Kandenberg-Alt Schmiede. Johannes Irmscher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Irmscher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754175903
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Die WG redete über unverfängliche Themen, Elif schaute oft auf die Uhr. Sie hatte wirklich Lust auszugehen, aber die Zeit schien nicht verstreichen zu wollen. Dann klingelte es endlich und sie verabschiedete sich von Mark und Hanna.

      Der Treppenaufgang ihrer Wohnung war leicht verwirrend. Zunächst musste man einen langen L-förmigen Flur hinunter gehen. Eine neue Treppe führte dann zwei Stockwerke hinab. Und dann musste man diesen Weg noch einmal andersherum gehen. Elif ging an einem Fenster vorbei, das wieder auf den Innenhof zeigte und bemerkte eine rote Pflanze auf dem Fensterbrett. Auch wenn Elif meilenweit davon entfernt war Biologie zu studieren, erkannte sie den Weihnachtsstern. Sie wunderte sich, da dieser ihres Wissens, eine teure Pflanze war, der allein im Flur nicht stehen sollte. Wertvolle Sachen waren doch selten allein. Elif hatte beinahe vergessen, dass der Terrier unten auf sie wartete, so schön fand sie die roten und grünen Blätter.

      „Ich habe mal ein bisschen den Flur geschmückt. Ich fand ihn zu grau und gerade jetzt in der dunklen Jahreszeit tut so ein Farbtupfer ziemlich gut, nicht?“, sagte eine Frau, die gerade auf Elif zugelaufen kam.

      „Ah Hallo, Frau Trauricht, ja so sieht der Flur wirklich schöner aus. Aber ist so ein Weihnachtsstern nicht eine sehr sensible Pflanze. Hoffentlich geht sie hier nicht ein?“, fragte Elif.

      „Ich kenne mich mit Pflanzen doch sehr gut aus. Am Kaffeetisch habe ich gerade eine neue Orchidee hingestellt. Dabei fällt mir ein, dass ihr doch mal zu Kaffee und Kuchen vorbeikommen wolltet“, sagte Frau Trauricht.

      „Ja Frau Trauricht, das machen wir auch noch. Versprochen. Aber jetzt gerade ist schlecht, ich muss jetzt auch hinunter, weil da jemand auf mich wartet. Ich vergesse die Einladung nicht. Sie haben ja mal gesagt, dass sie und ihr Mann die besten Gärtner*innen in der Stadt waren, davon muss ich mich doch überzeugen“, lachte Elif.

      Luna Trauricht lachte auch. Es klang wie ein Taube. Sie war traurig. Jetzt hatte sie sich endlich mal getraut die nette Nachbarin zu fragen und sie hatte die zweite Einladung abgelehnt. Für Luna war das anstrengend gewesen. Sie war noch nie ein Mensch, der gut mit Menschen konnte. Manchmal sammelte man den Mut sinnlos.

      Ohne von Frau traurichts Gedanken zu erfahren, ging Elif zur Haustür. Kurz bevor sie die erreichte, öffnete Frau Balg von außen die Tür. Der Schlüssel klapperte noch im Schloss. An dem letzten Ring hing ein abgewetztes Stofftier. Die ältere Dame trug einen Getränkekasten. Elif sah, wie der Terrier hinter dem Rücken von Herrn Balg, der auch eine Kiste hatte, stand und nicht wusste, ob er helfen sollte.

      „Warten sie Frau Balg, wir können ihnen helfen“, sie winkte den Terrier zu sich, „sollen die Flaschen in den Keller?“

      Frau Balg blieb oben an der Treppe stehen und bedankte sich überschwänglich bei Elif und Terrier. Dann kam Frau Trauricht und sah, wie sich Elif und Frau Balg unterhielten.

      „Das sieht gut aus mit deinen Haaren, lass mich mal anfassen“, Elif strich, ohne Gegenwehr vom Terrier zuzulassen, über den kurzgeschorenen Kopf.

      Die beiden Studenten gingen nun gemeinsam die Einkaufsstraße entlang.

      „Wie geht es Hanna?“, erkundige sich Terrier.

      „Die macht sich mit Mark heute einen schönen Pärchenabend. Mittlerweile gehen sie ja fast gar nicht mehr raus. Wir waren dieses Jahr, also genau genommen letztes Jahr, nur einmal auf dem Weihnachtsmarkt. Kannst du dir das vorstellen? Hanna, die Nichtstuende? Früher waren wir ja eigentlich jeden Abend unterwegs. Aber jetzt, macht sie nur noch Sachen mit Mark. Wir kochen ja noch nicht einmal mehr zusammen. Wenigstens die Flohmärkte sind uns geblieben. Schau mal, was sagst du zu der Jacke? Kubanisches Zwergwachtelfell. Habe ich auf dem Flohmarkt hinter der Polizei gekauft. Hat mich nur fünf Euro gekostet. Ich habe die beiden ja gefragt, ob sie heute Abend mitkommen wollen, aber was habe ich denn auch erwartet. Ist ja schon erstaunlich, dass sie am Wochenende da sind. Ich wollte ja eigentlich auch nachhause fahren, musste dann aber heute früh noch etwas für die Hausarbeit machen. Was hast du heute so gemacht?“

      Elif und der Terrier waren jetzt ungefähr auf der Hälfte ihrer Strecke und mussten unter einem Baugerüst hindurchgehen. Da ihnen ein Pärchen entgegenkam, mussten sie voreinander laufen.

