Wenn er und Mraeghdar sich in etwas glichen, dann in der Fähigkeit kriegerischer Selbstentäußerung. Er focht und stach und hieb, bis er den Schmerz an den äußersten Rand seines Bewußtseins gedrängt hatte, in einen Bereich wo er zwar vorhanden blieb, ihn aber nichts mehr anzugehen schien. Und dorthin hielt er ihn zunächst auch verbannt, nachdem die Beodhrim geschlagen und vertrieben waren. Das konnte natürlich nicht von Dauer sein. Die Scheinbetäubung blieb wirksam während seiner Unterredung mit Mraeghdar, ließ ihn auch noch die holprige, ungestüme Fahrt hangabwärts ertragen; spätestens aber als er zum zweiten Mal an diesem Tag vom Wagen sprang, wurde ihm das in seinem Fleisch steckengebliebene Metallblatt schmerzlicher bewußt als zuvor der Pfeilschuß selbst.
Niemand war so hart im Nehmen wie Aedhwyn. Sein Wille zum Kampf war stärker als er selbst, war eine treibende Kraft abseits aller Vernunft. Rasend vor Pein erschlug er den ersten Yildhir. Gegen den zweiten focht er mit der gleichen, fiebrigen Konzentriertheit, die nur von äußerster Anstrengung hervorgebracht werden kann. Seine Wunde brannte wie Feuer, als er sich irgendwann ausgestreckt auf dem Rücken liegend wiederfand, niedergehalten von seinem Leibsklaven und Mraeghdar, während Dhréadyn ihm die Pfeilspitze aus der Hüfte schnitt. Dann wurde ihm klar, daß er wohl vorübergehend die Besinnung verloren haben mußte, und daß es seine eigenen Schreie waren, die ihn wieder aus der Bewußtlosigkeit geholt hatten.
So jedenfalls lautete seine eigene Schilderung, wie Mraeghdar sie später von ihm hörte.
Als Dhréadyn ihm die Spitze zeigte verstand er, warum Aedhwyns Leibarzt so lange für den Eingriff gebraucht hatte, und vor allem, warum der König nicht selbst vermocht hatte sie zu entfernen. Es handelte sich, fand er, mehr um einen Vierspitz als um eine Spitze im herkömmlichen Sinn; dabei waren drei der Spitzen nach hinten gerichtet, und sie waren es natürlich, die das Herausziehen unmöglich machten. Der Großkönig hielt das blutige Metallteilchen auf der flachen Hand, stumm vor Verblüffung, da ihm Widerhaken bisher allenfalls in zweifacher Form bekannt waren.
Augenblicke später bat eine Schildwache um Erlaubnis, ihn ansprechen zu dürfen. Sein yildrischer Diener habe ihm dringend etwas mitzuteilen. Es handelte sich um Kalyomelas; als Kydhmar blieb ihm der Zutritt zu Aedhwyns Lager verwehrt, weswegen er vor dem Tor warten mußte. Mraeghdar ließ achtlos die Pfeilspitze fallen und schwang sich auf sein Pferd.
Die Nachricht selbst betraf Kerothys. Er läge schwer verwundet in seinem Zelt, und dem hastig dahergestammeltem Bericht nach zu urteilen, schien es schlimm um ihn zu stehen. Hraedlin und die unter seiner Führung abbeorderten Männer hatten ihn aus der Gewalt zweier versprengter Beodhrim befreit, so Kalyomelas während des kurzen Ritts hinüber ins khyltrische Lager. Die Kydhrimar hatten den Abtrünnigen an ihre Pferde gebunden und im wilden Galopp durch das steinige Heideland hinter sich hergeschleift.
Als Mraeghdar ihn fragte ob sein Bruder wohl überleben würde, preßte der Yildhir die Lippen zusammen und trieb mit zwei Schlägen auf die Flanke sein Pferd an.
Mit diesem Racheakt war im Grunde nur eingetreten, womit er ohnehin seit langem schon gerechnet hatte. Als er aber die lederne Plane zurückschlug, die den Eingang verhängte, und an Kerothys’ Lager trat, geschah etwas seltsames: er, der Schlächter und gestandene Heerführer, fand keine Worte mehr. Mraeghdar, der es gewohnt war zu verstümmeln und zu köpfen, dem weder das Lärmen der Schlacht noch der Anblick abgetrennter Gliedmaßen etwas anhaben konnte und der beim Festmahl sitzend Hinrichtung und Folterung zu verhängen pflegte, er, der glorreiche, der König unter Königen und Schrecken seiner Feinde, verstummte vor dem Antlitz des Todes, das die entstellten Züge eines verbündeten yildrischen Kriegers angenommen hatte.
