Leider gab die Nichte keineswegs klein bei, sondern fuhr unbeirrt fort: „Pah, ich kenne meinen Onkel schon länger als Sie. Er hat ständig irgendwelche Affären. Neulich ist zum Beispiel diese Frau Kochendörfer aus seinem Schlafzimmer gekommen. Es war früh morgens und sie trug nur ein dünnes Nachthemd. Es gibt eine Menge Frauen, die vollkommen verrückt nach ihm sind und alles für ihn tun würden.“
Diese Nachricht versetzte Paula einen beträchtlichen Rückschlag, denn sie hatte eigentlich gedacht, dass die Beziehung zwischen der blonden Psychologin und Daniel sich auf die Studienzeit begrenzt hätte. Aber sie schluckte ihre Verletztheit hinunter. Nicole sollte nicht den Eindruck bekommen, gepunktet zu haben. „Ich glaube nicht, dass es deinem Onkel sehr Recht ist, wenn er mitbekommt, was du alles über sein Privatleben in der Schule herumerzählst.“ Ihr blieb nur noch ein Warnschuss übrig.
Nicole funkelte sie daraufhin verächtlich an und zischte: „Petze“, wagte aber den Rest der Stunde nichts mehr zu sagen.
Hannes machte während dieser aufschlussreichen Konversation ausnahmsweise einmal keinen auf unbeteiligt, sondern gluckste ununterbrochen erheitert und reichlich idiotisch vor sich hin. Paula wusste danach, was ihr lieber war.
Als sie Georg Ausdrücke wie „Schaumbad“ und „Kerzenlicht“ in Friedels Richtung flüstern hörte, erwachte jedoch schlagartig neues Misstrauen. Bis gerade eben hatte sie noch gehofft, dass wenigstens dieser Teil ihres Zusammentreffens mit Daniel nicht der Öffentlichkeit preisgegeben worden wäre, aber nun sah sie sich auch in dieser Hoffnung bitter getäuscht. Sie hatte einen schweren Verdacht, was die undichte Stelle anbetraf.
Als sie Hannes am Abend deswegen zur Rede stellte, meinte er nur harmlos: „Die Sache mit dem Badezimmer weiß doch ohnehin der ganze Ort. Es wurde am Sonntagabend im „Roten Baum“ diskutiert.“ Paula meinte dabei ein unterdrücktes Feixen in seinem Gesicht zu erkennen.
Sie überlegte einen kurzen Moment, ob sie lieber in Ohnmacht fallen oder sich auf ihren Bruder stürzen sollte und entschied sich für das Letztere. Es war eh längst überfällig.
„Ich konnte ja nicht ahnen, dass der Georg gleich alles ausplaudert“, gestand er, als er wieder halbwegs zu Atem kam „aber die meisten dort fanden die Idee wohl richtig geil.“
Kapitel 6:
Gleich am nächsten Abend stand Anne vor ihrer Tür.
„Na, wie geht’s denn so?“, fragte sie unverbindlich.
Paula konnte nur schwer glauben, dass sie sich bloß nach ihrem Befinden erkundigen wollte, aber sie hatte nicht die Absicht, ihr die Sache leicht zu machen. „Ganz gut, wieso?“
„Ach, ich dachte einfach, ich schaue mal vorbei. Wir haben uns schon lange nicht mehr unterhalten.“
Das stimmte allerdings. Sie hatte in letzter Zeit ohnehin den Eindruck, die Hebamme unterhielt sich lieber mit anderen Menschen über sie, als mit ihr selbst. Aber das sagte sie natürlich nicht.
„Ich wollte dir nur sagen, dass ich mich für Dani und dich wirklich freue.“ Allerdings machte sie dabei ein eher unbehagliches Gesicht.
Sie saßen inzwischen in Paulas Esszimmer. Diese brühte nebenbei Tee auf und stellte ein paar Kekse auf den Tisch. Das half die Anfangsschwierigkeiten zu überbrücken. Sie wollte natürlich nicht ewig auf Anne sauer sein. Aber Versöhnungen waren manchmal schwieriger als gedacht.
„Das mit Phillip und mir… Wir haben das so nicht geplant…. Vielleicht hätte ich dich vorwarnen sollen. Ich wollte nie, dass da was zwischen uns steht.“
Es stand im Moment eine ganze Menge zwischen ihnen, aber wenn Anne das nicht selber sah, konnte sie ihr kaum helfen. Wahrscheinlich war sie gerade zu sehr auf Hormone gepolt, um einen klaren Blick auf ihre Umgebung werfen zu können. Wie konnte es sonst sein, dass in ihrem Haus Chaos herrschte und sie gleichzeitig mit einem vor lauter Verliebtheit seligen Lächeln durch die Gegend lief.
