Dabei war er mit seinem dunklen Fell wahrhaftig nicht zu übersehen auf der ausgedehnten Grasfläche, selbst da wo noch kein Sonnenlicht hinfiel. Hadhuin erschrak fast zu Tode, als er sich plötzlich auf die Hinterbeine aufrichtete und den Kopf nach vorne streckte, als würde er neugierig an seiner linken Schulter vorbei ins Unterholz spähen. Und aus dieser Richtung meinte er jetzt auch ein leises Knacken zu vernehmen. Zugleich nahm er wahr, wie der Otter den Kopf ein wenig anhob, und Hadhuin begann Zusammenhänge zu erfassen, ohne sie zu verstehen. Blitzschnell wandte er sich nach links, zielte mit gespanntem Bogen in die vom Otter anvisierte Richtung und sah gerade noch einen Schatten aus den Ästen der am nächsten stehenden Buche in den Wipfel der Fichte huschen, hinter deren Stamm er sich verborgen hielt. Er folgte der Bewegung mit dem schußbereiten Pfeil, und dann sah er zu seinem Entsetzen zwei rote Augen aus dem Dunkel des Nadelgehölzes auf ihn herabglühen. Hadhuin konnte kaum die Konturen einer hockenden Gestalt erahnen, so sehr nahm der von einem abgrundtiefen Haß erfüllte Blick seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Er meinte förmlich zu spüren, wie ihm das Blut in den Adern zu Eis gerann.
Und plötzlich rannte er. Zuvor ließ er noch den Pfeil von der Sehne surren, genau auf das glühende Augenpaar zu, aber dann rannte er, rannte wie noch nie in seinem Leben. Im gleichen Moment, als er zwischen den Fichtenstämmen hervor auf die ungedeckte Wiese schnellte, tat der Otter einen enormen Sprung in die entgegengesetzte Richtung, knapp an ihm vorbei in den Fichtenschatten hinein. Hadhuin registrierte erst jetzt die merkwürdige Graufärbung des linken Auges, und selbst in seiner plötzlichen Gehetztheit blieb ihm noch Zeit sich darüber zu wundern.
Während er mit mächtigen Schritten auf den gegenüberliegenden Rand der Talweide und das Ufer des Bachs zuhielt, hörte er hinter sich zwei Schreie. Einer erinnerte ihn an das Quieken eines Schweins, der andere dagegen klang so entsetzlich, daß er keinem Vergleich standhielt. Er war kehlig wie der eines Raubtiers, aber keines dem ein Mensch je begegnet wäre. Haß lag darin, unaussprechlicher Haß, und Wut. Aber auch Agonie. Hadhuins rechte, jetzt freie Hand fuhr unwillkürlich an die Hüfte, da wo der Dolch am Gürtel hätte stecken sollen. Und erst jetzt merkte er, daß er ihn gar nicht dabei hatte.
Wasser spritzte nach allen Seiten, als er in Windeseile das flache Bachbett durchquerte, und hinter sich hörte er weiter den gräßlichen Raubtierschrei und etwas, was er als Kampfgetümmel deutete. Mit einer Viertelwendung nach rechts begann er keuchend den Hang zu erklimmen. Er hatte nur einen Gedanken: sein Versteck zu erreichen. Wo der Dolch lag. Und wo ein Feuer brannte.
Er kam nicht weit. Und eigentlich war es ein Wunder, daß er in seiner panischen Angst nicht blind weiterrannte, auf ein weiteres Paar rotglühender Augen zu, das vom Hang her auf ihn herabstarrte, und der ihm zugehörigen geduckten Schattengestalt in die Fänge. Als er sich nach links wenden wollte und dort genau das gleiche zu sehen bekam, glaubte er sein Ende gekommen. Er konnte ein jämmerliches Wimmern nicht unterdrücken, als er sich umwandte um wieder hangabwärts zu rennen. Er dachte noch, was für ein Irrsinn es sei, gestreckten Schrittes einen Berg hinunterzulaufen, auf ein zum Teil von Felsbrocken gesäumtes Bachufer zu. Es war das letzte was er dachte ehe er über eine Baumwurzel stolperte und vornüber schlug, während ein gewaltiger Eber mit blutigen, in ihrer Überlänge schier grotesken Hauern über den Bachlauf hinweg auf ihn zugejagt kam.
Es war nur das linke gewesen.
Das rechte, erinnerte er sich, war schwarz, oder schwarzbraun, und nichts daran deutete auf eine widernatürliche Verfärbung hin. Das linke dagegen war grau und von bläulichen Schlieren durchzogen, auch schien es glasartig und starr, und nicht zuletzt blind. Hadhuins Schädel dröhnte von innen heraus, und von allen Dingen die seinen halb betäubten Sinn hätten beherrschen können, war es das graublaue Auge eines Fischotters.
