RoadMovie. Hans-Joachim Mundschau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Joachim Mundschau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844253122
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müsste ich dich töten!“

      Wir mussten beide lachen. Wir drückten uns und ließen dann voneinander ab.

      „Ich brauche jetzt einen Schnaps, hast du vielleicht einen Grappa ohne Knoblauch?“

      „Schau’ mal da oben auf dem Regal.“

      Sie deutete mit der linken Hand nach oben, während sie mit der rechten ihr Weinglas ergriff. Ich musste mich strecken, um die Flasche vom Regal zu holen. Ich nahm einen Schluck aus der Flasche, hielt sie ihr dann hin. Sie ließ den Grappa einfach in ihren Schlund laufen, als sei es Wasser.

      „Muss ich mir Sorgen um dich machen?“ fragte ich, als sie die Flasche absetzte. Sie schüttelte wieder den Kopf und stellte die Flasche auf den Tisch.

      „Nein, musst du nicht. Wir Frauen vertragen sowieso viel mehr als ihr Männer. Ich brauch’s heute eben heftig, sonst kommen diese blöden Gedanken so massiv. Das kann ich heute nicht haben. Ich möchte mich mit dir betrinken.“

      Wie sie es sagte, verwirrte mich. Sie war nicht mehr das fröhliche Mädchen, das ich in ihr gesehen hatte.

      Sie setzte die Grappaflasche noch einmal an. Ich muss etwas verstört ausgesehen haben, weil sie jetzt ihrerseits „Ist was?“ fragte.

      „Nichts“, antwortete ich. „Ich mag es nur nicht, wenn du schneller betrunken bist als ich. Ich werde dann zum Beobachter, und das mag ich nicht. Lass’ uns ins Wohnzimmer gehen. Hast du vielleicht eine CD von Dire Straits?“

      „Klar, im Schrank unter dem CD-Player. Such’ was aus, während ich die Brötchen fertig mache. Nimm bitte den Rotwein mit rüber.“

      Sie hatte plötzlich wieder einen sehr normalen Ton in ihrer Stimme. Ich fand Brothers in Arms und schob die CD in den Player. Ich setzte mich aufs Sofa, zündete mir eine Zigarette an und schaute den Rauchwölkchen nach.

      „Bring’ die Grappaflasche mit!“ rief ich in die Küche. Ich war jetzt auch in der Stimmung, mich zu betrinken. Sie kam mit einem Tablett und der Grappaflasche, die sie unter ihre linke Achsel geklemmt hatte.

      Sie setzte die Flasche und das Tablett auf dem Wohnzimmertisch ab, und ließ sich auf das Sofa fallen.

      „Puh, war das ein Tag!“

      „Für mich auch“, sagte ich. „Ich glaube, ich sollte dir mal erzählen, warum ich nach Gumpingen gekommen bin.“

      „Ich bin gespannt. Ich habe mir schon die verrücktesten Erklärungen ausgedacht.“

      „So? Was ist denn im Augenblick deine Lieblingsgeschichte?“

      „Am spannendsten wäre, wenn du aus einem Irrenhaus ausgebrochen wärst und versuchtest, dich bei mir zu verstecken. Das fände ich richtig cool.“

      „Hast du keine Angst bei dem Gedanken? Entlaufene Psychopathen vergewaltigen und morden meistens.“

      „Du guckst zu viele schlechte Filme.“

      „Aber im Ernst, in letzter Zeit habe ich öfter das Gefühl, ich stehe neben mir. Irgendwie bin ich nicht mehr ich selbst.“

      „Und daran ist diese Frau schuld?“

      „Sie wohnt hier, ich habe sie heute im Supermarkt gesehen. Es hat mich ganz schön mitgenommen. Außerdem komme ich mir wie ein Spanner vor.“

      „Stalker heißt das neuerdings, klingt ein bisschen professioneller.“

      „Sie hat mir keine Chance gegeben, mich von ihr zu verabschieden. Ich habe nicht den Mut, mit ihr offen Kontakt aufzunehmen. Deshalb schleiche ich um sie herum.“

      „Wovor hast du Angst? Was denkst du, könnte passieren?“

      „Ich weiß nicht, vielleicht sagt sie, sie will mich nicht sehen, oder sie ist sauer, weil ich sie nicht in Ruhe lasse.“

