Der Strohmann. Dietmar Füssel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dietmar Füssel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754177150
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Dann würde es hier bald sauber aussehen! Oder besser gesagt: Nicht sauber, sondern dreckig.

      Verstehen Sie, das ist genauso wie mit dem Rauchen: So wie es bestimmte Zonen gibt, in denen geraucht werden darf, gibt es auch bestimmte Zonen, in denen getötet werden darf. Zumindest von dazu befugten Personen. Öffentliche Gehwege gehören da mit Sicherheit nicht dazu.

      Also machen Sie das gefälligst weg, aber ein bisschen dalli. Oder ist es Ihnen lieber, wenn ich Sie mit auf die Wache nehme?“

      „Schlaue Verkleidung. Aber ich falle leider nicht drauf rein“, erwiderte der Agent, und schon hatte die Polizei wieder einen Beamten weniger, was aber bei den Verlusten, die die Leute des Gangsterbosses Chinchilla der Polizei tagtäglich aus Jux und Tollerei zuzufügen pflegten, nicht besonders ins Gewicht fiel.

      (Aus diesem Grund wird in der schönen Stadt Chikago jedem zehnten männlichen Neugeborenen ohne Wissen seiner Eltern etwa die Hälfte des Gehirns entfernt, weil andernfalls keiner mehr blöd genug wäre, um ausgerechnet Polizist zu werden. Diese illegalen Operationen gehören zu den am sorgfältigsten gehüteten Geheimnissen der Stadtverwaltung, und das mit Recht, denn würde die Bevölkerung davon erfahren, so wäre ihre Empörung darüber zweifellos ebenso groß wie jene Charlton Hestons in dem Film ‚2022 – die überleben wollen’, als er entdeckt, dass Soylent Green aus Menschenfleisch gemacht ist. Oder vielleicht sogar noch ein bisschen größer. )

      Um nicht womöglich auch noch mit einem echten Polizisten in Konflikt zu geraten, drückte der Agent einem besoffenen alten Penner einen Zehndollarschein in die Hand und befahl ihm, als Gegenleistung dafür den Gehsteig zu putzen, was dieser auch versprach.

      „Aber erst mal besorg ich mir n’Schnaps, Brüderchen“, sagte er.

      „Ist schon recht. Aber vergiss nicht, was du zu tun hast“, erwiderte der Agent gutmütig und setzte seinen Weg fort.

      Er beschleunigte seinen Schritt, sodass seine – mittlerweile schon recht zahlreichen – Beobachter Mühe hatten, ihm zu folgen, und betrat kurz darauf eine kleine, unscheinbare Tierhandlung.

      Auf dem Ladenschild stand:

      JAMES WINSTON

       FISCHE ALLER ARTEN UND NATIONALITÄTEN

      Die beobachtende Menschenmenge versammelte sich schiebend und drängelnd vor dem Schaufenster, weil jeder einen Blick ins Innere des Ladens erhaschen wollte.

      „James Winston, der berühmte Detektiv“, murmelte einer andächtig.

      „Was kann dieser Agent von ihm wollen?“, fragte sich ein anderer. „Seit er seine Detektei aufgegeben hat, interessiert er sich doch nur noch für seine Fische.“

      „Und er versteht wirklich was von seinen Fach“, bemerkte ein dritter, offensichtlich ein Fischliebhaber. „Er gilt als größter Fischexperte der Welt. Und das zu Recht. Ich habe nämlich ein Aquarium zu Haus, und einmal, da war was mit den Fischen nicht ganz in Ordnung, sie waren irgendwie total schlapp, fast so wie die Spieler der Denver Broncos.

      Ich geh also hin zu Winston mit den Fischen, zeige sie ihm, er gibt aus einer Flasche ein paar Tropfen ins Wasser, und schon fühlten sich die Fische wieder so wohl wie ... nun ja, eben wie Fische im Wasser. Er hat außerdem entdeckt, dass Krankheiten für Fische besonders ungesund sind. Auch...“

      „Halts Maul, Schwätzer“, brummte ein anderer. „Das interessiert uns einen Dreck. Uns interessiert viel mehr, was dieser Agent von Winston will.“

      Nun meldete sich der erste wieder zu Wort: „Wahrscheinlich sitzen die von der CIA wieder mal tüchtig in der Scheiße und James Winston soll ihnen da raushelfen.“

      „Das macht der nie“, behauptete der Fischliebhaber. „Glaubt mir, ich kenne James Winston wie meine Westentasche. Der ist doch ganz vernarrt in seine Fische, alles andere interessiert ihn nicht mehr. Und schon gar nicht das Detektivspielen.“

      „Wir werden ja sehen“, meinte ein anderer.

