Der Strohmann. Dietmar Füssel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dietmar Füssel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754177150
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      „Weil keiner von ihnen auch nur in die Nähe Chinchillas gekommen wäre. Sagen Sie, 003: Was wissen Sie eigentlich über den Aufbau dieser Verbrecherorganisation?“

      „Nun ja, also, ganz oben stehen Chinchilla und sein Stellvertreter Bucher. Dann gibt es einige Generaldirektoren...“

      „Zehn an der Zahl.“

      „Gut. Zehn. Namen sind uns leider keine bekannt, wir kennen nur einen, der vermutlich dazuzählen dürfte, die anderen sind nach wie vor UP’s, wie wir in unserem Fachjargon sagen...“

      „Yuppies?“

      „Nein, unbekannte Personen, unidentified persons, also U.P.’s.

      Jeder dieser Generaldirektoren hat wieder einige Untergebene...“

      „Zehn.“

      „Von diesen Untergebenen hat wieder jeder einige Untergebene...“

      „Zehn. Auf jeden Vorgesetzten kommen bei Chinchilla zehn Untergebene.“

      „Tja, und so geht das weiter bis zur Basis.“

      „Eben. Eure Agenten hätten natürlich ebenfalls an der Basis anfangen

      müssen und ihre Befehle nur von ihrem unmittelbaren Vorgesetzten erhalten. Bestenfalls hätten sie noch dessen Vorgesetzten kennen gelernt, aber mehr hätten sie in diesem Jahr keinesfalls in Erfahrung bringen können.

      Ihr habt vermutlich gehofft, dass eure Agenten irgendwelche Belege in die Finger bekommen, die beweisen, dass Davis von Chinchilla bezahlt wird, oder?“

      „Ja, genau das.“

      „Habt ihr euch wirklich eingebildet, dass so eine wichtige Sache von einer basisnahen Gruppe durchgeführt wird?

      Nein, das wird von ganz oben her organisiert, und ich gehe jede Wette ein, dass Chinchilla sich höchstpersönlich mit der Durchführung dieses Planes befasst. Schließlich ist es keine Kleinigkeit, einen seiner Strohmänner auf den Stuhl des Präsidenten der Vereinigten Staaten zu hieven.

      Ich hoffe, Sie sehen wenigstens jetzt ein, dass sich die CIA in dieser Angelegenheit unendlich dumm verhalten hat. Genauer gesagt habt ihr euch wie Vollidioten benommen. Oder wie Oligophrene, wenn Ihnen das lieber ist. Für nichts und wieder nichts haben vier von euch ihr Leben opfern müssen.“

      „Ich fürchte, Sie haben recht“, sagte 003 kleinlaut. „Wir haben da Scheiße gebaut. Aber, wie schon gesagt, meine Idee war’s nicht...“

      „Ist schon gut“, sagte Winston begütigend. „Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist. Ihr seid eben, um ein treffendes Gleichnis zu gebrauchen, mit Fliegenklatschen auf Löwenjagd gegangen.

      Trotz eurer jahrelangen Bemühungen ist es euch nur gelungen, einen der zehn Generaldirektoren zu entlarven, und nicht mal bei dem seid ihr euch ganz sicher.

      Schon das hätte euch von eurem wahnwitzigen Plan abbringen müssen. Ohne mich wüsstet ihr ja nicht einmal, wer der Boss dieser größten Verbrecherorganisation unseres Planeten ist.

      Und selbst wenn es euch gelungen wäre, zu beweisen, dass Davis von Chinchilla finanziert wird – das ist natürlich völlig unmöglich, aber nehmen wir es rein theoretisch einmal an - was hätte euch das genützt?

      Gar nichts.

      Zwar hat es sich unter vorgehaltener Hand in Chikago herumgesprochen, dass Claudio Verona, den man in Verbrecherkreisen Chinchilla nennt, im Verdacht steht, ein skrupelloser Gangsterboss zu sein, aber in der amerikanischen Öffentlichkeit gilt er als einer der größten Wohltäter der Menschheit.

