Der Mann zerrte noch einmal am Lederriemen. Er gab nicht nach. Dann schwang er mit seinem ganzen Gewicht an ihm. Es blieb, wie es war. Immer noch am losen Ende festhaltend, überquerte er die Grube zu Dangar, der ihn mit großen, erstaunten Augen anstarrte.
»Du hättest ein Sarier werden sollen«, sagte Dangar voller Bewunderung.
Von Horst lächelte. »Ach hör' schon auf«, sagte er. »Jetzt zu dir.« Er bückte sich und hob den Pellucidarer vom Boden auf und trug ihn in die Mitte der Grube, direkt unter die Krateröffnung. Dann band er das lose Ende des Riemens um seinen Körper unter den Armen fest.
»Was hast du vor?«, fragte Dangar.
»Ich bin gerade dabei, die Hohlwelt für dünnhäutige Tiere ein wenig sicherer zu machen«, antwortete von Horst.
Er ging zur Seite der Grube und begann, die Eier mit dem Griff seiner Pistole zu zerschlagen. Zwei der Eier näherten sich dem Ende der Brutzeit und wackelten bereits. In ihrem Innern regten sich bereits zwei recht lebendige Jungtiere. Von Horst tötete sie beide und kehrte dann zu Dangar zurück.
»Ich hasse es, diese anderen armen Teufel hier zu lassen«, sagte er und gestikulierte in Richtung der unglücklichen Opfer, »aber es gibt keinen anderen Weg. Ich kann sie nicht alle rausholen.«
»Du kannst noch froh sein, wenn du rauskommst«, entgegnete Dangar.
Von Horst grinste. »Wir werden beide Glück haben«, antwortete er, »aber heute ist unser Glückstag.« In der Sprache der inneren Welt, in der es weder Tag noch Nacht gibt, gab es folglich kein Wort für Tag. Also ersetzte von Horst es durch ein fremdsprachiges Wort der äußeren Welt. »Hab Geduld, dann bist auch du bald draußen.«
Er griff nach dem Lederriemen und zog sich Hand für Hand hoch. Dangar lag auf dem Rücken und beobachtete ihn mit bewunderndem Blick. Es war ein langer, gefährlicher Aufstieg, aber schließlich erreichte von Horst die Mündung des Kraters. Als er sich über den Kraterrand rollte und den Hang hinunterblickte, sah er den Kadaver des Trodon auf einem kleinen Felsvorsprung unter ihm liegen. Die Kreatur war ganz offensichtlich tot und das war auch schon alles, was von Horst an dem Biest wissen wollte. Er wandte sich sofort seiner nächsten Aufgabe zu, nämlich Dangar aus dem Krater zu befreien.
Von Horst war ein kräftiger Mann, stiess nun aber schnell an die Grenzen seiner Ausdauer. Vermutlich lag das an der langen Lähmung, die sein Körper durchmachen musste. Hinzu kam der unsichere Stand, den der steile Abhang des Kraters bot. Dennoch verlor er keinen Augenblick die Hoffnung auf den Erfolg; und obwohl es eine langwierige Arbeit war, wurde er schließlich dafür belohnt, als er die gelähmte Gestalt des Pellucidarers auf dem Gipfel des Hügels neben sich liegen sah.
Zu gerne hätte er sich jetzt kurz ausgeruht, aber seine Erfahrung mit der Welt von Pellucidar hatte ihn gelehrt, dass ein exponierter Ort wie dieser Hügel kein guter Ort war, um zu verweilen. Er musste, mit Dangar im Schlepptau, den Hang hinabgehen und zwischen den Bäumen und einem Wasserlauf, die er von hier aus sehen konnte, nach einem Versteck suchen.
Der Hang war sehr steil, aber zum Glück war er durch gelegentliche Vorsprünge unterbrochen, die zumindest ein Bisschen Halt boten. Da es keine andere Möglichkeit zum Abstieg gab, hob von Horst Dangar über eine seiner breiten Schultern und begann den gefährlichen Weg nach unten. Schlitternd und stolpernd bahnte er sich langsam den Weg den steilen Abhang hinunter, ständig auf der Hut nach möglichen Gefahren. Gelegentlich stürzte er, schaffte es aber immer, sich zu fangen, bevor er in die Tiefe stürzte.
Er war ziemlich erschöpft, als er schließlich in den Schatten einer Baumgruppe taumelte, die neben dem kleinen Bach wuchs, den er vom Gipfel des Hügels aus gesehen hatte. Er legte Dangar auf einer Grasfläche ab und löschte seinen Durst mit dem klaren Wasser des Baches. Es war das zweite Mal, dass er getrunken hatte, seit er den Landeplatz des Luftschiffs O-220 verlassen hatte. Wie viel Zeit inzwischen verstrichen war, konnte er aber nicht einmal erraten. Es könnten Tage gewesen sein, vielleicht Wochen oder sogar Monate. Doch für den grössten Teil dieser Zeit hatte das eigentümliche Gift des Trodon ihn nicht nur gelähmt, sondern auch die Feuchtigkeit in seinem Körper bewahrt und ihn so immer frisch und fit für die ungeborenen Kükens gehalten, von denen er verschlungen werden sollte.