      „Hast du sie denn irgendwie genervt?“

      „Ach, die ganze Geschichte ist so kompliziert. Ich sträube mich dagegen, sie zu erzählen, weil ich das Gefühl habe, dass ich mich permanent zum Deppen mache. Ich kann nur so viel sagen: Sie hat mich an der Stelle erwischt, wo ich sterblich bin. Ich hab mich sowas von verliebt, und ich weiß seit einiger Zeit nicht mehr, wo mir der Kopf oder sonst was steht. Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass es das gibt. Es ist aber wohl so, dass die größten Skeptiker am leichtesten in emotionale Fallen tappen. Aber um deine Frage zu beantworten: Ich hab’ vielleicht zu lange gebaggert, und das hat wohl nicht in ihren Plan gepasst. Sie wollte wahrscheinlich nicht so einen Flächenbrand legen, aber sie hat dann die Kontrolle verloren.“

      „Du meinst, sie ist eine kleine Schlampe, die mal schnell was mitnehmen wollte.“

      „Ich hab’ immer noch Schwierigkeiten, es so auszudrücken, aber das war es wohl. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und einen sanften Mann, der ihr ein wenig zu sanft ist.“

      „Ja, soll’s geben, ich mag auch die sanften Männer nicht so sehr.“

      „Das ist ja auch ok, wenn sie sich gelegentlich was nimmt. Nur scheint sie sich keine Gedanken zu machen, welche Katastrophen sie heraufbeschwört. Sie ist eine faszinierende Frau, die bei Männern den Wunsch nach mehr weckt. Das hat zumindest bei mir fatale Folgen gehabt. So wie sie mir erzählt hat, war ich wohl nicht ihr einziges Opfer. Es fühlt sich ein bisschen so an, als sammle sie Männer wie Trophäen.“

      „Und du kannst es nicht ertragen, die Trophäe einer Frau zu sein?“ Sie schaute mich mit ihren großen grünen Augen an, als sie das sagte.

      „Darum geht’s mir nicht. Wenn ich wüsste, dass sie nur eine Schlampe ist, könnte ich es vielleicht besser wegstecken. Ich kenne sie einfach zu wenig. Deshalb ist es wahrscheinlich so hart.“

      Ich nahm einen Schluck aus der Grappaflasche und merkte plötzlich wie fertig ich war. Die Tränen stiegen mir in die Augen. Ich tat mir so leid. Gleichzeitig schämte ich mich vor Inga, weil ich mich so gehen ließ. Sie schien es zu spüren, denn sie stand auf, lief in die Küche und machte sich dort zu schaffen. Ich suchte mein Taschentuch, fand es nicht und schnäuzte in die gelbe Papierserviette, die auf dem Tisch lag. Dann schämte ich mich auch dafür.

      Inga kam zurück. „Hör auf damit!“ sagte sie sehr bestimmt. „Den letzten Mann, der sich bei mir ausgeheult hat, habe ich rausgeschmissen. Ich habe keine Lust, die tröstende Tante zu machen.“

      „Tut mir Leid, ich reiß’ mich zusammen. Hast du vielleicht ein Taschentuch für mich?“

      Sie öffnete eine Schublade in der Anrichte, holte eine Packung Papiertaschentücher heraus und warf sie mir zu. „Mach’ dich frisch und dann erzähl mir, was du vorhast.“

      Ich nahm die Packung und ging mit der Grappaflasche auf die Toilette. Ich putzte mir die Nase und betrachtete mich im Spiegel über dem Waschbecken: graues Gesicht, Bartstoppeln und unendlich müde Augen.

      Ich setzte mich auf die Toilette und dachte nach. Ich wollte das alles nicht mehr. Ich wollte nicht mehr Mitleid mit mir haben, ich wollte mich nicht bei wildfremden Frauen ausweinen. Ich wollte glücklich sein, ich wollte geliebt werden, ich wollte Lust empfinden. Ich hatte so die Schnauze voll von allem, und besonders von den Frauen. Ich wusste, dass ich Inga Unrecht tat, aber sie bekam eben alles ab.

      Zum tausendsten Mal schwor ich mir, mein Leben zu ändern, und zum tausendsten Mal wusste ich nicht wie. Ich saß auf dem Klodeckel, die Grappaflasche in der Hand und fühlte mich elend.

      Dann leerte ich den Grappa langsam ins Waschbecken neben dem Klo. Morgen würde ich ihr eine neue Flasche kaufen. Ich brauchte jetzt dieses Ritual. Es war schade um den guten Schnaps, aber es musste sein. Es war genau so wie mit den Zigaretten. Viele Schachteln hatte ich schon, obwohl noch halb voll, weggeworfen -