„Ich bin letzte Woche achtundzwanzig geworden. Mein gefühltes Alter liegt aber ungefähr bei neunzehn. Du magst Knoblauch, wie ich sehe.“
Sie deutete auf den Schnaps und schälte drei Knoblauchzehen, die sie anschließend mit der Knoblauchpresse in den Topf mit dem Gemüse drückte.
„Erzähl’ doch mal ein wenig von dir“, sagte sie beim Umrühren und Würzen. „Ich will mehr von dir wissen.“
„Stell’ mir doch lieber Fragen, ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Was interessiert dich?“
„Magst du lieber Baguette oder Couscous?“
„Merkwürdige Anfangsfrage. Zum Ratatouille lieber Baguette.“
Sie lachte. „Wie lange bist du denn schon verheiratet?“
„Genau genommen bin ich mit meiner Frau fast vierundzwanzig Jahre zusammen, davon elf Jahre verheiratet. Nächste Frage.“
„Bist du zu Hause abgehauen?“
„So ähnlich. Sieht man mir das an?“
„Ich schon. Du siehst so abgehauen aus. Weißt du, was ich meine?“
„Nicht so ganz, kannst du’s mir erklären?“
„Als du heute in den Laden kamst, kam es mir vor, als seist du vor etwas auf der Flucht. Du sahst so unausgeschlafen aus, hast dich öfter umgeschaut. Es war so ein Gefühl, ich kann’s nicht näher beschreiben.“
„Ja, ich bin in der Tat auf der Flucht, nicht so wie Richard Kimble, eben auf meine Weise.“
„Wie ist sie, deine Frau?“
„Schwierig. Ich kann’s ihr nie recht machen. Sie kommt aus einem Elternhaus, wo jeder das tat, was ihm irgendwie nützte oder zu nutzen schien. Das hat sie geprägt. Sie hat so gar keinen Blick dafür, dass es neben ihr auch noch andere Menschen gibt. Ich habe fast fünfundzwanzig Jahre gebraucht um herauszufinden, dass ich nicht mit ihr zusammenleben kann.“
„Hast du Kinder?“
„Zwei. Junge und Mädchen. Um die tut es mir am meisten leid. Ich liefere sie ihr aus. Aber was soll ich machen, wenn ich überleben will? Es geht einfach nicht mehr.“
Ich drehte mich um und schaute aus dem kleinen Fenster auf einen jetzt langsam dunkler werdenden Innenhof. Ich wollte ihr nicht zeigen, dass meine Augen feucht wurden.
„Kann ich noch so einen Knobischnaps haben?“
„Bedien’ dich. Du musst nichts erzählen, wenn du nicht willst.“
Wir schwiegen eine ganze Weile, bis sie mich bat, den Tisch im Wohnzimmer zu decken.
„Die Teller sind unten in der Anrichte, das Besteck ist da, wo du den Korkenzieher gefunden hast.“
Ich stellte zwei tiefe Teller auf den Tisch, legte Löffel und Gabel daneben, zündete zwei blaue Kerzen an, die auf der Anrichte standen, fand auch zwei wunderschöne große Rotweingläser. Sie brachte den Topf mit einem Untersetzer aus der Küche, bat mich noch das Brot aus der Küche zu holen. Wir setzten uns einander gegenüber an den kleinen runden Tisch. Ich schenkte den Wein aus der Karaffe ein.
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie lange das her ist, dass jemand für mich gekocht hat. Auch wenn es komisch klingt, für so etwas bin ich sehr dankbar.“
„Wie ist das denn bei dir zu Hause?“ fragte sie zwischen zwei Löffeln Gemüse. „Kocht deine Frau nicht?“
„Für mittags, wenn die Kinder aus der Schule kommen, haben wir Tilly, eine Nachbarin. Abends koche ich normalerweise, wenn ich von der Arbeit komme.“
„Und was ist, wenn du mal später kommst?“
„Frag‘ lieber nicht.“
Sie schwieg. Ich löffelte das Gemüse in mich hinein. Zwischendurch prosteten wir uns immer mal wieder zu und ich versicherte - vielleicht ein bisschen zu oft - wie sehr ich das Essen genoss.