Dann hörte er das Knacken eines Kienspans, was ihn einerseits mit Dankbarkeit erfüllte. Es war aber auch alarmierend, weil zwangsläufig jemand anders als er selbst sich um das Feuer gekümmert haben mußte. Mit einer gewaltigen Anstrengung zwang er sich, die schmerzenden Lider auseinanderzureißen.
Das Feuer brannte, wie er vermutet hätte, rechts von ihm. Draußen dämmerte es. Ein kurzer Blick nach oben genügte, um den vertrauten Umriß der Felsauskragung zu erkennen, unter der sein Versteck lag. Sich selbst fand er sorgsam von oben bis unten vermummt. Irgendwer meinte es scheinbar gut mit ihm. Aber wer? Mit einem leisen Stöhnen versuchte er, den Oberkörper aufzurichten. Eine breite Hand packte ihn bei der linken Schulter und zog ihn sanft, aber bestimmt auf sein Fellager zurück, während er noch spürte, wie es im Nackenbereich mit einem weiteren Fell aufgepolstert wurde, so daß sein Kopf etwas erhöht zu liegen kam. Gerade hoch genug, um vorsichtig an der Öffnung des Schafsbalgs nippen zu können, der ihm an die Lippen gesetzt wurde. Aber die Milch, die er enthielt, schmeckte verdorben. Hadhuin spuckte sie angewidert von sich.
Und da war es wieder, das Auge, nicht weit von seinem Gesicht entfernt, als jemand sich von hinten über ihn beugte.
„Trink!“ befahl eine Stimme, und der Schafsbalg wurde ihm mit solcher Bestimmtheit ans Kinn gedrückt, daß er sich nicht zu helfen wußte. Er trank. Langsam, in kleinen Schlucken, leerte er nach und nach das halbe Gefäß. Zu Beginn kostete es ihn einige Überwindung, aber die Hand, die ihm das Gesöff darreichte, war unnachgiebig.
Das rechte und, wie es den Anschein hatte, gesunde Auge musterte ihn mit einem prüfendem Blick, und als Hadhuin röchelnd zu einer Frage ansetzen wollte, legte sich ein langer, knochiger Finger vor einen inmitten von grauem Bartgestrüpp gerundeten Mund.
„Shhhhhhh!“ war alles was er hörte. „Jetzt mußt du schlafen.“
Mehr als nach einem Befehl, klang es wie eine Verlockung. Erleichtert gab Hadhuin allen Widerstand auf und ließ sich in einen See tiefer Trunkenheit sinken, dem Schlaf entgegen, der am Grund auf ihn wartete.
Als er aufwachte, war es heller Tag. Hadhuin lag auf der rechten Körperseite, und das erste was er sah, war das munter flackernde Feuer. Und plötzlich wurde ihm auch bewußt, was genau ihn aus dem Schlaf geholt hatte, nämlich der Hunger. Was ihn darauf brachte, waren das Zischeln in die Flammen tröpfelnden Fetts und der dazugehörige Duft – der nach geröstetem Fleisch!
Jetzt hielt ihn nichts mehr am Boden. Mühelos und ohne irgendwelche Schmerzen zu verspüren, stemmte er sich zunächst auf den Ellbogen und warf die Felldecke von sich. Tatsächlich, über dem Feuer wurde ein Braten gedreht. Hadhuin stand auf und tat verblüfft zwei Schritte rückwärts.
Prompt wurde ihm schwindlig. Schwärze umwölkte in Form aus dem Nichts schießender Punkte seine Augen, und er fühlte wie er nach hinten kippte. Noch ehe er die Arme ausstrecken konnte um den Fall abzufangen, fühlte er sich von einer kräftigen, von rechts kommenden Hand gepackt und nach vorne gezogen.
„Hooo.... nicht so hastig, Freund Hadhuin. Auch die tapfersten Krieger müssen von ihren Wunden genesen. Setz dich wieder, langsam, so ist es gut. Geht es schon besser? Hier, trink einen Schluck Wasser. Und rühr dich nicht mehr von deinem Platz, ehe du dich am Fleisch dieses frisch erlegten Ebers gestärkt hast. Verstanden? Nur ein wenig Geduld noch, er ist fast gar.“
Verwirrt nahm Hadhuin den vollen Krug entgegen.
„Aber....wie....woher....“
„....ich deinen Namen weiß?“ nahm der Graubärtige seine Frage vorweg und lachte wohlwollend. „Keine Sorge, wenn ich ein Jäger entlaufener Sklaven wäre, würdest du jetzt gefesselt auf einem Karren liegen und Richtung Kadhlynaegh rollen. Von mir hast du nichts zu befürchten.“
Hadhuin ließ sich das kalte Wasser durch die Kehle rinnen und fühlte sich augenblicklich besser. Dann versuchte