Der Meerkönig. Balduin Möllhausen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Balduin Möllhausen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754176504
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Riemens eine hölzerne Klinke emporzog, worauf eine in allen Fugen bewegliche Thür knarrend nach innen wich und den Eingang offen legte.

      Wer indessen, sei es nun aus Neugierde oder aus edleren Gefühlen, um fremdes Unglück kennen zu lernen, auf der morschen Schwelle angekommen wäre, der würde unwillkürlich gezögert haben, einzutreten, so ergreifend und zugleich zurückschreckend war der Anblick, der sich ihm bot.

      Zwar brannte auf dem kleinen Feuerherd, der zugleich die Stelle des Ofens vertrat, ein helles, von frisch gespaltenem Holze genährtes Feuer, eine erträgliche Wärme in dem Gemach verbreitend; zwar lag neben dem Herde auf den halb vermoderten Dielen noch Holz genug, um das Feuer vierundzwanzig Stunden hindurch in derselben verschwenderischen Weise brennend zu erhalten, doch schwächte dies in Nichts den Eindruck ab, welchem ein fremder Beobachter bei der Wahrnehmung des übrigen Elends unterworfen gewesen wäre. Denn nicht nur war durch den plötzlichen Zusammenstoß der Wärme und der eisigen Kälte, in Folge dessen sich die Eiskrystalle auf den Wänden und der Decke in große Wassertropfen verwandelten, die Luft noch schwerer und ungesunder geworden, sondern auch der Mangel jeglichen Hausgeräthes, auch des allernothwendigsten, bewies, daß das Elend in seiner schrecklichsten Gestalt an diesem Orte seine Wohnung aufgeschlagen habe und man mit der Vorsehung hätte rechten mögen, daß menschlichen Wesen eine solche Stätte zum Aufenthalt dienen durfte. -

      Vor dem niedrigen Herde stand ein Kind, ein Mädchen von etwa neun Jahren, ämsig damit beschäftigt, das Feuer zu schüren und zugleich den Inhalt eines neuen blechernen Kesselchens, welches mittelst einer von dem bleigefaßten Fenster losgebrochenen dünnen eisernen Stange über den Flammen befestigt worden war, zu überwachen.

      Neben dem Feuer lagen mehrere Weißbrödchen, augenscheinlich dazu bestimmt, in die warme Milch gebrockt zu werden; doch hatte das Kind seinen Hunger nicht so lange zu bewältigen vermocht, und mit einer Mitleid erregenden Gier aß es von einem der Brödchen, welches es selbst während der Arbeit nicht aus der Hand legte.

      Das arme Kind schien sehr, sehr hungrig zu sein. Wie viel Hunger und Kälte es aber in seinem zarten Alter schon erduldet hatte, das bezeugten die tief in ihre Höhlen zurückgesunkenen Augen, die bleiche, kränkliche Farbe der eingefallenen Wangen und vor Allem die schreckliche Hagerkeit der kleinen Glieder, die überall aus der den schmächtigen Körper nur theilweise verbergenden Lumpenhülle hervorlugten.

      Kaum zwei Schritte von dem Feuer entfernt, auf einem Lager von dumpfigem Stroh und bedeckt mit einer Anhäufung von Lumpen, aus deren Form oder Farbe nicht mehr zu erkennen war, zu was sie ursprünglich bestimmt gewesen, lag die Mutter des Kindes.

      Was bei dem Kinde zum tiefsten Mitleid hinriß und seiner Jugend wegen ein Gefühl schmerzlicher Rührung erweckte, das steigerte sich beim Anblicke der elenden, von schwerer Krankheit heimgesuchten Frau zu einer wahren Herzensangst, wenn man in deren matt glänzenden Augen noch immer den Ausdruck mütterlicher Liebe und Schmerzes las, mit welchem sie, trotzdem sie ihre Worte an eine andere Person richtete, die Bewegungen der stillen, gegen äußere Eindrücke fast abgestumpften Tochter verfolgte.

      Die Lage des siechen Körpers entdeckte man kaum unter der Lumpenanhäufung; dagegen gewahrte man deutlicher, daß er, geschüttelt vor Fieberfrost und Kälte, heftig bebte und zuckte. Sonst erblickte man nur das hagere, geisterbleiche Antlitz mit dem wirren braunen Haar, den schmalen, bläulichen Lippen und den halb flehenden, halb trotzigen großen Augen.

      An einen alten, dreibeinigen Tisch gelehnt, das einzige Hausgeräth, welches in dem höhlenähnlichen Gemache vorhanden war, und halb auf demselben sitzend, stand der Mann der Unglücklichen.

      Verhältnißmäßig wohl gekleidet, wie er war, schien er nicht hierher zu gehören; dagegen lag in dem finsteren Blick der unter den buschigen, über der Nase in eine dicke Falte zusammengezogenen Brauen hervorlugenden Augen ein Ausdruck, der darauf hindeutete, daß er sich hier als Herr fühle und das Bewußtsein hege, nach Willkür über die außer ihm noch in dem Gemache befindlichen Geschöpfe verfügen zu können.

