„Unterbrich mich nie wieder, wenn ich spreche. Hörst du? Nie wieder! Der Gram um Kerothys macht dich rasend. Ich weiß es, und das ist dein Glück: andernfalls würdest du jetzt in der Hölle auf ihn warten.“ Und nach einer Pause fügte er für alle vernehmlich hinzu: „Der Beodhir krepiert, wann und wie ich es befehle. Und sein Gefährte ebenso. Hast du verstanden?“
Kalyomelas starrte aus seinen regungslos auf ihn gerichteten Bronzeaugen zurück. Die vernarbten, einst vom gleichen Schwerthieb gespaltenen Lippen zuckten, aber die Widerrede blieb aus. Stattdessen deutete er ein Nicken an. Mraeghdar ließ von dem Späher ab und steckte sein Schwert zurück in die Scheide.
Hraedlin, der Mraeghdars Stimme gehört hatte, war derweil aus seinem Zelt getreten. In voller Montur stand er vor ihm und wartete auf Anweisung, was zu tun sei.
„Du kannst ablegen, Hraedlin.“
Dies bedeutete, daß er für den Rest des Tages nicht mehr gebraucht würde. Die Leibgarde grüßte und wollte abtreten, wurde aber noch einmal zurückgerufen:
„Hraedlin!“
„Herr?“
Der Großkönig musterte ihn wohlwollend von Kopf bis Fuß, und mit einer Geste zu den Gefangenen hin lobte er:
„Gute Arbeit, Hraedlin.“
Mit einer ehrerbietigen Verbeugung, und sichtlich von der Anerkennung berührt, zog sich die Garde schließlich zurück.
Mraeghdar begann, zunächst ohne allzugroßes Interesse, die erbeuteten Waffen in Augenschein zu nehmen, die zwischen den Gefangenen ausgebreitet waren. Zwei Kurzschwerter lagen mitsamt Scheide und Gurt vor den nach kydhrischer Art unten spitz zulaufenden Schilden; diese steckten hochkant im Boden, was ebenso aufgrund ihrer Form möglich war wie auch des mit Bronze beschlagenen Randes. Die Schwerter waren aus dem gleichen Metall, das unter den Kydhrimar, und zumal unter den Beodhrim, verbreiteter war als Eisen oder Stahl. Kydhrische Bronze war jedoch von außerordentlicher Güte, und Mraeghdar selbst war mehr als einmal Zeuge geworden, wie eine vandrische Klinge aus Eisen an einem kydhrischen Schwert oder Schildrand zerbarst, oder wie eine kydhrische Bronzeklinge einen vandrischen Helm durchdrang. Vorhanden waren auch – für beodrische Ausrüstungen ungewöhnlich – ein lederner Brustpanzer und ein Helm. Letzterer war aus Eisen und zweifellos ein vandrisches Beutestück: ungefärbtes Roßhaar quoll lose aus einer Spitze in der Mitte, was auf einen nicht sehr hohen Rang des Vorbesitzers hindeutete. Ein kydhrischer Helm wäre entweder schmucklos gewesen, oder aber das rot eingefärbte und gesteifte Roßhaar hätte einen emporragenden, von Stirn bis Nacken reichenden Streifen gebildet.
Und dann natürlich die Bögen. Zum ersten Mal schenkte Mraeghdar den Schußwaffen Aufmerksamkeit, ohne zunächst recht zu wissen warum. Dann nahm er einen Pfeil aus einem der beiden Köcher und sah die dreiflügelige Spitze mit ihren Gegenspitzen. Er leerte die restlichen Pfeile aus dem Köcher und stellte fest daß alle Spitzen, ob nun aus Bronze oder Eisen, mit den gleichen Widerhaken versehen waren.
Schließlich nahm Mraeghdar, zum allerersten Mal in seinem Leben, einen beodrischen Kriegsbogen zur Hand. Und staunte. Hochgewachsen wie er war, reichte ihm der Bogen fast bis ans Kinn. Er versuchte sich im Spannen der Sehne, und die beiden Enden des Schafts dehnten sich knarrend. Es fiel ihm keineswegs leicht, und er stellte sich vor wie die aufgewandte Armeskraft in den von der Sehne gesandten Pfeil überging.
Dann bemerkte er die Garde, die ihn ungläubig anstarrte, und erwachte aus dem Zustand der Betörung wie ein beim Tagträumen ertapptes Kind. Eine Welle von Zorn spülte in ihm hoch.
„Was gibt es da so dumm zu glotzen?!“ stauchte er die Wache zusammen. Der Mann wurde kreidebleich und stammelte unterwürfig eine Entschuldigung, was den Großkönig erst recht in Rage brachte.