Erfrischt und gestärkt stand er auf und sah sich um. Er musste einen Ort finden, an dem er ein mehr oder weniger dauerhaftes Lager errichten konnte, denn er konnte Dangar unmöglich weitertragen. Er fühlte sich ziemlich hilflos, praktisch allein in dieser unbekannten Welt. In welche Richtung sollte er bloß gehen? Gab es überhaupt den Funken einer Hoffnung die O-220 und damit seine Freunde je wieder zu finden? Besonders in einem Land, in dem es keine Himmelsrichtungen gab? Selbst wenn es sie geben würde, von Horst hatte keine Ahnung, wohin er gehen musste, weil er die Orientierung seit der Entführung durch den Trodon komplett verloren hatte.
Sobald die Wirkung des Giftes nachgelassen hatte und Dangar von den Fesseln der Lähmung befreit war, würde er nicht nur einen aktiven Freund und Gefährten haben, sondern auch einen, der ihn in ein Land führen konnte, in dem er sich eines freundlichen Empfangs sicher sein konnte und eine Gelegenheit, sich einen Platz in dieser wilden Welt zu schaffen, in der er, wie er zu glauben geneigt war, den Rest seines Lebens verbringen musste. Es war bei weitem nicht nur diese Überlegung, die ihn veranlasste, bei dem Volk von Sari zu bleiben, sondern vielmehr ein Gefühl der Loyalität und Freundschaft.
Als er sich sorgfältig in der näheren Umgebung umsah, kam er zum Schluss, dass dieser Ort für ein Lager genauso geeignet war, wie jeder andere. Es gab frisches Wasser, und er hatte gesehen, dass es in der Umgebung reichlich Wild gab. An einigen der Bäume wuchsen Früchte und Nüsse, und auf seine Frage, ob sie essbar seien, versicherte ihm Dangar, dass sie sicher seien.
»Wirst du hierbleiben?«, fragte der Sarier.
»Ja, bis du dich von der Wirkung des Giftes erholt hast.«
»Vielleicht werde ich nie wieder gesund. Was dann?« Von Horst zuckte mit den Schultern.
»Dann werde ich noch eine ganze Weile hier sein«, lachte er.
»Das könnte ich nicht einmal von einem Bruder erwarten«, wandte Dangar ein. »Du musst dich auf die Suche nach deinem eigenen Volk machen.«
»Ich konnte sie nicht finden. Aber selbst, wenn ich könnte, würde ich dich nicht allein und hilflos hierlassen.«
»Das müsstest du aber.«
»Warum denn?«, sagte von Horst.
»Du müsstest mich natürlich töten – als ein Akt der Barmherzigkeit.«
»Vergiss es«, schnauzte von Horst. Allein der Gedanke ekelte ihn an.
»Keiner von uns beiden darf es vergessen«, beharrte Dangar. »Wenn ich nicht nach den nächsten Schlaf-Pausen wieder gesund bin, musst du mich umbringen.« Er benutzte das einzige Maß der Zeit, das er kannte – Schlaf. Wie viel Zeit zwischen den diesen Ruhepausen verging oder wie lange jeder Schlaf dauerte, konnte er nicht sagen.
»Das sind Gedanken für die Zukunft«, antwortete von Horst kurz. »Im Moment interessiert mich nur die Frage des Lageraufbaus. Hast du irgendwelche Vorschläge?«
»Die größte Sicherheit bieten Höhlen in Felswänden«, antwortete Dangar. »Löcher im Boden sind oft die nächstbeste Lösung. Danach eine Plattform oder ein Unterschlupf, der zwischen den Ästen eines Baumes gebaut ist.«
»Hier gibt es keine Klippen«, sagte von Horst, »und ich sehe auch keine Löcher im Boden, aber es gibt Bäume.«
»Dann solltest du besser anfangen zu bauen«, riet der Pellucidarer, »denn es gibt viele Fleischfresser in Pellucidar. Und die sind immer hungrig.«
Mit Vorschlägen und Ratschlägen von Dangar baute von Horst eine Plattform in einem der größeren Bäume, wobei er bambusähnliches Schilf benutzte, das am Rande des Baches wuchs. Dieses schnitt er mit seinem Jagdmesser zurecht und befestigte es mit einem langen, robusten Gras, das Dangar in Büscheln am Fuß des Hügels hatte