Daniel lachte herzhaft. „Ist das nicht süß? Die Lämmerbacher erwarten ernsthaft, dass wir demnächst heiraten.“
Vermutlich sollte Paula nun in dieses Lachen einstimmen, aber sie brachte nicht einmal ein Lächeln zustande. Das Thema erschien ihr zu ernst.
Das ließ auch ihn verstummen. „Na gut, auch wenn mir dieses Thema nicht ganz so unter den Nägeln brennt, habe ich gedacht, ich sammle mal ein paar Argumente, warum ich finde, dass wir beide wunderbar zusammenpassen.“
„Ach, gibt es dafür tatsächlich Gründe?“, brachte sie immerhin gespielt erstaunt hervor.
„Natürlich. Möchtest du sie hören? Ich habe sie nämlich gestern aufgeschrieben, während ich eigentlich Patientenberichte hätte diktieren sollen.“
„In Ordnung.“
„Es sind augenblicklich sieben Argumente. Doch vielleicht fallen mir im Lauf der Zeit noch mehr ein.“ Er räusperte sich theatralisch. „Erstens: ich liebe dich und bin gern mit dir zusammen sein. Zweitens: meine Schwester kocht miserabel und das Arzthaus bevölkert sich trotzdem. Zudem hasse ich die Gästeliege. Drittens: dein Bett wäre groß genug für zwei. Viertens: ich bin ein ungeduldiger Mensch und kann mit Abfuhren nur schlecht umgehen. Fünftens: ich schiebe Panik, dass jemand kommt und dich mir wegschnappt. Ich habe von Phillip gehört, dass es in seinem Kollegium mindestens drei Junggesellen geben soll. Sechstens: Du bist ein disziplinierter und konsequenter Mensch und ergänzt mich dadurch vorzüglich. Siebtens: Ich bin überzeugt, dass wir eine Menge Spaß miteinander haben werden, in jeder Hinsicht.
So das wäre es in ungefähr. Fällt dir noch etwas zur Ergänzung ein?“
Paula brauchte einige Sekunden, um das Gehörte bis zu ihrem Gehirn weiterzuleiten. Dabei waren einige mahnende Stimmen in ihrem Kopf aufgetaucht. Daniels Vorstellungen von einer Beziehung deckten sich ganz offensichtlich nicht mit ihren, vor allem was den sexuellen Bereich anbelangte. Wie sollte sie ihm klarmachen, dass sie diesbezüglich ähnlich konservativ veranlagt war, wie ihre Umgebung?
Ein Notruf im Hintergrund enthob sie zum Glück einer Antwort.
„Sorry, ich muss kurz ein paar Leben retten. Bis bald, mein Schatz.“
Anschließend lag sie bis zwei Uhr früh wach in ihrem Bett und überlegte sich, was sie nun machen sollte.
Bei Daniel würde sie mit ihrer altmodischen Haltung garantiert keinen Blumentopf gewinnen, so viel stand fest. Dass es zwischen ihnen oben bei der Maiershütte zu keinen detaillierteren Annäherungen gekommen war, hatte weniger an seinem Wunsch als an dem plötzlichen Auftauchen der Familie Zauner gelegen. Was wäre gewesen, wenn es keine Unterbrechung gegeben hätte? Hätte sie den Mut gehabt, sich ihm zu verweigern? Sie war sich plötzlich gar nicht so sicher. Daniel wusste nur allzu gut, wie man Frauen herumbekam und hatte darin sicher reichlich Übung. Sie wusste ja nicht einmal, wie viele verschiedene Freundinnen es bisher in seinem Leben gegeben hatte. Würde sie mit seiner Vergangenheit auf Dauer zu Recht kommen? Sie sah vor ihrem inneren Auge Dr. Svenja Hausmann und die blonde Psychologin, zwei von Danis Ex-Geliebten, die sie persönlich in Augenschein hatte nehmen können und bekam sofort handfeste Minderwertigkeitskomplex. Mit diesen Frauen konnte sie sich in keiner Weise messen, weder optisch noch intellektuell. Also was reizte Daniel überhaupt an ihr? Würde sie ihm nicht irgendwann langweilig werden, sobald seine Verliebtheit etwas nachließ oder sich bessere Alternativen auftaten?
Und falls er doch ernste, dauerhaftere Absichten hegte: Konnte sie sich vorstellen, Daniel zu heiraten und bis ans Ende ihrer Tage mit ihm zusammenzuleben? Eignete er sich überhaupt für eine so enge Lebensgemeinschaft? Daniel als Persönlichkeit war nicht einfach. Das wusste sie trotz ihrer romantischen Schönfärberei. Die Spannungen zwischen ihnen hatten schon in der Vergangenheit stattgefunden und waren für die Zukunft mehr oder weniger vorprogrammiert. Er hatte einen Dickkopf und konnte schrecklich launisch sein. Andererseits war sie seinem Charme hilflos ausgeliefert. Er brauchte sie nur anzulächeln.
