Aus dem kalten Schatten. Christine Bendik. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Bendik
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754173725
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schon auf Flynns kleine Chirurgen-Anekdoten aus dem Schönheitsbusiness und die größeren aus seinem turbulenten Junggesellenleben. Nein, halt: aus seinem Leben mit der neuen Flamme. Und auf sein Sorgen vertreibendes Lachen, ansteckend wie ein Grippevirus.

      Manhattan

      Montag

      Paul

      Er sollte in seinem Bürostuhl sitzen. Den Fall Suzan Wickles vom Schreibtisch aus verfolgen. Stattdessen schloss er sich in diesem Moment Craig und Ava Davi an und folgte ihnen hoch in den Umkleideraum. Etwas trieb ihn, was vermutlich sämtlicher Ratio entbehrte. Es war die Sorge um Jade, deren Leben, wie er wusste, irgendwie mit Suzans verstrickt gewesen war.

      Seine »Beauty«, so hatte er sie genannt. Lange her. Schön war sie zweifellos, mehr denn je, das Haar etwas dunkler, in Richtung Kastanienbraun. In gleichem Maße schien sie ihm selbstverliebt. Da waren neue Züge in ihrem Gesicht, die er nur mit ganz viel gutem Willen lieben könnte: Eitelkeit und eine gewisse Arroganz.

      Die meisten Abteilungen waren offen gehalten. Wie in einem Wespennest schwirrten die Menschen von einer Wabe zur anderen. Paul hatte Interessantes in Erfahrung gebracht. An die fünfzig feste Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bildeten das Basisteam dieser ganz besonderen Ateliers, in denen vom Entwurf über den Zuschnitt bis zur fertigen Kollektion alles unter einem Dach stattfand.

      »Ich arbeite mit zwei Designern zusammen«, hatte Ava berichtet. »Wir liefern die Entwürfe und kaufen die Stoffe ein.« Sie beschäftigte Fotografen und Modejournalisten und betrieb daneben die Agentur, die Models auch an die Konkurrenz vermittelte. Auf den ersten Blick ließ sie sich in die Kategorien »professionell« und »mitarbeiter- und kundenfreundlich« einsortieren. Auf den ersten Blick sah er bei ihr kein Motiv für Mord. Zwei Leute standen in seinem Fokus: Joe Wiseman und Margie Fox, jene zwei Menschen, die Suzan vermutlich zuletzt gesehen hatten.

      In der Umkleide reihten sich linker Hand acht Kabinen mit puderfarbenen Georgettevorhängen aneinander. An der gegenüberliegenden Wand befand sich ein Tisch, bestückt mit einer Lampe und mit Schneiderutensilien, einem Kleid mit Schleppe, lässig darübergeworfen, daneben ein Kreide-Saummarkierer. Unter dem Tisch ein Abfallkorb, gefüllt mit Seidenpapieren, Stoffresten, leeren Garnrollen und einer leeren Kaugummipackung, vermutlich von Suzan, die laut einigen Kollegen das klebrige Zeug im täglichen Dutzend verschlang. Nichts, was ermittlungstechnisch von Interesse sein dürfte.

      Nur flüchtig ging Paul das Kaugummimuster auf dem Boden des Hofes durch den Kopf. Er trat zu Craig ans offene Fenster. Es war das einzige in den schmucklosen verklinkerten Wänden, rund wie ein Bullauge, wie er aus der Hofperspektive bemerkt hatte. Es sorgte für das nötige Tageslicht in der Umkleide, wo diffizile Arbeiten stattfanden.

      Vorsichtig beugte er sich hinaus. Von hier aus ließ sich der Hof kaum einsehen: Eine betörende Duftmischung aus Noten von Honig, Rosenholz und Mandeln wehte zu ihm herüber. Er schaute auf die ausladende Krone des Jacarandas. Was darunter vor sich ging, blieb unliebsamen Blicken verborgen.

      Er wandte dem Baum den Rücken und lehnte sich gegen die Fensterbank, während Ava auf einem blauen Pouf Platz nahm. Eine atemlose Sekunde verging, bis Margie Fox ihren mächtigen Hintern auf einen zierlichen Klappstuhl gepflanzt hatte. Entgegen Pauls Befürchtung hielt der Stuhl dem Gewicht stand.

      »Sagen Sie, Mrs Fox: Wie gut kannten Sie Suzan Wickles?«

      Margie zuckte leicht zusammen, als sie ihren Namen hörte. Paul kannte diese Reaktion. Dahinter steckte die Angst, als Tatverdächtiger zu gelten.

      »Eine reine Routinefrage«, fügte er daher rasch an.