      Das gab Terrier Zeit um nachzudenken.

      „Ich bin gestern erst spät ins Bett gekommen und habe deshalb heute ziemlich lange geschlafen. Bin dann erst gegen zwei Uhr wachgeworden, weil Lion mich angerufen hat. Er hat gefragt, ob heute alles klappt. Dann habe ich mir Essen gemacht und bis jetzt gerade habe ich noch für die Uni gelernt“, log der Terrier.

      „Du bist aber auch wirklich ein Langschläfer. Was hast du dir zu Essen gemacht? Ich habe heute die selbstgemachten Reispuffer mit Brokkoliauflauf gegessen. Weißt du noch? Die, die dir immer so gut geschmeckt haben. Wenn du denn mal rechtzeitig genug wach geworden bist.“

      „Ach ich habe mir nur Nudeln gemacht, aber ja, die haben wirklich sehr gut geschmeckt, du bist eine Superköchin“, sagte Terrier und stolperte. Er konnte sich gerade so an Elifs Schulter festhalten.

      „Also das ist ja wirklich ein stumpfer Flirtversuch. So suchst du Nähe?“, scherzte Elif. Sie lachte nicht wie eine Taube.

      „Nein, hab ich nicht, wollte ich gar nicht. Bin gestolpert. Hier guck, die Kante.“

      „Alles gut. Ich kenne den Weg ja. Es ist doch mein Uniweg. Hier stolpere ich oft. Das Moos hebt die Platten sehr stark an. Wenn ich hier mit Musik laufe, dann stolpere ich eigentlich so gut wie immer. Guck mal hier die Kerbe. Da läuft man automatisch wie auf Eiern.“

      Jetzt waren sie am Ende der Einkaufsstraße angelangt und mussten wieder eine Kreuzung überqueren. Elif flitze noch schnell rüber. Terrier hingegen wartete als Rot wurde. Er fühlte sich erneut wie ein Trottel.

      Elif stand nun in der Mitte des gegenüberliegen Platzes. Der trug den Namen einer Größe des deutschen Reiches und würde spätestens in zehn Jahren umbenannt werden. Der Platz war mit einer Kunstfigur geschmückt. Man konnte nicht erkennen, was sie darstellte. Der graue Stein sah aber auch zu langweilig aus, als dass man sich die Mühe einer Deutung machen wollte. Um den Sockel, auf dem die Kunstfigur stand, waren mehrere im Kreis gebogenen Bänke, auf denen aber nie jemand saß. An den Füßen der Skulptur lag trotzdem Müll. Der Platz wurde von der langen Straße begrenzt, auf der Elif und der Terrier gerade gelaufen waren. Dann führte eine kleinere Straße zu der ersten Kneipengasse und bog man auf der Kreuzung ab und fuhr nicht gerade aus, so kam man zum Bahnhof von Kandenberg. Bei den anliegenden Häusern handelte es sich um eine verlassene Schule und um einen grauen Bürokomplex. Die unteren Räume der Schule wurden noch von der Volkssolidarität genutzt, trotzdem wirkte das Haus trist. Genau wie der Bürokomplex, passte es einfach nicht in das Gesamtbild der schönen Altstadt. Früher war in dem Bürokomplex noch eine Bank gewesen. Nicht so weit früher, dass nur Kandenberger oder Terrier sich daran erinnern konnten. Elif konnte sie, nach ihrem Umzug zum Studienbeginn, noch einen Monat lang nutzen. Dann wurde die Filiale geschlossen. Am Anfang stand noch ein Bankautomat vor der Tür.

      Elif achtete immer ganz penibel auf die Augen ihres Hintermannes, wenn sie ihren Code eingab.

      Sie kannte nach einmaligem Gespräch von jedem den Namen und hatte immer ein paar Fakten zu der Person parat. So wirkte sie immer supernett und kam schnell ins Gespräch, aber Zahlen waren ihr Feind. Den Pin ihrer Bankkarte konnte sie sich einfach nicht merken. Einmal wurde die Karte sogar eingezogen, da sie die Zahlen zu oft falsch eingegeben hatte. Dann hatte sie aber einen Stress gehabt, das brauchte sie kein zweites Mal. In der Konsequenz dieses Unglückes, entschied sie sich die Zahlen immer im Portmonee zu haben. Sie erinnerte sich noch daran, wie ihre Mutter sie immer davor gewarnt hatte. Aber bisher war noch nichts schief gegangen. Elif beruhigte sich damit, dass sie ja auch keinen Zettel, mit der Aufschrift „Pin für die Bankkarte“, in ihrer Geldbörse hatte. Die Zahlen hielt sie für geschickt versteckt. Das Kärtchen ihres Zahnarztes erinnerte sie an ihren Termin am 23.6 um 7 Uhr.

      Jetzt kam Elif allerdings auch gar nicht mehr so oft in die Verlegenheit, den Pin benutzen zu müssen. Den Bankautomaten am Platz gab es nicht mehr. Sie musste nun bis vor zum Bahnhof gehen, um Geld abzuheben. Als sie das erfuhr, entschied sie sich, mehr mit der Karte zu bezahlen. Deshalb