Er drehte den Kopf von dem fressenden Reptil weg zu dem Mann, der rechts von ihm lag, und öffnete die Augen. Er sah, dass der Mann nicht in den furchtbaren Chor eingestimmt hatte und ihn mit ruhigem, abschätzigem Blick betrachtete. Es war ein junger Mann mit einem Schopf kohlschwarzer Haare, feinen Augen und regelmäßigen Zügen. Seine Ausstrahlung war von Stärke und ruhiger Würde geprägt, die von Horst beeindruckte. Beeindruckt war er auch deshalb, weil der Mann nicht der Hysterie erlegen war, die die anderen Insassen der Kammer ergriffen hatte. Der junge Leutnant lächelte ihn an und nickte. Einen Augenblick lang überzog ein schwacher Ausdruck der Überraschung die Miene des anderen, dann lächelte auch er. Dann sprach er von Horst in einer Sprache an, die der Europäer nicht verstand.
»Es tut mir leid«, sagte von Horst, »aber ich kann dich nicht verstehen.« Dann war es an dem anderen, verständnislos den Kopf zu schütteln.
Keiner von beiden konnte die Sprache des anderen verstehen; aber sie hatten einander angelächelt, und dadurch ein gemeinsames Band in ihrer Erwartung eines gemeinsamen Schicksals geknüpft. Von Horst fühlte, dass er nicht mehr allein war und so etwas wie einen Verbündeten gefunden hatte. Dieser flüchtige Kontakt machte im Angesicht dieser ausweglosen Situation einen beträchtlichen Unterschied. Im Vergleich zu dem, was er vorher empfunden hatte, war er fast zufrieden.
Als er das nächste Mal in die Richtung des frisch geschlüpften Reptils blickte, war der Körper seines Opfers vollständig verschlungen. Es war nicht einmal mehr ein Knochen übrig. Vollgefressen und mit aufgeblähtem Bauch kroch das Ding in den runden Fleck aus strahlendem Sonnenlicht unterhalb der Krateröffnung, rollte sich zusammen und schlief ein.
Die Opfer waren in Schweigen verfallen und lagen wieder wie tot. Die Zeit verging; aber wie viel Zeit, konnte von Horst nicht einmal erahnen. Er verspürte weder Hunger noch Durst, was er auf seine Lähmung zurückführte. Gelegentlich schlief er sogar ein. Einmal wurde er durch Flügelschlagen geweckt und blickte auf, um den üblen Vogel aus dem Nest des Grauens, in dem er geschlüpft war, durch die Krateröffnung fliegen zu sehen.
Nach einer Weile kam das erwachsene Tier mit einem weiteren Opfer, einer Antilope. Nun sah von Horst, wie er und die anderen Unglücksraben gelähmt worden waren. Die Antilope mit seinem großen Maul auf gleicher Höhe haltend, durchbohrte das Reptil mit der nadelscharfen Spitze seiner Zunge den Hals an der Basis des Gehirns, dann setzte es die hilflose Kreatur zu von Horsts Linken ab.
In dieser zeitlosen Leere des lebendigen Todes konnte man keine Regelmäßigkeit der wiederkehrenden Ereignisse feststellen. Jungtiere schlüpften aus ihren Schalen, fraßen sie, verschlangen ihre Beute (immer am äußersten Rand der Lücke zu von Horsts Linken), schliefen im Sonnenlicht und flogen davon, offenbar, um nie wiederzukehren. Die erwachsenen Tiere kamen mit neuen Opfern, lähmten sie, legten sie an den Rand der Lücke, die von Horst am nächsten war, und flogen wieder davon. Von Horst kam der Lücke von links her immer näher und damit auch sein unausweichlicher Untergang.
Er und der Mann zu seiner Rechten tauschten gelegentlich ein Lächeln aus, und manchmal sprach jeder in seiner eigenen Sprache. Allein der Klang ihrer Stimmen, die Gedanken ausdrückten, welche der andere nicht verstehen konnte, war freundlich und tröstlich. Von Horst wünschte sich, dass sie sich unterhalten könnten. Was hätte das die trostlose Einsamkeit erleichtert! Derselbe Gedanke muss dem anderen auch oft durch den Kopf gegangen sein, und er war es, der zuerst versuchte, ihn auszudrücken und die Sprachbarriere zu überwinden, die sie vom ungetrübten Ausmass ihrer aus der Not geborenen Kameradschaft trennte. Einmal, als von Horst die Augen zu ihm wandte, sagte er: »Dangar«, und versuchte, sich zu erkennen zu geben, indem er die Augen zu sich selbst beugte und das Kinn zur Brust neigte. Er wiederholte dies mehrere Male.
Endlich glaubte von Horst zu begreifen, was er meinte. »Dangar?«, fragte er.