      An die zehn Millionen Dollar gibt er jährlich für wohltätige Zwecke aus, und die von ihm gegründete Organisation zur Unterstützung der armen afroafrikanischen Kinder in Afrika wurde sogar vor zwei Jahren für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

      Es würde Davis also nicht einmal sonderlich schaden, wenn herauskäme, dass er von Chinchilla bezahlt wird, und Chinchillas Kommentar dazu wäre, dass er als amerikanischer Staatsbürger ja schließlich das Recht hat, einen Politiker, der ihm zusagt, finanziell zu unterstützen.“

      „Wie haben Sie herausgefunden, dass Chinchilla der Boss dieser Organisation ist?“, fragte der Agent.

      „Warum ist die Banane krumm?“

      „Keine Ahnung. Warum denn?“

      „Ich weiß es nicht. Deshalb frage ich Sie ja.“

      „Also, ich glaube eher, dass Sie versuchen, meiner Frage auszuweichen.“

      „Ganz recht“, bestätigte Winston. „Weil Sie das nämlich zufällig einen verdammten Scheißdreck angeht.“

      ***

      Rückblende

      Was James Winston dem Agenten verschwieg, war, dass sein eigener Vater einst als Generaldirektor für Chinchilla gearbeitet hatte.

      Er war sogar ein Mann der ersten Stunde gewesen:

      Er hatte schon für den Gangsterboss gearbeitet, als dieser noch keine Baskenmütze aus Chinchillafell trug, die er nur abnahm, wenn er ein Todesurteil verkündete oder selbst vollstreckte.

      Bill Winston hatte nur einen Fehler, der ihm denn auch zum Verhängnis wurde: Er war unheimlich stolz auf seine Leistungen im Dienste des organisierten Verbrechens, so stolz, dass er sich nicht damit begnügte, die Erinnerung daran in den Windmühlen seines Gedächtnisses aufzubewahren.

      Zwar sprach er selbstverständlich mit niemandem darüber, jeder hielt ihn für einen seriösen Geschäftsmann, aber er führte ein Tagebuch, was jedem Mitglied von Chinchillas Organisation strengstens verboten war.

      James Winston aber, der schon als Kind einen ausgesprochenen Hang zum Schnüffeln gehabt hatte, entdeckte eines Tages im Schreibtisch seines Vaters dieses Tagebuch, las es voll Bewunderung für den tatkräftigen Herrn Papa, und obwohl Chinchilla niemals namentlich erwähnt wurde, begriff der kleine James, dass mit ‚Boss’ niemand anders gemeint sein konnte als der nette Onkel mit dem ulkigen Akzent und der schönen Baskenmütze, auf dessen Schoß er schon so oft hatten sitzen dürfen, ein Stück Pizza oder eine Tüte Gelatti im kleinen Fäustchen.

      Eines Tages, nachdem Winston die Wahrheit über seinen Vater herausgefunden hatte, spielte er mit den Nachbarsjungen erstmals ein neues, von ihm selbst erfundenes Spiel, das sich ‚Boss und Bulle’ nannte, wobei der ‚Boss’ immer daran zu erkennen war, dass er eine Baskenmütze trug.

      Selbstverständlich erfuhr Chinchilla davon, stellte Bill Winston zur Rede und legte ihn um, wenn auch mit allergrößtem Bedauern.

      Weil aber Bill ihm zeit seines Lebens ein guter, treuer Freund gewesen war und von böswilligem Verrat nicht die Rede sein konnte, gewährte er ihm eine letzte Bitte:

      Er versprach dem Vater, seinen Sohn, den kleinen James, weder jetzt – als Strafe für seine verräterischen Kinderspiele – noch irgendwann später zu liquidieren noch jemals seine Liquidierung zu veranlassen.

      Von diesem Versprechen wusste James Winston freilich nichts, wenngleich es ihm, der im Lauf der Jahre zum mit Abstand lästigsten Gegner Chinchillas avanciert war, oft merkwürdig vorkam, dass der Gangsterboss bisher noch nie auch nur den Versuch unternommen hatte, ihm das Lebenslicht auszuknipsen.

      Fest steht, dass James Winston, wenn auch ohne es zu wollen, den Tod seines eigenen Vaters verschuldet hatte, und obwohl er alles andere als ein Sensibelchen war, schätzte er es ganz und gar nicht, daran erinnert zu werden.

      In solchen Fällen konnte er sogar richtiggehend grob werden.

      So wie in hunderttausend anderen Fällen auch.

      ***

      5. Kapitel

      „Stimmt. Sie