Von Horst war kalt vor Sorge. Er erinnerte sich an Geschichten, die er von einem großen Vogel der äußeren Welt gelesen hatte, der seine Beute in die Höhe trug und sie dann tötete, indem er sie zu Boden fallen ließ. Er fragte sich, ob dies sein Schicksal sein würde, und er dankte seinem Schöpfer, dass es so wenige geben würde, die um ihn trauern würden – keine Frau und keine Kinder, die ohne Beschützer und Versorger zurückbleiben würden, keine Geliebte, die seinen Verlust betrauern und sich nach dem Geliebten sehnen würde, der niemals zurückkehren würde.
Sie befanden sich jetzt über dem Wald. Die seltsame, horizontlose Landschaft dehnte sich in alle Richtungen aus und verblasste allmählich im Nichts. Jenseits des Waldes, in der Flugrichtung der Kreatur, lag offenes Land, sanfte Hügel und Berge. Von Horst konnte Flüsse und Seen sehen und in weiter, dunstiger Ferne etwas, das ein großes Gewässer zu sein schien – ein Binnenmeer vielleicht oder ein riesiger, unerforschter Ozean; aber in welche Richtung er auch blicken mochte, für ihn war alles unbekanntes Neuland.
Das Betrachten der Landschaft war für ihn nicht von lebenswichtigem Interesse, dann aber kam der Moment, in dem dieses Interesse plötzlich ausgelöscht wurde. Denn das Ding, welches ihn durch die Lüfte trug, löste eine Klaue von ihm. Von Horst dachte, dass es ihn fallen lassen würde, dass sein Ende nun gekommen war. Er flüsterte ein kleines Gebet. Das Wesen hob ihn ein paar Meter hoch und ließ ihn dann in eine dunkle, müffelnde Tasche sinken, die es mit der anderen Pfote offen hielt. Als es ihn losließ, befand sich von Horst in völliger Dunkelheit. Einen Augenblick lang konnte er sich seine Lage nicht erklären, dann dämmerte ihm, dass er sich in der Bauchtasche eines Beuteltiers befand. Es war heiß und stickig. Er dachte, er würde mit dem überwältigenden Gestank dieses Reptils in der Nase ersticken. Als er es nicht mehr aushalten konnte, drückte er sich nach oben, bis sein Kopf aus der Öffnung des Beutels ragte.
Die Kreatur flog inzwischen horizontal, und die Sicht des Mannes war auf das beschränkt, was fast direkt unter ihm lag. Sie befanden sich immer noch über dem Wald. Das Laub, das wie gebauschte Smaragdwolken dalag, sah weich und einladend aus. Von Horst fragte sich, warum er lebend weggetragen wurde und wohin die Reise noch führen würde. Wohl zweifellos zu einem Nest oder einer Höhle, um als Nahrung zu dienen, vielleicht für eine Brut abscheulicher Jungtiere. Er tastete nach seiner Pistole. Wie leicht wäre es, in diesen heißen, pulsierenden Körper zu schießen, aber was würde es ihm nützen? Es würde den fast sicheren Tod bedeuten – möglicherweise einen langsamen Tod. Denn wenn er nicht sofort getötet würde, dann spätestens wegen tödlichen Verletzungen. Er verwarf den Gedanken.
Die Kreatur flog mit überraschender Geschwindigkeit, wenn man ihre Größe bedenkt. Der Wald verschwand aus dem Blickfeld, und sie flogen über eine bewaldete Ebene, auf der der Mann unzählige Tiere grasen oder ruhen sah. Es gab große Rothirsche, Faultiere, riesige primitive Rinder mit zotteligem Fell. In der Nähe von Bambusbüscheln, die einen Fluss säumten, war eine Herde Mammuts. Es gab auch andere Tiere, die von Horst nicht einordnen konnte. Bald flogen sie über niedrige Hügel, ließen die Ebene hinter sich und flogen dann über ein raues, vulkanisches Land mit kahlen, schwarzen, kegelförmigen Hügeln. Zwischen den Kegeln und auf einem Teil ihrer Flanken wucherte das unvermeidliche tropische Grün von Pellucidar. Nur dort, wo keine Wurzel Fuß fassen konnte, gab es kein Gestrüpp. Eine Besonderheit dieser Kegel erregte von Horsts Aufmerksamkeit: Viele von ihnen hatten eine Öffnung in der Spitze, die ihnen das Aussehen von erloschenen Miniaturvulkanen gab. Ihre Größe reichte von hundert Fuß bis zu mehreren hundert Fuß Höhe. Während er sie betrachtete, begann sein Entführer, direkt über einem der größeren Kegel zu kreisen. Dann stürzte er schnell direkt in den gähnenden Krater und landete auf dem Boden im Lichtkegel der Sonne, die ständig im Zenit stand.
Als die Kreatur ihn aus dem Beutel zog, konnte von Horst zunächst wenig vom Inneren des Kraters sehen; aber als sich seine Augen schnell an die umliegende Düsternis gewöhnten, sah er, dass er von den Leichen zahlreicher Tiere und Menschen umgeben war. Die Überreste waren in einem großen Kreis um ihn herum platziert worden, die Köpfe nach aussen gelegt. Der Kreis war nicht ganz geschlossen, es gab eine einzige Lücke von mehreren Fuß. Zwischen den Köpfen der Leichen und der Wand des Kegels war eine Menge elfenbeinfarbener Kugeln von etwa zwei Fuß Durchmesser gestapelt.