      Sein Gesicht war knochig, doch nichts weniger, als von Noth und Entbehrungen gezeichnet. Es hätte vielleicht hübsch genannt werden können, wenn nicht eben wilde Entschlossenheit und brutale Gleichgültigkeit so scharf auf demselben ausgeprägt gewesen wären und die wulstigen, von einem stattlichen Schnurrbarte beschatteten Lippen und der ungewöhnlich weit vorstehende Unterkiefer der ganzen Physiognomie den Charakter gefährlicher Leidenschaftlichkeit und sittlicher Verderbtheit verliehen hätten.

      Ein abgetragener, tief über die Stirne gezogener Hut erhöhte das Finstere seiner Züge; ein weiter Paletot hing lose um die breiten, kraftvollen Schultern und verbarg auf diese Weise seinen übrigen Anzug bis auf den untersten Theil der hellgrauen Beinkleider, die, offenbar ursprünglich nicht für ihn bestimmt und angefertigt, mittels schmaler Sprungriemen unter den schief getretenen Stiefeln sehr straff befestigt waren. In den Händen hielt er nachlässig eine kurze Pfeife mit silberbeschlagenem Maserkopf, und daß es ihm nicht an dem entsprechenden Tabak fehle, bewiesen die fettig glänzenden, grünen Schnüre eines Tabaksbeutels, die lang aus der einen, dick aufgebauschten Tasche seines Paletots niederhingen.

      Augenscheinlich hatte er längere Zeit mit brutaler, fast thierischer Gleichgültigkeit auf die bitteren Klagen und Vorwürfe derjenigen hingehört, die er seine Frau nannte. Als dieselbe dann endlich vor Erschöpfung und Fieberkälte nicht weiter zu sprechen vermochte, wendete er seine Blicke mit Unheil verkündender Ruhe auf sie hin.

      »Hoffentlich bist Du jetzt zu Ende mit Deinen Klageliedern, die Dir doch zu nichts helfen,« begann er, indem er die Pfeife an seine Lippen führte, sie jedoch, weil sie leer war, sogleich mit einer ungeduldigen Geberde niedersinken ließ; »bin ich vielleicht besser daran? Nein, viel schlechter; denn dort habt Ihr Euren Kessel Milch, den Ihr ungestört verzehren könnt, während ich mit Pfeife und Tabak hier stehe, ohne rauchen zu dürfen.«

      »Aber der Doctor, was soll er von uns denken, wenn er bei seinem Eintritt den Tabak riecht?« fragte die unglückliche Frau mit dumpfer Stimme.

      »Hole der Teufel den Doctor,« entgegnete der Mann zornig, »und Euch dazu, daß Ihr mir solche Leute auf den Hals zieht!«

      »Dies sagst Du zu Deinem hungernden Kinde? Hättest Du für Brod gesorgt, würde das Kind nicht gezwungen gewesen sein, den fremden Herrn um eine Gabe anzusprechen, und daß derselbe das arme, vor Kälte und Hunger bebende Geschöpf bis in seine Wohnung begleitete, ist doch nicht unsere Schuld. Und welch ein Segen war es, daß er es hat,« fügte sie mit milderem Ausdrucke hinzu; »o, die Wärme thut so wohl, und nun gar noch die Aussicht auf die warme Milch! Sieh doch Riekchen, wie es ihr schmeckt; Du hast in Deinem Leben noch keinen Hunger gelitten, oder Du würdest besser für Brod sorgen.«

      »Sorge für Brod, wenn der Verdienst schlecht ist und die Lebensmittel mit jedem Tage theurer werden!«

      »Und dennoch kann Dein Verdienst nicht gering sein, wenn er Dir die Mittel giebt, in den Kellern Fleisch zu essen, Bier und Branntwein zu trinken und Karten zu spielen.«

      Der Mann stieß als Antwort ein dumpfes Lachen aus.

      »Sage mir wenigstens, wie Du Dein Geld verdienst und verdienen willst, und ich bitte den gütigen Herrn, daß er Dir Arbeit verschafft.«

      Der Mann lachte wieder unheimlich; plötzlich aber färbte sich sein Gesicht braunroth und heftig rief er:

      »Weib, was kümmert's Dich, wo ich mein Geld hernehme, seit Du auf dem Rücken liegst und selbst nichts verdienst? Aber merke Dir's, der Doctor braucht gar nicht zu wissen, daß Du noch einen Mann hast! Hörst Du, Rieke?« rief er darauf dem erschreckt zusammenfahrenden Mädchen zu, »wenn der fremde Herr Dich nach Deinem Vater fragt, so sagst Du, der sei seit Jahren todt; verstanden?«

      Das Kind nickte ängstlich.

      »Machst Du Deine Sache gut, bringe ich Dir ein neues Halstuch und ein Paar Strümpfe mit,« fügte er darauf mit milderem Ausdruck hinzu, und dann richtete er seine Worte wieder an die kranke Frau:

      »Also Dein Mann ist seit Jahren todt, vergiß das nicht, es wird Dir's doppelt einbringen.«

      »Damit Du es uns wieder nehmen kannst.«

      »Schweig!«