Kandenberg-Alt Schmiede. Johannes Irmscher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Irmscher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754175903
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Sauna und dementsprechend rutschig wurden die weiß-schwarzen Fliesen. Elif hob das Bein. Sie stieg mit ihrem Fuß auf das Handtuch am Boden. Da die Dusche nicht eben war und einen sehr hohen Einstieg hatte, war der zweite Schritt der gefährlichste. Doch gekonnt und geübt hob sie auch das rechte Bein. Mit einem Handtuch aus ihrem Riminiurlaub trocknete sich Elif ab. Darin eingewickelt öffnete sie vorsichtig die Badtür. Davor saß Theodor Tatze, der Kater ihrer Mitbewohnerin. Er wedelte mit dem Schwanz und schob sich miauend um die Beine von Elif. Die vergewisserte sich, dass Hanna mit ihrem Freund auf ihrem Zimmer war, bevor sie den Flur runter flitzte.

      Elifs Zimmer war dreimal so groß, wie die ganze Bude des Terriers. Nun bildeten achtundvierzig Quadratmeter keine Luxuswohnung im eigentlichen Sinne, in Kandenberg war das aber trotzdem kaum zu bezahlen. Deshalb war Elif froh, spendierfreudige Eltern zu haben.

      Ihr Fenster zeigte hinaus zur Einkaufspassage. An den Straßenlaternen hingen Weihnachtskränze. Ein paar Nadeln fielen bereits ab. Sie wurden nicht mehr vom Kleber gehalten. Vor dem Fenster stand ihr Schreibtisch. Einen Stuhl hatte und brauchte sie nicht. Sie stand gerne beim Lernen und Arbeiten. „Das sei gut für den Rücken“, sagte sie immer. Sie nahm das Handtuch ab und legte es über den Sessel vor ihrem Fernseher. Hanna und sie hatten auch eine Couch, aber die stand vor dem großen Fernseher im Wohnzimmer.

      Sie schaute noch einmal auf ihren Schreibtisch. In der Mitte lag ihr MacBook, rechts daneben stand ein Drucker und links waren in Fächern Ordner verstaut. Stifte hatte sie auf ihren Schreibtisch keine. Sie strich sich mit der Hand über ihren unteren Rücken und spürte wie die Muskelstränge ein Tal bildeten. Die Verstellmechanismen des Schreibtischs funktionierten bestimmt gar nicht mehr.

      Elif wollte sich gerade eincremen, da miaute es wieder hinter ihr. Für sie blöderweise, hatte ihre Zimmertür Milchglas in der Mitte. Stand man im Flur, konnte man ihre Umrisse schemenhaft erkennen. Stand man wie sie, in ihrem Zimmer, konnte man erkennen, wie Theodor Tatze vor der Tür wartete. Elif öffnete die seitlich angebrachte Katzenklappe. Der Kater sprang auf das Bett.

      Elif machte mit ihrem Handy Musik an, um die Kratzgeräusche von Hanna zu übertönen. „Deutschrap Klassik“ hörte sie da viel lieber. Theodor schien es da ähnlich zu gehen, er kringelte sich auf dem Kopfkissen ein, machte die Augen zu. Elif konnte sich nun ungestört umziehen. Dann setzte sie sich noch kurz zu dem schlafenden Tier.

      „Theodor, kann ich so gehen?“, fragte Elif.

      Theodor antwortete nicht, da er vom Ausgehen keine Ahnung hatte und ihm der rote Pullover nicht gefiel. Seine Freiheit endete auf dem großen Balkon an der Küche.

      Die Küche war ein länglicher Raum, ohne Sitzmöglichkeiten. Elif, Hanna und deren Freund Mark aßen bei schönem Wetter auf dem Balkon. Ansonsten vor dem großen Fernseher im Wohnzimmer. Elif kramte etwas aus ihrer Jackentasche. In ihrem Zimmer hatte sie einen Hutständer zu einer Jackengarderobe umfunktioniert. Hanna und sie gingen an den Wochenenden gerne auf Flohmärkte. Hinter der Polizeistation gab es eine große Halle. Früher gehörte sie der Schuhfabrik von Kandenberg, doch die war schon vor der Jahrtausendwende pleite gegangen. Dann stand die Halle lange leer und wurde erst 2013 restauriert. Nun fanden dort verschiedene Veranstaltungen statt, unter anderem auch Flohmärkte. Hanna und Elif waren schon ein paar Mal dort gewesen und wussten nicht, dass es eine ehemalige Schuhfabrik war. Der Schriftzug aus Eisenlettern über dem mächtigen Torbogen war entfernt wurden. Da sie beide nicht aus Kandenberg kamen, kannten sie die alten Geschichten nicht und deuteten die ungesagten Worte um. Erst ein Instagrampost der Stadt hatte sie darauf aufmerksam gemacht. An dem Tag, an dem Elif den Hutständer gekauft hatte, wurden sie das erste Mal von Mark begleitet. Der bekam dann auch gleich die Aufgabe, den schweren Gegenstand in die Wohnung zu tragen. Einwände hatte er keine. Die Felljacke, aus der Elif gerade ihre Zigarettenschachtel zog, hatte sie auch dort gekauft. Das war allerdings ein spezieller Flohmarkttag gewesen. Auf den Tischen waren nur Frauenkleider ausgelegt. Elif konnte sich noch erinnern, dass Mark, als Begleitung von Hanna, der so ziemlich einzige Mann in der ehemaligen Schuhfabrik gewesen war. Damals hatten sie auch ein Foto gemacht und an das Korkbrett im Flur gehangen. Elif öffnete ihre Milchglaszimmertür und ging an diesem Brett vorbei. Theodor Tatze hob den Kopf und sprang vom Bett hinunter, er folgte seiner Mitbewohnerin und blieb vor dem Brett stehen. Der Kater interessierte sich nur für die vielen Bilder, den Putzplan ließ er unbeachtet. Eigentlich alle Bilder zeigten lachende junge Menschen, fast immer mit Flaschen, Bechern oder Gläsern in der Hand. Häufig hatten die feiernden Studenten auch Partyhüte auf. Ein Bild zeigte den Terrier, wie er Mark und Elif Huckepack nahm.