Nun entstand eine längere Pause, in der beide eifrig Kekse futterten und Tee tranken, um sie zu überbrücken.
Dann plauderten sie eine ganze Zeit lang über Belangloses. Jeder war dabei bemüht, keine Stille aufkommen zu lassen.
Endlich verabschiedete sich Anne. An der Tür drehte sie sich allerdings noch einmal um: „Also, äh… die Sache mit dem Badezimmer war weder meine, noch Phillips Idee gewesen ist. Dani ist da meiner Meinung nach zu weit gegangen. Inzwischen spricht schon der ganze Ort darüber. Mein Bruder denkt sich manchmal einfach nichts bei dem, was er tut.“
In den nächsten Tagen begegnete sie ständig irgendwelchen Leuten, die meinten, einen Kommentar abgeben zu müssen.
Der gutmütige Bauer Vollmer hielt sie sogar vor dem Schulhaus an und schüttelte ihr kräftig die Hand. „Na, da lag ich mit meim Vorschlag doch net so ganz falsch. Herzlichn Glückwunsch. Gibt’s denn schon an Hochzeitstermin?“
Paula wusste beim besten Willen nicht, was sie darauf sagen sollte.
„Na, allzu viel Zeit solltens sich net lassen, Mädel. Es is immer gscheiter, ma macht Nägel mit Köpf.“ Er lächelte breit und tätschelte ihr den Arm. Nostalgisch verklärt schüttelte er den Kopf und seufzte tief. „Wenn des de Joseph noch erlebn hätt können. Ich hab ihn immer für verrückt ghalten, als er all die Jahr unbeirrbar bhauptet hot, Gott würd sein Jungn schon irgendwann herbringn. Und nun scheint des Wunder tatsächlich wahr zu werdn, Dank Ihne, Fräulein Müller.“
Daniels Zukunftsüberlegungen hatten sich also ebenfalls durch den Ort gesprochen und wurden als beschlossene Sache gehandelt. Die Mund-zu-Mund-Propaganda funktionierte bestens.
Die ältere weibliche Generation dagegen tendierte eher zu Mitleid. Frau Tannhauer zum Beispiel schaute sich vorsichtig nach allen Seiten um, ob auch keine unerwarteten Lauscher zugegen waren und lehnte sich dann nach Paulas Einkauf am Freitagabend über die Theke. „Wissens Fräulein Müller. Des is halt des Schicksal von uns Fraun: Erst is ma verliebt und dass muss mans aushalten.“
Leicht beunruhigt trat Paula den Heimweg an und überlegte, was sie wohl damit gemeint haben könnte.
Am gleichen Abend brachte Herr Tannhauer jedoch eine neue Tür und baute sie an Ort und Stelle ein. Vermutlich tat er es auf direkten Befehl seiner Frau. „Nur zur Sicherheit “, meinte er. „Mir wolln schließlich, dass sie in Zukunft wieder in aller Seelenruh badn könnet.“
Kapitel 7:
Zur gleichen Zeit gab es in Lämmerbach ein weiteres konspiratives Treffen.
Bürgermeister Baum stand mit verlegen wirkender Miene kurz nach halb neun vor dem Arzthaus. „Servus Anne.“
„Servus Onkel Edwin, was machst du denn hier? Ich hoffe, du bist nicht krank?“
„Des grad net, aber ich sollt amol mit dir redn.“
Wenn die Hausherrin nicht alles täuschte, fühlte sich ihr Besucher unwohl in seiner Haut. Er wischte sogar seine Hände an der Lederhose ab bevor er ihr die Hand reichte. Allein an den lauen Abendtemperaturen konnte das kaum liegen. Hatte sein Erscheinen etwas mit den Leipold-Kindern oder deren Vater zu tun? Sie warteten schon seit Wochen auf die Stellungnahme des Fürsorgeamtes. „Komm doch rein.“
Anne begleitete den Besucher nach oben ins Esszimmer. Als ihr Vater noch gelebt hatte, war Onkel Edwin ein gern und häufig gesehener Gast gewesen. Er kam vorzugsweise montags, wenn die Gastwirtschaft geschlossen hatte. Die zwei Herren saßen dann gemeinsam am Esszimmertisch, politisierten, tranken einen Wein zusammen oder spielten Schach und manchmal, wenn Herr Schaup mittat, auch eine Runde Skat.
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