Der Mann lächelte und nickte und sprach ein Wort, das in seiner Sprache offensichtlich eine Bejahung war. Dann sprach von Horst seinen eigenen Namen mehrmals aus und deutete auf sich selbst, so wie es Dangar getan hatte. Das war der Anfang. Danach wurde es ein Spiel von intensivem und gegenseitigem Interesse. Sie taten nichts anderes, und keiner schien der Übung überdrüssig zu werden. Gelegentlich wurden sie müde, aber anstatt zu schlafen, wartete jeder, bis der andere schlafen wollte. Auf diese Weise konnten sie beide ihre wachen Stunden mit der neuen und faszinierenden Beschäftigung verbringen, zu lernen, wie man Gedanken in einer fremden Sprache austauscht.
Dangar lehrte von Horst seine Sprache, und da dieser bereits vier oder fünf Sprachen der äußeren Oberfläche beherrschte, fiel es ihm leicht, auch diese zu erlernen, obwohl sie keine Ähnlichkeit mit einer Sprache besass, die er von der Oberfläche her kannte.
Unter normalen Umständen wäre die Prozedur langsam oder scheinbar hoffnungslos gewesen, aber mit dem Anreiz der Kameradschaft und der Abwesenheit von Ablenkung – sieht man einmal davon ab, dass hin und wieder ein Jungtier schlüpfte und sich vollfrass – machten sie mit erstaunlicher Schnelligkeit Fortschritte. Zumindest kam es von Horst so vor, denn in dieser zeitlosen Welt konnten während seiner Gefangenschaft schon Wochen, Monate oder sogar Jahre äußerer irdischer Zeit vergangen sein.
Endlich war der Zeitpunkt gekommen, an dem er und Dangar ein Gespräch mit relativer Leichtigkeit und Geläufigkeit führen konnten, aber je besser sie miteinander sprechen konnten, desto näher kroch die schicksalhafte Lücke ihres Untergangs im Kreis der lebenden Toten. Dangar würde zuerst gehen, dann von Horst.
Letzterer fürchtete das erste Ereignis noch mehr als das zweite, denn ohne Dangar wäre er wieder allein und hätte nichts, womit er seine Zeit oder seinen Geist beschäftigen könnte, außer dem unausweichlichen Schicksal, das ihn erwartete, während er auf das Knacken der Eierschale wartete, das den Tod in seiner schrecklichsten Form auf ihn loslassen würde.
Am Ende waren nur noch drei Opfer zwischen Dangar und der Lücke. Es würde jetzt nicht mehr lange dauern.
»Es tut mir leid, dich bald verlassen zu müssen«, sagte der Pellucidarer.
»Ich werde nicht lange allein sein«, erinnerte ihn von Horst.
»Das stimmt wohl. Nun, es ist besser zu sterben, als hier zu bleiben, weit weg vom eigenen Land. Ich wünschte, wir hätten leben können, dann hätte ich dir nämlich meine Heimat Sari zeigen können. Es ist ein wunderschönes Land mit Hügeln und Bäumen und fruchtbaren Tälern. Es gibt dort jede Menge Wild, und nicht weit entfernt ist der große Lural Az. Ich habe dort auf der Insel Anoroc gelebt, wo Ja König ist. Du würdest Sari mögen. Die Mädchen da sind sehr schön. Es gibt dort eines, das auf mich wartet. Aber wie es scheint, werde ich wohl nie zu ihr zurückkehren. Sie wird traurig sein, aber...« Dangar verstummte einen Augenblick. Dann seufzte er und fuhr fort: »Sie wird darüber hinwegkommen, und ein anderer wird sie zu seiner Frau nehmen.«
»Ich würde gerne nach Sari gehen«, sagte von Horst. Plötzlich weiteten sich seine Augen vor Überraschung. »Dangar! Dangar!«, rief er aus.
»Was ist los?«, fragte der Pellucidarer. »Was ist passiert?«
»Ich kann meine Finger spüren! Ich kann sie bewegen!«, rief von Horst. »Und meine Zehen auch.«
»Das kann doch nicht sein, Von«, rief Dangar ungläubig aus.
»Doch, das kann es. Das ist es! Nur ein bisschen, aber ich kann sie bewegen.«
»Wie kann das sein? Ich kann unterhalb meines Halses immer noch nichts spüren.«
»Die Wirkung des Giftes muss langsam nachlassen. Vielleicht wird die Lähmung ganz nachlassen.«
Dangar schüttelte den Kopf. »Seit ich hier bin, habe ich noch nie erlebt, dass bei einem Opfer die Lähmung nachlässt, nachdem es von einem Trodon mit seiner Giftzunge gestochen wurde. Aber was, wenn es tatsächlich