald war der zivile Frieden auf deutschem Boden tatsächlich bedroht, besonders wenn man berücksichtigt, dass die Arbeitsmoral Tausender bereits lange vor der Abfahrt merklich nachließ, da sie ausschließlich mit organisatorischen Problemen wie dem Verkauf ihres Vermögens und der Kapitalbeschaffung für die Reise zu kämpfen hatten, während ihre Gedanken sich nur noch um die Übersiedlung ins ferne reiche Russland drehten. Dabei befanden sie sich in ständigem Austausch mit ihren zurückbleibenden Verwandten, Nachbarn und Freunden, denen sie die Richtigkeit ihrer Entscheidung und die negativen Aspekte des Lebens in Deutschland aufzeigen wollten, was bei einem wesentlich größeren Teil der deutschen Bevölkerung zu einem Gärprozess führte.

      Unter diesen Umständen war es unabdingbar, ein gemeinsames und einheitliches Emigrationsverbot aller deutschen Staaten und freien Städte zu erlassen. Mit einem solchen Vorschlag traten zunächst der bayrische König und der Erzbischof von Salzburg an die Öffentlichkeit. Dabei sollte noch einmal darauf hingewiesen werden, dass sich zu jener Zeit nicht nur Russland aktiv um die Bevölkerung der deutschen Staaten warb. Auch die Monarchen Preußens, Frankreichs, Englands und selbst Joseph II., der König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, versuchten, ihre internen Probleme dadurch zu lösen, dass sie die fleißige deutsche Bevölkerung in ihre Länder lockten. Joseph II. warb aktiv Kolonisten zur Erschließung von Ländereien in Ungarn an, die im Krieg gegen die Türken befreit worden waren.

      Die Tätigkeit der Werber und verschiedener Eilboten dieser Länder, die auf der Jagd nach deutschen Staatsbürgern waren, führte zu einem aktiven Wettbewerb zwischen diesen, was wiederum zahlreiche Beschwerden und Gegenmaßnahmen vonseiten der Herrscher deutscher Länder insbesondere aus dem südlichen Teil Deutschlands zur Folge hatte. In der Folge gelang es ihnen, die österreichischen Werber ernsthaft in die Enge zu treiben und ein gewisses Gleichgewicht zwischen ihnen und den russischen Fängern deutscher Bauernseelen zu erreichen. Dies war in vielerlei Hinsicht auf die aktive Tätigkeit des Fürsten Golizyn in Wien und auf die Eröffnung eines russischen Anwerbebüros durch Meixner in Ulm zurückzuführen. Mit dem Ziel, die nicht immer legalen Vorgehensweisen im entbrannten Konkurrenzkampf zwischen österreichischen und russischen Werbern einzustellen, trafen sie die Vereinbarung, das erneute Werben um Kolonisten zu unterlassen, die sich bereits für eine der