Kandenberg-Alt Schmiede. Johannes Irmscher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Irmscher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754175903
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ja spendierfreudige Eltern hatte, war das kein Problem.

      Gestern war sie jedoch trotzdem bei der Bank gewesen, denn in den Bars konnte man selten mit Karte zahlen. Auch wenn sie jetzt genug Scheine einstecken hatte, vermutete sie, auch heute den Überblick zu verlieren. Aber das hätte andere, schönere Gründe.

      Der entfernte Bankautomat hatte ein Loch zurückgelassen, die Scheiben waren mit Schriftzügen bemalt. Unter dem zurückgelassenen Plakat des bausparvertragverkaufenwollenden Mannes mit schmaler Krawatte und Hitlerbärtchen hatte sich der „jewdestroyer69“ mit einem Hakenkreuz verewigt. Elif sprach den Terrier darauf an und beide wunderten sich, dass dies stehen bleiben durfte, aber der Heiratsantrag von vorheriger Woche schon penibel entfernt wurden war.

      Terrier, der dachte, dass Kalendersprüche einen schlau wirken lassen, sagte: „Tja Hass schlägt halt Liebe.“

      Und zwischen alledem steht das Geld. Die Buchstaben der Bank waren noch klar zu erkennen.

      Die Etage darüber stand leer. Ganz oben war ein Fitnessstudio von einer kleinen Kette, die in einer Studentenstadt keine Kunden hatte, da man sich drei Jahre binden musste. Die meisten jungen Menschen wussten noch gar nicht, was sie wollten.

      Der Terrier war froh, dass er seine Fitnessclubmitgliedschaft in Kandenberg schon vor dem Studium hatte. Aber die Muskeln bringen nichts, wenn die Augen einem Streiche spielen.

      Elif und er warteten auf Astra und Lion, sie schauten in die Richtung, aus der sie kommen würden. Und in der Zeit kamen andere Gruppen vorbei, hauptsächlich Jungs.

      Der Terrier machte sich Sorgen, dass sie Elif und ihn anmachen würden. Er konnte ihre Gesichter nicht sehen, wusste nicht, wie sie drauf waren. Er musste sich etwas ausdenken. Ins Dunkle deuten. Wenn sie dann da waren, erkannte er, dass sie kleiner waren als er und, dass es sowieso nie eine Gefahr gab.

      Einige von denen waren nicht nur kleiner als er, sondern auch kleiner als Elif. Elif war eine von den jungen Frauen, die größer wirkten, als sie eigentlich waren. Erst wenn man sich neben sie stellte, merkte man den Schwindel? Den Trugschluss?

      Während sie auf ihre Freunde warteten, gingen Elif und dem Terrier allmählich die Gesprächsthemen aus. Elif stellte lieber persönliche Fragen, aber der Terrier wollte diese nicht beantworten. Hätte er Elif persönliche Fragen gestellt, hätte sie diese gerne beantwortet, aber er tat es nicht.

      Ihnen zur Rettung kamen Lion und Astra. Sie waren schon an dem Eingang der Volkssolidarität vorbei, als Terrier sie erkannte.

      Lion machte seinen Namen alle Ehre. Als Mähne trug er einen Vollbart, der den Terrier neidisch machte. Lion war über 1,90 m groß und ein geborenes Schwergewicht. Er begrüßt erst Elif und dann Terrier. Seine Augen strahlten und er konnte seine Vorfreude auf den heutigen Abend überhaupt nicht verbergen. Während der Begrüßung schien es, als würde Astra, wie ein Welpe um sie herumspringen, wartend, bis er an der Reihe war. Astra war kleiner als Elif und ein Typ der Sorte, die unironisch Fischerhüte und Bauchtaschen trugen. Naja, zumindest halbironisch. Er wusste schon, dass der Hut ziemlich dämlich aussah aber gerade das mochte er.

      Sie wollten sich in Bewegung setzen, als Lion begann zu reden: „Ihr glaubt nicht, was uns gerade passiert ist. Ihr kennt doch den Park bei uns. Wo seit der neu ist die Obdachlosen sitzen. Jedenfalls hat die Stadt da so Fitnessgeräte hingestellt. So Airwalker, Legpressen, Armrotationsachen. So was halt. Und dann turnen die da ja immer drauf rum, während ihre Hunde bellen und mitspielen wollen. Da bricht auf einmal der Hebel von dem einen Gerät ab und ein Hund, so ein Großer. Hier Schatz du kennst dich doch mit Hunden aus. Was war das? Ein Rottweilermischling. Jedenfalls nimmt der den Hebel, beißt in diesen Gummibezug und hebt das ganz Teil hoch. Rennt damit weg. Quer über den Basketballplatz und die Wiese. An sich ja kein großes Problem, um die Uhrzeit ist ja niemand mehr da. Aber dann beginnen die anderen Hunde den Rottweiler nachzujagen und irgendwann auch die Leutchen. Aber der lässt sich nicht jagen oder zumindest nicht erwischen. Rennt die Gasse hoch und donnert mit dem Metallteil durch zwei parkende Autos durch.“ Lions tiefe Stimme klang, als würde man zwei große Steine unterschiedlichen Materials gegeneinanderschlagen und reiben.