      Das Bild war vor dem Podest des Studentenwohnheimes aufgenommen wurden. Alle drei lachten. Elif an der Spitze hielt sich an einem Fahnenmast fest. Theodor Tatze mochte das Bild. Schnurrend drehte er sich um und sah, dass Elif bereits die Küche durchschritten hatte. In dem Moment, in dem sie die Balkontür öffnete, öffnete sich auch die Zimmertür von Hanna und Elifs Mitbewohnerin schlüpfte ins Bad. Die Katze gesellte sich zu Elif. Die setzte sich auf einen der vier Plastikstühle.

      Der Tisch war aus Holz, der Balkon aus Beton. Man konnte auf einen Innenhof schauen. An einer Wäschespinne hatte jemand seine Bettlaken vergessen. Sie leuchteten weiß. Elif legte ihren Arm auf die Brüstung, ihr Blick wanderte über die alten Häuser, den mit Kopfsteinen gepflasterten Innenhof, hinzu zu einer Lücke. Links und rechts standen zwei Fachwerkhäuser mit weißen Giebeln und verspielten Fenstern. In der Mitte befand sich eine Garage, die kleiner war als die Häuser und einen Blick auf die Kneipengasse frei gab. Eine Bar reihte sich an die andere. Kandenberg hatte zwei von diesen Gassen. Elif würde heute in die andere gehen. Sie wollte sich gerade eine Zigarette aus ihrer Schachtel ziehen, da öffnete sich die Balkontür wieder. Mark schob das Fliegengitter beiseite und setzte sich Elif gegenüber. Theodor Tatze sprang auf seinen Schoß. Auch wenn es nicht den Anschein machte, so war Hanna der absolute Lieblingsmensch von Theodor.

      Er hatte sie sich quasi ausgesucht. Hanna war in einem Dorf an der Nordsee groß geworden. Ihr Kinderzimmerfenster ging zum Deich hinaus. Der Blick war weit, bis eines Tages eine Familie das Grundstück vor Hannas Elternhaus kaufte. Sie brachten Theodor Tatze mit. Das Tier durfte den ganzen Tag herumlaufen, aber wollte das nicht. In neun von zehn Fällen saß er vor der Haustür. Bibbernd auf die Klinke schauend. Der Schuhabtreter bot ihm nur geringen Schutz vor der Kälte. Dem Regen war er ausgesetzt. Hanna konnte sich das nicht gut ansehen. Häufig lockte sie den Kater auf das Grundstück ihrer Eltern, streichelte ihn lange. Ab und an gab sie ihm sogar ein Stückchen Leberwurst. Theodor lernte schnell, dass es auf der anderen Seite schöner war. Dann stritten sich seine Herrchen immer öfter und vergaßen ihn auch am Abend reinzulassen. Eine Katzenklappe gab es nicht, für ihn auch keine Seitliche. Das Pärchen trennte sich und sie zogen aus. Alleine konnten sie das Haus nicht finanzieren. Anscheinend konnten sie sich auch nicht bezüglich des Sorgerechts für Theodor Tatze einigen. Der hatte sich da allerdings schon aus dem Staub gemacht und bei Hanna eingenistet. Jetzt saß er bei ihrem Freund auf dem Schoß und beobachtete ihn argwöhnisch. Er passte auf seine Hanna auf. Zur Warnung holte er ein paar Mal die Krallen aus. Doch Mark war schon versorgt. Er hatte sich nur eine Strickjacke drüber geworfen. Der Hals war frei. Elif erkannte die roten Striemen auf der Haut. Sie beugte sich vor. Mit der Hand fuhr sie über die aufgekratzte Stelle.

      „Na, dafür wart ihr aber trotzdem ziemlich laut“, lachte Elif.

      Sie zog dann endlich ihre Zigarette aus der Verpackung.

      „Du kannst Eine von mir haben“, sagte sie zu Mark. Der war wegen ihrer Bemerkung so rot geworden, dass die Striemen nicht weiter auffielen. Er bedankte sich, war er doch auch nur für die Zigarette „Danach“ herausgekommen. Da es nicht sehr kalt war, verflog der Rauch schnell in der dunkelblauen Luft.

      „Du hast dich aber heute hübsch gemacht“, sagte er.

      Elif brauchte tatsächlich nur eine Jeans und einen engen Pulli um perfekt auszusehen.

      „Ach Dankeschön, wie lieb. Ich werde ja ganz rot“, scherzte sie.

      „Wann machst du los?“, fragte Mark.

      Elif schaut auf ihr Handy. Es war gerade 18:45 Uhr.

      „In einer halben Stunde“, sagte sie dann.

      Man hatte das Gefühl sie wollte