„Du stiefelleckender, aasfressender Hund“, donnerte er, „mach dein stinkendes Maul zu und verteidige dich!“ Und als der andere nicht zu verstehen schien: „Deinen Schild, du Schwachkopf!! Begib dich in Abwehrstellung! – So. Und wenn du dich auch nur einen Fußbreit bewegst, wirst du mir heute Nacht beim Trinkgelage etwas vortanzen, und zwar barfuß auf glühenden Kohlen. – Du da, behalte ihn im Auge!“
Mraeghdar nahm einen Pfeil und entfernte sich genau achtzehn Schritte von den beiden Wachhabenden; dann drehte er sich um, legte an, fixierte sein Ziel, spannte bis zum äußersten – – und schoß.
Krachend durchschlug der Pfeil den Schildrand und verschwand fast völlig dahinter. Damit war er um einiges von seiner vorgesehenen Bahn abgekommen, denn Mraeghdar hatte auf die Mitte gezielt, wo sich der massive eiserne Buckel befand; dennoch war das durchdrungene Hindernis ein metallenes, nämlich eine der vier Streben, die den beschlagenen Rand mit dem Schildbuckel verbanden.
„Ist er von der Stelle gewichen?“ fragte er im Herannahen den zuvor zur Aufsicht Bestimmten. „Nein? – Dein Glück, Bursche!“
Mraeghdar trat um den Schildrand herum und inspizierte den Durchschuß. Der Pfeilschaft ragte bis an das federbesetzte Ende aus dem zersplitterten Lindenholz und über die Schulter des Schildträgers hinweg, der unversehrt geblieben war, aber zweifellos weiche Knie bekommen hatte. Mraeghdar bemerkte es mit einem abschätzigen Blick. Er zog den Pfeil mit der zerbeulten und somit unbrauchbar gewordenen Bronzespitze aus dem Durchschußloch und knurrte:
„Das wird dich lehren, deinem König gegenüber nächstens Haltung zu bewahren. – Geh, bevor du umkippst, und laß dir von meinem Mundschenk im Zelt einen Trunk Met reichen!“
Ohne die eifrig hervorgesprudelte Bedankung abzuwarten, verließ der Großkönig den Ort des Geschehens. Wenig später ritt er in Begleitung Hwyrduns ins lugdrische Lager, um Lyghdar abzuholen. Die Könige würden ihren Sieg letztendlich bei Aedhwyn feiern, der aufgrund seiner Verletzung an sein Lager gebunden war.
* * *
Das auffallendste an dem Bogen war noch nicht einmal seine Länge. Am deutlichsten unterschied er sich von den vandrischen Jagdbögen dadurch, daß der Schaft ganz offensichtlich aus zwei verschiedenen Materialien bestand. Aus einem dunklen Griff ragte das zu beiden Seite hin grazil geschwungene weiße Holz, mit flachem Rücken und gewölbter Innenseite; der Griff dagegen war im Ganzen gerundet, in der Mitte etwas dicker als an den wulstigen Rändern, und lag perfekt in der Hand. Mraeghdar betastete seine rauhe Oberfläche, die den Fingern besseren Halt bot als das nackte oder nach vandrischer Sitte mit Leder bezogene Holz es getan hätte, und betrachtete versonnen die vom Feind erbeutete Waffe. Der flackernde Schein des Kohlebeckens verlieh ihr ein noch fremdartigeres Aussehen, und hätte sie in seinen Augen noch begehrenswerter gemacht, wäre sie nicht ohnehin schon in seinen Besitz gefallen.
„Ein hübsches Spielzeug hast du da gefunden“ ächzte Aedhwyn, indem er sich unruhig auf seinem Lager herumwälzte und von seinem Leibsklaven den Kopf mit Kissen hochstützen ließ. „Bring es deinem Jüngsten mit, wenn du nach Kadhlynaegh kommst, er soll damit....“
„Ruh dich aus, Aedhwyn.“ Mraeghdar legte den Bogen beiseite, setzte das vergoldete Trinkhorn an die Lippen und nahm einen tiefen Zug Met. „Du hast deinem Wundarzt nicht zum ersten Mal dein Leben zu verdanken und solltest auf seinen Rat hören. Du verfluchter Sturkopf.“
„Aedhwyn hat recht“, protestierte Lyghdar mit schwerer Zunge von der angrenzenden Tischseite her. „Dich haben deine kydhrischen Sklavinnen behext, mit denen du herumhurst. Du bist Großkönig der Vandrimar, bei Dhwyrd! Der beste Schwertkämpfer seit Baldyr Heradwyn! Dein Name allein macht deine Feinde zittern. Seit wann mußt du sie dir mit Pfeilen vom Leib halten?“
„Ich nicht“, entgegnete Mraeghdar ruhig und nahm einen weiteren Zug aus dem Trinkhorn. „Aber das Fußvolk. Die Halbsklaven. Die ungelenken Bauern und Hirten, die Heidebewohner.“ Lyghdar glotzte verständnislos zurück. Er war ein herausragender Krieger, gewandt wie sonst keiner im Umgang mit der Streitaxt, weswegen er ja auch König der Lugdhrim war. Jedoch schien er im Gegensatz zu Mraeghdar weder