      ***

      2. Kapitel

      Als der Agent den Laden betrat, war James Winston gerade damit beschäftigt, ein Prachtguppymännchen zum Geschlechtsverkehr mit einem Blackmollyweibchen zu animieren.

      Er sammelte nämlich gerade Material für eine wissenschaftliche Arbeit mit dem Titel ‚Über die abartige Entartung der Arten’.

      Der Prachtguppy zeigte allerdings keinerlei Ambitionen, durch eine Erwähnung in Winstons Buch weltberühmt zu werden.

      „Na los, mach“, drängte Winston ungeduldig. „Ich seh es dir doch an, dass du scharf auf sie bist. Also nur keine falsche Scham. Na, jetzt komm schon. Du kriegst dafür auch die doppelte Futterration, und zwar von deinem Lieblingsfutter.

      Das ist doch wirklich ein großzügiges Angebot, oder nicht?“

      ‚Oh mein Gott, der Kerl redet tatsächlich mit Fischen. Gut, dass der Chef mir gesagt hat, dass er ein Genie ist. Sonst würde ich ihn jetzt bestimmt für total meschugge halten’ überlegte der Agent und räusperte sich geräuschvoll.

      „Wir reden später weiter“, sagte Winston zu dem Fisch und wandte sich seinem Besucher zu.

      „Ich habe Sie gar nicht kommen hören“, bemerkte er. „So leise sind erfahrungsgemäß nur Einschleichdiebe und Agenten. Und nachdem ein Dieb sich wohl kaum geräuspert hätte, um sich bemerkbar zu machen, sind Sie zweifellos ein Agent.“

      „Das ist richtig“, bestätigte der Agent. „Ich bin 003. Ich wollte...“

      „Den Rabatt für Agenten“, unterbrach Winston. „Selbstverständlich. Alles klar. Agenten werden von mir prinzipiell bevorzugt behandelt. Sehen Sie, zum Beispiel habe ich hier ein trächtiges Guppyweibchen. In drei Tagen, sieben Stunden und zwölf Minuten wird es sieben Junge gebären, drei männliche und vier weibliche, wobei sich das vierte Kind

      später durch eine besonders auffällige Färbung auszeichnen wird. Und weil Sie Agent sind, verrechne ich Ihnen nur das Weibchen.“

      „Das ist sehr großzügig von Ihnen, aber deswegen bin ich nicht hier. Es geht um etwas anderes. Nämlich um einen wichtigen Fall.“

      „Nominativ, Genitiv, Dativ oder Akkusativ? Welchen dieser wichtigen Fälle meinen Sie?“, fragte Winston und jagte sich einen doppelten Whisky durch die Gurgel.

      „Äh ... keinen von diesen“, erwiderte der Agent, leicht irritiert. „Es geht um das Vaterland. Es ist in Gefahr. Und Sie sollen es retten.“

      „Wenn ich in meiner Eigenschaft als Fischzüchter dazu in der Lage bin, herzlich gerne“, erwiderte Winston.

      „Wir brauchen nicht den Fischzüchter, sondern den genialen Detektiv James Winston.“

      „Der ist tot. Ich habe ein für alle Mal genug von diesem schmutzigen Job.“

      „Aber...“

      „Kein Aber. Den Rest meines Lebens habe ich dem Wohl und Wehe der Fische geweiht. Fische sind das Gelbe vom Ei meines Lebens.

      Im Anfang war nicht das Wort, sondern der Fisch. Der Mensch ist genau genommen nichts weiter als ein degenerierter Fisch. Nenne einen Fisch deinen Bruder, so wird er dir antworten: ‚Du bist nicht mein Bruder, du Qualzüchtung, geh mir aus der Sonne!’

      Wenn Sie also gekommen sind, um mich zu überreden, für Sie wieder Detektiv zu spielen, hätten Sie sich den Weg sparen können. Meine Antwort lautet nein.“

      „Aber das Vaterland...“

      „Ist in Gefahr, ich weiß“, vollendete Winston und fuhr spöttisch fort. „Ich kenne euch ja: Bei jeder Kleinigkeit schreit ihr gleich, dass das Vaterland in Gefahr ist, und bis jetzt hat sich noch jedes Mal herausgestellt, dass alles halb so wild war.

      Oder