RoadMovie. Hans-Joachim Mundschau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Joachim Mundschau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844253122
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trat in meiner Unterwäsche auf sie zu, nahm sie in den Arm, spürte die Straffheit ihres Körpers und küsste sie sanft auf den Mund.

      Dann sagte ich noch: „Der Mann, der dich mal kriegt, darf sich glücklich schätzen.“

      Sie schien nicht enttäuscht. „Du hast ja so recht, Papa! Mir war einen Augenblick danach. Ich geh’ jetzt wieder. Schlaf’ gut!“

      Sie machte sich los, strich mir über die Wange und verschwand.

      *

      Ich musste mehrmals niesen, weil mir die Sonne auf das Gesicht schien. Dann war ich wach. Dieses Mal wusste ich sofort, wo ich war. Durch das viergeteilte Fenster sah ich einen strahlend blauen Himmel. Ich genoss es, mich zu räkeln und zu strecken. Ich gab laute Geräusche von mir, bis mir einfiel, dass Inga mich hören könnte. Ich lauschte, ob ich sie in der Wohnung hörte. Aber sie schlief entweder noch oder sie war schon aus dem Haus gegangen.

      So wie ich war setzte ich mich erst einmal auf das Sofa im Wohnzimmer und schaute mich nun bei Tageslicht um. Die Möbel waren nicht neu, aber geschmackvoll zusammengestellt. Manches sah aus, als sei es geerbt. Ein altdeutscher Schrank, weinrotes Holz, mit zwei Glastüren in der Mitte. Dahinter Wein- und Sektgläser in unterschiedlichen Formen. Ein geöffneter Sekretär, dunkles Chippendale, stand an der Wand neben der Tür. Auf dem kleinen Tisch, an dem wir gestern gegessen hatten, lag ein handgeschriebener Zettel.

      Guten Morgen, Cowboy,

      bin zur Uni nach Münster. Am Nachmittag muss ich arbeiten. Bin etwa gegen 19 Uhr zurück. Wenn du magst, besorge eine Flasche Rotwein. Ich koche uns was. Habe dir einen Hausschlüssel hingelegt.

      Keep on trucking!

      Inga

      Ich saß lange, träumte vor mich hin, bis ich beschloss, unter die Dusche zu gehen. Danach zog ich Jeans, die neuen Stiefel, ein gelbes Hemd und meine Lederjacke an.

      Fast hätte ich meine Geldbörse vergessen. Ich schaute noch einmal nach meinem Bargeld und stellte fest, dass ich dringend zum Geldautomaten musste. Ich nahm den Schlüssel vom Tisch und verließ die Wohnung.

      Mein Auto ließ ich stehen und ging nach Gefühl in Richtung Innenstadt. Gewöhnlich kann ich mich auf meinen Orientierungssinn verlassen, brauchte aber doch einige Zeit, bis ich den richtigen Weg fand.

      Da ich noch nichts gegessen hatte, benötigte ich zuerst Geld, damit ich mein Frühstück auch bezahlen konnte. Ich betrat die Schalterhalle der erstbesten Bank und zog mir fünfhundert Mark aus dem Automaten.

      Gleich neben der Bank fand ich eine Art Bistro, das gerade öffnete. Serviererinnen waren dabei, draußen Tische und Stühle aufzustellen, die neben dem Eingang gestapelt waren. Da die Sonne schon sehr viel Kraft hatte, öffneten sie auch einige große, blau-weiß gestreifte Sonnenschirme.

      Ich fragte, ob ich schon etwas zu essen bekommen könnte. Eine kleine blonde Serviererin sagte, ich solle mich schon mal setzen, sie bringe mir dann die Karte.

      Ich nahm in einem der, wie sich herausstellte, sehr bequemen Korbstühle Platz und zündete mir eine Zigarette an, was ich gleich bereute. Ich rauchte normalerweise nicht, bevor ich etwas gegessen hatte. Die Zigarette schmeckte widerlich, meine Zunge brannte und ich bekam einen Hustenanfall. Ich drückte sie aus und schaute den Serviererinnen bei ihrer Arbeit zu. Sie waren alle vier klein, alle blond und alle pummelig. Es schien, als seien sie nach diesen Merkmalen ausgesucht worden.

      Als sie mit dem Aufstellen fertig waren, säuberten sie die Tische mit feuchten Lappen. Die Serviererin, die mich zum Hinsetzen aufgefordert hatte, brachte mir die Karte. Ich bestellte einen doppelten Espresso, studierte die Karte und entschied mich für das englische Frühstück, das günstig angeboten wurde.

      Nach und nach belebte sich die Fußgängerzone, weitere Gäste kamen, teilweise in Grüppchen, setzten sich an die Tische. Wo eben noch morgendliche Ruhe gewesen war, herrschte nun Stimmengewirr um mich herum.