Doch war er auch auf treu und verlässlich? Irgendwie konnte sie sich das bei ihm nicht so recht vorstellen. Zumindest hatte er seine Psychologengeliebte damals wegen ihrer Freundin abserviert. Das hatte ihr diese persönlich und brühwarm erzählt. Konnte man auf ein derart unsicheres Fundament eine tragfähige Beziehung aufbauen?
Und dann war da noch die Glaubensfrage.
Paula empfand sich zwar keineswegs als Superchrist, aber sie rechnete fest mit Gottes Hilfe in ihrem Leben und betete auch regelmäßig. Und sie versuchte sich so gut es ging, an die Bibel zu halten. Daniel konnte mit dieser Art von Frömmigkeit vermutlich wenig anfangen.
Diese Überlegungen reichten, um ihren emotionalen Höhenflug merklich abzubremsen. Falls es je mit Daniel und ihr funktionieren sollte, würde es harte Arbeit bedeuten. Das ahnte sie unwillkürlich. Gleichzeitig hatte sie Angst, ihn zu verlieren und die Sehnsucht nach ihm war beinahe übermächtig.
Die nächsten Wochen würden also alles andere als leicht werden, das war so sicher wie Pfarrer Ebershäusers „Amen“ in der Kirche.
Kapitel 9:
Genau der Besagte saß im Pfarrhaus an seiner Predigtvorbereitung, doch seine Gedanken wollten sich einfach nicht an den vorgegebenen Bibeltext halten. Stattdessen wurde er von einer geheimen Sorge geplagt.
In der letzten Nacht hatte ihn ein entsetzlicher Traum mit schon beinahe visionärem Charakter heimgesucht. Er hatte Lämmerbach in Schutt und Asche verglühen sehen, während eine Stimme vom Himmel rief: „Weh dir, du gottlose Hure, die du die Unschuldigen opferst und der Sünde Tor und Tür geöffnet hast! Den gottlosen Heiden wird es am Ende erträglicher gehen als dir!“
Pfarrer Martin Ebershäuser hatte sich als Prophet durch die brennende Straße taumeln sehen, verzweifelt nach Überlebenden Ausschau haltend. Zum Schluss war es ihm gelungen Paula Müller, die junge Lehrerin, im Klassenzimmer ausfindig zu machen, umgeben von ihren halb verkohlten Schülern. Auch sie war am ganzen Körper mit Brandwunden übersät gewesen und hatte mit ihren rußgeschwärzten Fingern anklagend auf ihn gezeigt.
Als er sie nach draußen hatte tragen wollen, schrie sie: „Es ist zu spät! Mir kann niemand mehr helfen! Warum habt Ihr mich nicht gewarnt?“
Schweißgebadet war Pfarrer Ebershäuser aufgewacht und wurde seither von der düsteren Ahnung verfolgt, dass dies ein prophetischer Traum gewesen sein könnte. Eine grauenvolle Warnung.
Die Lehrerin befand sich in Gefahr und er war derjenige, der sie retten musste. Er wusste sofort, um welche Art von Gefahr es sich handelte. Gott hatte ihm durch die geheimnisvolle Stimme einen Hinweis gegeben. Sie war diejenige, die geopfert werden sollte. Ihre Unschuld war bedroht. Und selbst ein Blinder bei Nacht konnte erkennen, von welcher Seite diese Bedrohung kam.
Ob er mit ihr sprechen und ihr die Augen für diese Gefahr öffnen sollte? Aber würde sie überhaupt auf ihn hören oder war sie schon zu stark in den Sog dieses nahezu Gottlosen geraten, für den eine Ehe nichts Heiliges bedeutete.
Während er immer noch an seinem Schreibtisch brütete, kam ihm plötzlich eine Bahn brechende Idee, die er, bevor er anderen Sinnes werden konnte, sofort in die Tat umsetzte. Er war sich sicher, dass der Herr mit ihm sein und ihm die richtigen Worte in den Mund legen würde. Das hatte er seither bei jedem seiner Propheten getan.
Beruhigt ging er nach einem zusätzlichen Gebet an diesem Abend zu Bett. Er hatte seinen Teil zur Rettung der Lehrerin unternommen.
Kapitel 10:
Paulas Leben war durch Daniel keineswegs leichter geworden. Es hatte sich sogar ungemein verkompliziert. Ihre Gedanken wanderten in den kommenden Tagen ständig in verschiedene Richtungen, wie eine Herde Schafe, die aufgestöbert worden waren und nun wild und kopflos auseinanderbrachen.
Dennoch schaffte sie es, einen ordentlichen Unterricht