      »Nicht besser als andere Mädchen, auch wenn sie gern plapperte und Geschichten erzählte«, gab Margie nun zur Antwort. »Vor allem von ihren Schutzbefohlenen. Da blühte sie richtig auf. Das mit den Pennern war einfach ihr Ding. Sie lebte ja hier in New York und verbrachte viel Zeit mit denen, solange sie nicht unterwegs war.«

      »Mit den – Pennern?«

      »´Gemeinsam stark`. So heißt ihre Stiftung für Obdachlose.«

      »Davon hab ich gehört«, sagte Paul und Craig nickte eifrig dazu. »Aber ich wusste nicht, dass Suzan … Erstaunliches Engagement für eine so junge Person.« Jetzt wurde ihm klar, warum ihm so viele verhärmte Gesichter von Leuten mit abgetragenen Klamotten im Hof entgegengesehen hatten.

      Margie winkte genervt ab. »Sie lief praktisch nur noch mit der Spendendose herum. Hier das Mittwochstreffen, dort die Miete für passende Nachtlager – das alles frisst Geld. Sehr viel Geld. Und, ganz nebenbei, war das nicht gerade geschäftsfördernd für Ava.« Sie schien einen Moment nachzudenken. »Für manche griff sie dann schon mal tiefer in die eigene Tasche. Wissen Sie, was das Neueste war? Tierheim. Erst der klapprige Wagen für diese Laurie. Dann sollte ein Hund her. Zum Wohlfühlen und Liebhaben. Laurie hätte ja ach so viel durchgemacht. Vorhin hat das Tierheim hier angerufen, wegen des verstrichenen Abholtermins …«

      »Laurie – und wie weiter?« Craig hielt das Handy schon für die Notiz bereit.

      »Tut mir leid … Gehen Sie doch mal zu den Kaffeekränzchen. Sicher erfahren Sie da mehr.«

      Paul stellte weitere Fragen. Er erfuhr, dass Suzan das Modeln mit fünfzehn angefangen hatte, für einen Versandhauskatalog, und von da an von keinem »anständigen Beruf« mehr hatte etwas wissen wollen. Mit ihren alten Herrschaften hatte sie sich deshalb überworfen. »Lern lieber etwas Anständiges, modeln kannst du immer noch.« Die üblichen Sprüche besorgter Eltern. Doch in dem Job ging es um Jugend und Frische, je jünger, je besser.

      »Suzan ist von zu Hause ausgerissen, hat eine Weile in London gelebt und ist dann wieder nach New York übergesiedelt. Was soll ich sagen? Blitzkarriere. Ein neuer Stern am Modehimmel war geboren«. Einen Herzschlag lang blickte Ava mit leuchtenden Augen in die Vergangenheit.

      »Klingt nach einer sehr straighten Person«, resümierte Paul. »Nach einer, die wusste, was sie wollte.«

      »Das war sie bei Gott. Auf dem Boden geblieben und hochprofessionell. Das lässt sich nicht von jeder sagen.«

      »Neider?«

      »Selbst damit konnte sie umgehen.«

      Paul warf Craig, der nun mit den Schultern an der Rückwand einer Kabinentür rechter Hand lehnte, einen vielsagenden Blick zu. Es gab also durchaus Leute, die Suzan ihren Erfolg missgönnt hatten. Das zog womöglich den Kreis der Verdächtigen enger.

      »Das hier war ihr Lieblingsplatz«, murmelte Margie und wies auf einen mit grünem Samt bezogenen Stuhl. » … Ich seh’ sie noch vor mir … Wie sie da sitzt, die Hände im Schoß, und unschuldig schaut … und ständig dieser Spearmint-Geruch …« Sie erntete einen warnenden Blick Avas und verstummte abrupt.

      Paul horchte auf. »Sie sprachen gerade recht nett von ihr. Jetzt höre ich andere Töne heraus. Gab es Schwierigkeiten? Wegen Suzans direkter Art?«

      »Wenn ich ehrlich sein soll …«

      »Mochten Sie Suzan?«

      »Als Kollegin war sie mir lieb und teuer.«

      »Als Mensch aber nicht?«

      »Hat Ava schon den Diebstahl erwähnt?« Sie schlug die Augen nieder und mied Avas Blick.

      Paul schüttelte den Kopf. Margie sah zum Fenster.

      »Im Frühjahr hatte ich einen Lottogewinn und eine Stange Geld bei mir. Der Plan war, in der Mittagspause eine Reise zu buchen, direkt im Reisebüro. Ich traue dem Internet einfach nicht. Einmal im Leben Europa, dafür hatte es nie gereicht. Wurde dann leider wieder nichts draus.«

      »Sie wurden bestohlen?«

      »Mehrere tausend Dollar. Einfach futsch.«

      »Sie hatten Suzan in Verdacht?«

      »An dem Vormittag war sie mein einziges Mädchen hier. Dabei hatte sie das Klauen weiß Gott nicht nötig, bei der Gage! Ich kann mir schon vorstellen, wer davon profitierte. So viel zum