Der Meerkönig. Balduin Möllhausen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Balduin Möllhausen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754176504
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Augenblicke wäre es mir doch lieber, wenn Sie sich zum Teufel scherten!« antwortete der Doctor, seine Tabaksdose mechanisch hervorziehend und mit derselben spielend.

      »So etwas trauen Sie mir zu?« fragte die Gräfin mit erheuchelter Entrüstung, wobei aber ihre Augen vor innerem Wohlgefallen leuchteten. »Sie, der älteste Freund unseres Hauses, und mir, der wilden Renate, die einen großen Theil ihrer Erziehung den gediegenen Rathschlägen des hochverehrten Herrn Doctors Bergmann verdankt?«

      »St!« zischte der alte Herr, indem er seine Dose schnell in die Westentasche schob und zu Renatens größtem Ergötzen auf seinem Stock, der ihn nie verließ, offenbar ohne es selbst zu wissen, einen kurzen Accord blies. »St, nur immer ruhig, meine liebe Renate, es war nicht so schlimm gemeint; ereifern Sie sich daher nicht, das beeinträchtigt Ihre Jugend und Schönheit ...«

      »Immer der alte, liebenswürdige Schmeichler!« unterbrach ihn Renate mit hellem Lachen. »Aber Sie sind unvorsichtig, lieber Doctor, denn wiederholen Sie mir das noch oft, so bin ich gezwungen, es zu glauben!«

      »Tausend Welt, als ob Sie das nicht längst wüßten!« polterte der Doctor, und mit der Schnelligkeit eines Gedankens hatte er von seiner Tabaksdose den richtigen Gebrauch gemacht. »Wissen Sie doch, daß Sie Ihrer vortrefflichen Mutter sprechend ähnlich sind, und das will doch wohl genug sagen!«

      Bei diesen Worten stützte er beide Hände und das Kinn auf den goldenen Knopf seines Stockes, und mit wehmüthigem Ernst, jedoch innigem Wohlgefallen schaute er wieder zu Renate hinüber.

      Die Augen der Gräfin hatten sich umflort.

      »Warum mußte ich so früh meine arme Mutter verlieren?« sagte sie mit einem tiefen Seufzer.

      »Ruhig, ruhig, liebes Kind, das läßt sich nun einmal nicht ändern; wenn der liebe Gott es einmal so beschlossen hat, dann sind wir Aerzte an den Krankenbetten die reinen Waisenknaben. Sie haben Ihre Mutter lange nicht so kennen gelernt, wie ich, denn Sie waren damals noch ein kleines Kind; auch dürfen Sie nicht vergessen, daß Sie noch einen Vater haben.«

      »Der sich indessen nur wenig um mich kümmern kann,« schaltete die Gräfin ein.

      »Ist auch nicht nöthig, mein liebes Kind; Sie sind verständig genug, um allein zu denken und zu handeln, und schlimmsten Falls haben Sie auch Freunde, warme, aufrichtige Freunde.«

      »Unter denen ein gewisser Doctor Bergmann obenan steht,« versetzte Renate, dem alten Herrn mit einem dankbaren Lächeln die Hand reichend.

      »Nun ja, Sie mögen nicht so ganz Unrecht haben,« entgegnete der Doctor, indem er die dargebotene Hand mit aller Kraft drückte, und auf Renatens schmerzhaftes Zucken ein väterliches: »Bitte um Verzeihung!« folgen ließ. »Aber wirklich, ich bin nicht gekommen, um Sie trübe zu stimmen oder großartige Elogen mit Ihnen auszutauschen - sagen Sie mir, wohin wollen Sie noch, trotz aller Nacht und Kälte, fahren?« fragte er plötzlich im Geschäftstone und sein rundes Kinn wieder auf den goldenen Knopf stützend.

      »Zur Gräfin Clotilde.«

      »Die Gräfin Clotilde kann Sie auf einen andern Abend einladen.«

      »Aber warum denn, lieber Herr Doctor?«

      »Weil Sie heute Abend nicht hinfahren werden.«

      »Darf ich nach dem Grund fragen?«

      »Gewiß, gewiß, mein liebes Kind; weil Sie mit mir fahren müssen, oder ich vielmehr mit Ihnen, denn ich bin zu Fuße hergelaufen. Ich hatte nämlich keine Zeit, vorher nach Hause zu gehen und anspannen zu lassen.«

      »Und wohin, wenn ich fragen darf?« erwiderte die Gräfin keineswegs überrascht, jedoch mit einem hohen Grade von Spannung und natürlicher Neugierde sich dem Doctor zuneigend.