Er stand nur und schwieg.
Kerothys lag zugedeckt bis zum Hals. Mit dem Rücken zur Zeltwand kniete ein junger Sklave an seinem Lager und tupfte ihm behutsam mit einem Tuch den Schweiß aus dem zerschundenen Gesicht. Sein Atem ging röchelnd, und um die Stirn trug er einen durchgebluteten Verband. Beleuchtet vom schwummrigen Schein des Kohlebeckens, das am Fußende des Lagers aufgestellt war, schienen die Wangenknochen durch die Haut stechen zu wollen: mehr als ein lebendiges Gesicht, sah man den darunterliegenden Schädel. Der Blick des Todwunden flackerte wie ein Öllicht kurz vor dem Verlöschen, und verriet dennoch etwas von der Klarsicht des Fiebernden, jener schon als unwirklich empfundenen Schärfung der Sinne, die den Trugbildern oft unmittelbar vorausgeht. Aus seinen Zügen las Mraeghdar eine Botschaft, deren Unwiderruflichkeit er sich bis auf weiteres nicht eingestehen mochte: nämlich daß sein langgedienter yildrischer Späher vielleicht noch den nächsten, kaum aber mehr den Anbruch des darauf folgenden Tages erleben würde.
„Wo ist Yldrun?“
„Sie tut ihre Pflicht, Herr.“
An Arbeit wird es der alten Hexe nicht fehlen, dachte Mraeghdar, ihr und ihren Gehilfen. Wie nach jeder Schlacht. Ohne sich Kalyomelas zuzuwenden, der angespannt hinter seinem Rücken verharrte, fragte er weiter:
„Und die Beodhrim?“
„In Hraedlins Gewahrsam.“
Der Großkönig wollte noch etwas zu dem Sterbenden sagen und brachte es nicht über sich. Aber der Sinn ihres Schweigens war einvernehmlich: über das Unvermeidliche gab es keine Worte zu verlieren, so lasen sie einander aus den Augen. Was die Verletzungen anging, hegte Mraeghdar keine Zweifel darüber daß Yldrun bereits alles getan hatte, was in ihrer Macht stand. Augenblicke später drehte er sich um, schob Kalyomelas beiseite und verließ das Zelt.
Kalyomelas seinerseits holte sich aus dem Zeltinneren eine von Kerothys’ Lanzen, zusätzlich zu seiner eigenen. Er kniete noch kurz am Lager seines Bruders nieder, murmelte ihm einige Worte ins Ohr und folgte dann mit entschlossener Miene dem Großkönig.
Hraedlins als auch Hwyrduns Zelt waren vor dem Zelt ihres Herrn aufgeschlagen, welches die Lagermitte einnahm. Wenn man darauf zuschritt, befand sich das von Hraedlin zur Linken. Was nun als erstes den Blick auf sich zog, waren die beodrischen Gefangenen: Hraedlin hatte sie bis auf weiteres an zwei senkrecht in die Erde gerammte Pfähle anbinden lassen. Von der Taille an aufwärts waren beide Männer unbekleidet, und die seitlich abgewinkelten Arme waren um hierfür vorgesehene Querbalken geflochten. Jedem von ihnen war eine khyltrische Garde zur Seite gestellt.
Ihre nackten Füße hingen etwa in Höhe seiner Brust herab, als Mraeghdar vor die Gefangenen trat. Eine Zeitlang musterte er sie aufmerksam mit in den Nacken gebeugtem Kopf. Dann höhnte er:
„Ist euch auch nicht zu kalt da oben?! Sonst machen wir euch ein Feuerchen zum Aufwärmen. – Kalyomelas, auf Kydhrisch!“
Die Beodhrim nahmen schweigend und mit regungsloser Miene die Drohung zur Kenntnis, die Kalyomelas in der gemeinsamen Sprache an sie weiterleitete. Der am linken Pfahl knurrte daraufhin etwas für Mraeghdar unverständliches, spuckte verächtlich auf Kalyomelas herab und verfehlte ihn nur knapp. Die Spitze einer der Lanzen auf die Brust des Gefangenen gerichtet, holte der wutentbrannte Yildhir zum Wurf aus, aber Mraeghdar gebot ihm mit einer raschen Armbewegung Einhalt.
„Nicht so hastig, mein Freund! So schnell wollen wir unsere Gäste nicht nach Ardwihal befördern, das wäre unhöflich. Sollen deine Landsleute etwa glauben, du hättest