Ich spürte, dass sie mich manchmal nachdenklich ansah. Dann: „Du willst mir aber nicht erzählen, dass das seit zwanzig Jahren so läuft?“
„Mehr oder weniger schon. Bin aber selbst mit schuld daran. Ich habe so ein paar Sachen einfach an mich gezogen. Irgendwann habe ich dann nicht mehr auf mich geachtet und hab’ mich dann treiben lassen. Es ist mir schon immer nur schwer gelungen, eingefahrene Wege wieder zu verlassen. Ich koche ja an sich gerne, das ist nicht das Problem. Es blieb nach und nach zu viel an mir hängen. Ich habe neben meinem Job immer noch freiberuflich gearbeitet. Ich hatte meistens einen Zehnstundentag, hab’ es aber immer noch geschafft, mich auch um die Kinder zu kümmern, als sie klein waren.“
„Was macht deine Frau eigentlich den ganzen Tag?“
„Sie ist Steuerberaterin, arbeitet zu Hause. Nach dem Essen muss sie erst einmal Mittagsschlaf halten. Mehr weiß ich eigentlich nicht. Irgendwie gelingt es ihr, den Tag herumzubringen, und abends hat sie Termine oder trifft sich mit Freundinnen.
„Läuft bei euch überhaupt noch was im Bett?“
„Wir schlafen nicht mehr im selben Bett. Wir vögeln beide anderweitig, haben wir nebenher schon immer gemacht. Zu unserer Zeit nannte man das offene Beziehung.“
„Ist nicht unbedingt die beste Voraussetzung für ein harmonisches Zusammenleben“, stellte sie fest und nahm einen Schluck Wein.
„Hat immerhin fast fünfundzwanzig Jahre gehalten.“
„Aber du bist jetzt ziemlich kaputt“, fügte sie gnadenlos hinzu. „Gut war das für dich sicher nicht.“
„Wie man’s nimmt. Ich bin gerade dabei, noch einmal davonzukommen. Aber du hast schon Recht, so ganz unbeschädigt bin ich nicht.“
„Was hast du eigentlich jetzt vor? Magst du noch etwas Gemüse?“ fragte sie in einem Atemzug.
„Nein danke, schmeckt hervorragend, aber ich kann nicht mehr. Ich weiß noch nicht genau, ich will jetzt erst mal Luft holen. Ich bin eher zufällig in dieser Gegend hier gelandet. Vielleicht sollte ich mir erst mal richtig die Kanne geben um abzuschlaffen.“
„Muss ja nicht gerade heute sein“, sagte sie, während sie mir Wein nachschenkte.“
„Nee, hab’ nicht die Absicht. Ich glaube, ich müsste jetzt auch bald schlafen. Die letzte Nacht war ein wenig unruhig. Soll ich dir noch beim Abwasch helfen?“
„Wir haben doch eine Spülmaschine. Du kannst zuerst ins Bad. Nimm dir ein Handtuch aus dem Regal über der Tür.“
Wir tranken unseren Wein aus, räumten das Geschirr in die Küche. Ich sagte noch: „Das war ein sehr schöner Abend. Ich danke dir dafür.“ Ich traute mich nicht, sie zu umarmen. Sie tat es für mich, schlang ihre Arme um mich, drückte mich.“
Ich ging ins Bad, putzte meine Zähne, mit einer Zahnbürste, die ich von Inga bekommen hatte, betrachtete mich dabei im Spiegel und war nicht begeistert von dem, was ich sah. Ich hatte dunkle Ringe unter den Augen. Ich wusch mich mit kaltem Wasser und trocknete mich mit einem flauschigen, dunkelblauen Handtuch ab.
In Britts Zimmer kleidete ich mich langsam aus, einen Schlafanzug hatte ich natürlich auch vergessen. Ich behielt T-Shirt und Slip an, wollte gerade ich das lila überzogene Bett steigen, als sie die Tür öffnete.
Sie stand völlig nackt im Türrahmen, zeigte mir ihren trainierten braungebrannten Körper, an dem kein einziges Haar sichtbar war.
Ich hatte mit mir zu kämpfen, sagte aber dann: „Sei mir nicht böse,