      »Dahin, wohin Sie und ich gehören - ich meine, in die Wohnung des unverschuldeten Elends. Also beeilen Sie sich, mein liebes Kind, wickeln Sie sich warm ein, denn draußen ist es malitiös kalt, und dann vorwärts!«

      »Solch strengem Befehle gegenüber läßt sich allerdings nichts ausrichten,« versetzte die Gräfin, sich mit der größten Bereitwilligkeit erhebend, welchem Beispiele der Doctor, in der einen Hand den Hut, in der andern den Stock, augenblicklich folgte. »Aber behalten Sie Platz, Herr Doctor, so schnell geht das nicht,« fügte sie mit herzlicher Freundlichkeit hinzu: »erstens muß ich absagen lassen ...«

      »Schicken Sie einen Bedienten hin, liebes Kind.«

      »Nein, das geht nicht,« entgegnete die Gräfin, zu ihrem Schreibtische hineilend. »Ich weiß wohl, Sie lieben die Gräfin Clotilde nicht sehr ...«

      »Nein, wahrhaftig nicht!« rief der Doctor aus, indem er sich in Bewegung setzte und mit eiligen Schritten und seinen Stock fest auf die den Schall dämpfenden Teppiche aufstoßend das Gemach zu durchmessen begann.

      »Nun, wenn Sie die Gräfin auch nicht lieben, so darf das für mich doch kein Grund sein, mir eine Unhöflichkeit zu Schulden kommen zu lassen.«

      »Gewiß nicht, mein liebes Kind,« pflichtete der Doctor mürrisch bei.

      »Uebrigens thun Sie der Gräfin sowohl als auch ihrem Bruder großes Unrecht, denn Beide haben mir mehr als einmal die untrüglichsten Beweise ihrer wahrhaft freundschaftlichen Gesinnungen und Anhänglichkeit gegeben.«

      »Wir wissen auch, warum,« grollte der Doctor, seinen Stock während des Gehens heftiger aufstoßend. »Eine reiche Erbin findet man nicht alle Tage - Tausend Welt! - und ein so schönes Mädchen dazu. Denke aber, mit dabei zu sein. Hm, ja, es ist niederträchtig!«

      Die Gräfin achtete nicht auf die halblaut gesprochenen Worte; sie hatte zu schreiben begonnen. Sobald Sie den kurzen Brief beendigt und zugesiegelt hatte, drückte sie mit dem Zeigefinger auf eine vor ihr stehende Glocke, auf deren silberreinen Klang sogleich ein Diener erschien.

      »Tragen Sie den Brief zu der Gräfin Clotilde,« sagte sie mehr bittend als befehlend. »Verstehen Sie mich auch recht; geben Sie den Brief ab, ohne auf Antwort zu harren. Bestellen Sie im Vorbeigehen, daß der Wagen vorfahre, und lassen Sie noch einen zweiten Fußsack hineinlegen.«

      »Sehr gut, mein liebes Kind,« bemerkte der Doctor, sobald die Thür sich hinter dem Diener geschlossen hatte. »Aber legen Sie festes Schuhzeug an, wir werden wohl eine Strecke zu Fuß gehen müssen.«

      »Zu Fuße?« fragte die Gräfin befremdet.

      »Ja, zu Fuße,« entgegnete der Doctor entschieden. »Seien Sie indessen unbesorgt; erstens bin ich bei Ihnen, und dann ist die frische Nachtluft Ihnen auch nur gesund.«

      »Muß ich etwas Geld mitnehmen?« fragte die Gräfin mit bezauberndem, kindlich-folgsamem Wesen zurück.

      »Ein paar Thaler können nicht schaden, denn das meinige habe ich bis auf den letzten Pfennig ausgegeben. Besser ist aber noch etwas Wäsche, und vor allen Dingen eine oder zwei wollene Decken.«

      Die Gräfin verschwand in ein Nebengemach; der Doctor dagegen begann von Neuem mit vergrößerter Hast auf und ab zu schreiten, mit verstärkter Heftigkeit seinen Stock auf den weichen Teppich zu stoßen oder flötenartig an seine Lippen zu bringen und, wie um das Versäumte nachzuholen, häufiger seiner Tabaksdose zuzusprechen.

      Aber auch sein Geist schien noch reger geworden zu sein, denn in schnellerer Folge entwanden sich die in laute Worte gekleideten Gedanken seinen Lippen.

      »Hm, ein prächtiges Mädchen,« sprach er vor sich hin, und seine Blicke streiften gleichgültig die reiche und geschmackvolle Einrichtung des Gemaches. »Gerade wie ihre Mutter - habe die gute Frau in meinen jungen Jahren mehr geliebt, wie meine Alte vielleicht gutgeheißen hätte - schadet aber nicht, sie verdiente auch Liebe, und ihr einziges Kind verdient sie auch - Tausend Welt, das Mädchen ist mir an's Herz gewachsen! Hm, und so brav und edel, so vertrauensvoll - thut Alles, was ich sage - sie kann's aber auch, denn lieber ließ ich mir den Kopf amputiren, ehe ich ihr einen schlechten Rath ertheilte! Huh, diese Gräfin Clotilde und ihr sauberer Bruder! Wollen mir das Kind umstricken - aber ich passe auf - Tausend Welt noch einmal! Im Gutesthun veredelt sich das Gemüth, und an Gelegenheit lasse ich es ihr