      „Und dann gingen die Alarmanlagen los. Ich glaube, das war das erste Mal, dass ich Alarmanlagen in Reallife gehört habe. Bisher nur im Film“, führte Astra weiter.

      „Was ist dann passiert?“, fragte Terrier

      „Habt ihr die Polizei gerufen?“

      „Die hätten eure Zeugenaussage bestimmt gebraucht.“

      „Ne, wir müssen gestehen, dass wir einfach weitergegangen sind. So im Nachhinein denkt man sich schon, es wäre gut gewesen zu warten. Aber naja, was soll´s? Jetzt kann man nichts mehr machen.“

      Jetzt, da das Wichtigste geklärt war, ging die Gruppe doch los. Astra sprang über eine der Bänke. An der Ampel mussten sie wieder warten. Wenn andere dabei waren, hielt sich auch Elif an die Regeln. Es mussten halt die Richtigen sein. Sie gingen zu der Seitenstraße. Ein Torbogen vom Weihnachtsmarkt war noch nicht weggeräumt. Als sie unter den Bogen, an dem durch Metallgitter gezogene Lichterketten in blau, rot und weiß leuchteten, hindurch gingen, ließen sie den Fastnazigrößenplatz hinter sich.

      Astra fragte sich und die Gruppe, ob der Torbogen und die Weihnachtskränze an den Laternen es gut oder schlecht finden würden, dass sie noch nicht weggeräumt waren. Freuten sie sich, da sie noch weitere Tage an der frischen Luft zubringen durften und sogar das Glück gehabt hatten, dem schönen Silvesterfeuerwerk zuzuschauen? Oder vermissten sie ihre Kameraden, mit denen sie gemeinsam Kandenberg in ein Winterzauberland verwandeln können und die jetzt wahrscheinlich schon in einer warmen Halle am Nordpol gelagert waren?

      „Ist das Silvesterfeuerwerk hier wirklich schön? Ich habe es noch nie gesehen. Zu der Zeit bin ich immer zuhause“, sagte Elif.

      „Ich habe es auch noch nie gesehen. Aber du warst doch einmal hiergeblieben, oder?“, wendete sich Lion an Astra.

      „Yes, das war mein erstes Jahr in Kandenberg und ich konnte nicht in die Heimat, weil ... Und dann bin ich halt auf den Markt gegangen. Es war schon okay“

      „Der Torbogen kennt ja auch keine anderen Silvesterfeuerwerke. Er steht nur hier in Kandenberg. Als ganz kleines Kind war ich mit meinen Eltern mal zu Silvester in der Stadthalle feiern, da gab es den Torbogen auch schon. Er wird wohl oft vergessen. Und solange seine Freunde am Nordpol nicht viel weiter herumkommen als er, werden diese auch nur das Kandenberger Spektakel kennen. Also werden sie es schön finden, denn sie wissen ja nicht, dass es Schöneres gibt“, sagte der Terrier.

      Die Gruppe war heute nicht wirklich auf der Suche nach dem Schönsten. Die beliebten Bars ließen sie links liegen. Sie kannten ihr Ziel und genossen trotzdem den Weg durch die erste Kneipengasse. Sie liefen auch an der Schlippe vorbei, die man von Elifs Balkon aus sehen konnte. An diesem Samstagabend war für eine Studentenstadt ziemlich viel los. Wenn man bedenkt, dass die meisten Studenten in der Woche feierten und am Wochenende nachhause fuhren. Vor den Türen der Lokale standen einige Gruppen und rauchten. Das Klientel war älter als sonst. Wenn man durch die Scheiben sah, konnte man erkennen, dass viele Tische belegt waren. Die Vier gingen weiter, bis zum Ende der Straße. Da hier keine Autos fuhren, auch manchmal in der Mitte der Fahrbahn. Am Ende des Weges bogen sie nach links ab.

      Der Weg war sehr schmal, passend zum restlichen Ambiente bestand auch der Boden aus Kopfsteinpflastersteinen. An beiden Seiten erhob sich eine gut zwei Meter hohe Mauer und engte den Weg weiter ein. Die Gruppe wartete und ließ drei Mädchen vorbei. Die hatten mit ihren hohen Schuhen nicht nur Probleme auf dem Belag, sondern auch blaue Lippen.

      „Wenn man so aufgetakelt ist, könnte man sich auch ein Taxi zum Club nehmen“, sagte Elif, die sich von den Mädchen dahingehend unterschied, dass sie eine Hose und flache Schuhe immer dem Kleid vorziehen würde.

      Da der Weg enger wurde, konnten sie nicht mehr alle nebeneinander laufen, sie bildeten Paare.

      Lion ging mit Elif voran, Terrier und Astra dahinter. Als der Weg sich wieder öffnete, sahen sie den Dom von Kandenberg. Der Domplatz war drei-, viermal so groß wie der Platz mit der verlassenen Bank.

      An