      An einem Nachbartisch saß jetzt ein schwarzhaariger, südländisch aussehender Mann, etwa Mitte vierzig, der den Gazetto dello Sport las. Ab und an senkte er seine Zeitung, schaute zu mir herüber, durch mich hindurch, wie wenn er über das gerade Gelesene nachdachte, nahm dann die Zeitung wieder hoch und verschwand dahinter.

      Ich widmete mich meinem Frühstück, das meine Bedienung auf einem großen Holztablett gebracht hatte. Als ich mir zwischendurch die Nase putzen wollte, fand ich den Brief von Gesine, den ich in die Innentasche der Lederjacke gesteckt hatte.

      Als ich meinen Teller geleert hatte, bestellte ich noch einen Espresso und las den Brief noch einmal Wort für Wort. Ich war wieder sehr befremdet von ihrem Stil, in dem sie mir schrieb. Ich fragte mich wie schon zuvor, was sie von mir erwartete, wie sie dazu kam, mir in dieser Weise zu schreiben. Ein Teil von mir empfand es als unzulässiges Eindringen in einen Bereich, in den ich niemanden ohne ausdrückliche Erlaubnis zuließ. Ein anderer Teil von mir fühlte sich verstanden, ohne viel erklären zu müssen. Ich faltete das blaue Papier sorgfältig zusammen und verstaute es wieder in der Jackentasche. Ich nahm mir vor, Inga zu bitten ihn zu lesen und mir ihre Meinung zu sagen.

      Der südländisch aussehende Mann senkte gerade wieder einmal seine Zeitung und blickte auf einen Punkt hinter mir, als ich zahlte. Er hatte buschige Augenbrauen, an seinen Schläfen erkannte ich einige graue Haare.

      Es war mittlerweile etwa zehn Uhr geworden. Ich mischte mich in den Strom der hochsommerlich gekleideten Passanten. Es war sehr warm geworden. Trotzdem behielt ich meine Lederjacke an, weil ich ein wenig fröstelte.

      *

      Ich musste jetzt analytisch vorgehen, um mich nicht in sinnlosen oder zeitraubenden Aktivitäten zu verzetteln. Bargeld hatte ich erst einmal genug. Als nächstes brauchte ich einen Stadtplan von Gumpingen, den ich in einem Schreibwarengeschäft bekommen würde. Außerdem brauchte ich ein Notizbuch für meine Aufzeichnungen und einen Kugelschreiber oder Füllfederhalter.

      Ich schlenderte die Hauptstraße entlang, kam an dem Schuhgeschäft vorbei, in dem ich Inga kennen gelernt hatte. Ich wollte sie jetzt nicht treffen und auch nicht von ihr gesehen werden, wenn sie vielleicht doch jetzt gerade arbeitete.

      Ohne zur Seite zu blicken, drückte ich mich am Schaufenster vorbei. Fast atemlos lief ich an einer Reihe von Geschäften entlang, die ich nur aus den Augenwinkeln wahrnahm. Als ich zum Stehen kam, befand ich mich vor dem Schaufenster eines Hutgeschäftes. Bilder stiegen in mir auf: Rick, Hans Söhnker, Hubert und Philip Marlowe, der aussah wie Robert Mitchum.

      Ich wollte auch so einen Hut. Die Preise waren furchterregend, aber der Wunsch war stärker. Ich betrat das Geschäft. Der Verkaufsraum war düster. Durch die Schaufenster fiel wegen der Gestelle, auf denen die Hüte präsentiert wurden, nur wenig Licht nach innen. Die erstaunlich hohen Wände bestanden bis unter die Decke aus Regalen, in denen die einzelnen Stücke teilweise auch mehrfach übereinander eingeordnet waren. Die teureren Stücke schienen einzeln gelagert.

      Ich hatte eine genaue Vorstellung, was ich wollte. Ein vornehmes Grau mit blauem Band, die Krempe nicht zu breit, und diese Schnur, mit der man den Hut am Revers des Jacketts fixieren konnte.

      Hinter einem Vorhang hinter der langen Theke, die die gesamte Wand entlang lief, kam ein uralt wirkender Mann hervor. Er trug einen feinen, dunkelgrauen Anzug, ein weißes Hemd und eine scharlachrote Krawatte. Auf dem Kopf trug er eine seltsame Mütze, wie ich sie von Ernst Fuchs kannte.

      „Se sind richtig, der Herr, wenn Se e Hut kaufen wollen“ sagte er als Gruß mit einer wohlklingenden Stimme.

      Dabei lächelte er das Lächeln eines Mannes, der alles gesehen hat. The one-thousand-yard-stare nannte Stanley Kubrick diesen Blick in Full Metal Jacket. Er hatte den Blick, den nur Menschen haben, die über die Schwelle gesehen haben.

      „In der Tat“, sagte ich, und mir wurde bewusst, dass ich so normalerweise nicht redete. „Ich beabsichtige,