Diese Dinge beobachtete von Horst mit einem kurzen Blick, dann wurde er schon wieder in die Luft getragen. Die Kreatur hob ihn an, mit dem Gesicht nach außen, bis er auf Augenhöhe mit der Bestie war. Dann fühlte der Mann einen scharfen, widerlichen Schmerz im Nacken an der Basis des Gehirns. Es gab nur einen Augenblick des Schmerzes und eine kurzzeitige Übelkeit, dann wurde plötzlich alles taub. Es war, als ob er vom Hals abwärts aufgehört hätte zu existieren. Von Horst spürte, wie er langsam zur Wand des Kegels getragen und auf dem Boden abgesetzt wurde. Noch konnte er seinen Kopf bewegen und drehte ihn zur Seite, wo er gerade noch sah, wie die Kreatur, die ihn hierhergebracht hatte, in die Luft sprang, die Flügel ausbreitete und finster kreischend durch die Krateröffnung davonflatterte.
Kapitel 2: Die Grube des Grauens
Als von Horst dort in der düsteren Höhle des Todes lag und über seine Situation nachdachte, wünschte er sich, er wäre gestorben, als er die Gelegenheit und die Kraft zum Selbstmord noch hatte. Jetzt war er hilflos. Das Entsetzen über seine Situation wuchs in ihm, bis er fürchtete, verrückt zu werden. Er versuchte, eine Hand zu bewegen, aber es war, als hätte er gar keine Hände mehr. Weder konnte er seine Hände, noch sonst einen Teil seines Körpers fühlen – abgesehen von seinem Kopf. Und so fühlte er sich auch, wie ein losgelöster Kopf, der im Dreck lag. Zwar noch bei Bewusstsein, aber völlig hilflos. Er schaute zur Seite und stellte fest, dass er am Ende der kreisrunden Reihe von Leichen war, am Rande der Lücke. Auf der anderen Seite der Lücke lag der Körper eines Mannes. Von Horst drehte den Kopf auf die andere Seite und sah dicht neben ihm den Körper eines anderen Mannes.
Dann wurde seine Aufmerksamkeit durch ein Knacken und Hämmern auf der gegenüberliegenden Seite erregt. Erneut drehte er den Kopf, damit er sehen konnte, was in dieser Halle der Toten lebte. Seine Augen wurden von einer der elfenbeinfarbenen Kugeln angezogen, die unmittelbar hinter dem Körper auf der anderen Seite des Spalts lag. Die Kugel wackelte hin und her. Die Geräusche schienen aus ihrem Inneren zu kommen und wurden zunehmend lauter, eindringlicher. Die Kugel wippte und rollte hin und her, dann erschien ein Riss in ihr, ein zackiges Loch wurde in ihre Oberfläche gerissen, und ein Kopf ragte heraus. Es war eine Miniaturversion des hässlichen Schädels jener Kreatur, die ihn hierhergebracht hatte. Nun war das Rätsel der Kugeln gelöst – es waren die Eier des großen Beuteltiers. Was aber hatte es mit den zahlreichen Körpern auf sich?
Fasziniert beobachtete von Horst, wie sich das schreckliche kleine Wesen aus seinem Ei befreite. Endlich draussen, rollte es sich auf dem Boden des Kraters aus, wo es einige Zeit träge lag, als ob es sich von seinen Strapazen ausruhen wollte. Dann begann es, seine Gliedmaßen zu bewegen und probierte sie vorsichtig aus. Es erhob sich auf seine vier Füße, setzte sich aufrecht auf seinen Schwanz und breitete seine Flügel aus. Erst flatterte es nur schwach damit, dann aber für einen kurzen Augenblick mit kräftigen Schlägen. Schließlich stürzte es sich auf die abgebrochenen Stücke der Eierschale und verschlang sie. Danach wandte es sich, ohne zu zögern, dem Körper des Mannes auf der anderen Seite der Lücke zu. Als es sich ihm näherte, sah von Horst zu seinem Entsetzen, wie sich der Kopf des Mannes der Kreatur zuwandte und dieser die Augen vor Schreck weit aufriss. Mit einem zischenden Brüllen stürzte sich das widerliche kleine Wesen auf den Körper, und gleichzeitig brach ein durchdringender Schreckensschrei über die Lippen des Mannes, den von Horst schon für tot gehalten hatte. Der entsetzte Blick und die verzerrten Gesichtsmuskeln spiegelten die wahnsinnigen Anstrengungen des Gehirns wider, die gelähmten Nervenzentren bewegen zu können, sie zu zwingen, dem Fluchtinstinkt zu folgen. Der Mann war dermassen bemüht, die unsichtbaren Fesseln zu sprengen, dass es den Eindruck machte, es müsse ihm gelingen. Aber gegen die vollständige Lähmung war er machtlos.
Der